Fussball und andere Randsportarten: Ein Sturm zieht auf

Nr. 14 –

Etrit Hasler über Stephan Lichtsteiner und die anderen Schweizer im Wahljahr

Während ich diese Zeilen in meine Tastatur hacke, fegen die Winde von Westen her über St. Gallen. Fenster werden aufgedrückt, Schirme davongezerrt, Werbetafeln davongestossen. Wer würde bei solchem Wetter noch auf die Idee kommen, Fussball zu spielen? Niemand mit gesundem Verstand.

Als die Schweizer Nationalmannschaft vor kurzem gegen Estland auflief, fegte ebenfalls ein rauer Wind über die Schweiz. Stephan Lichtsteiner, der vielleicht beste Schweizer Aussenverteidiger aller Zeiten, trauerte in der «Basler Zeitung» seinen alten Mannschaftsgefährten Tranquillo Barnetta und Pirmin Schwegler nach, die unter dem neuen Trainer Vladimir Petkovic nicht mehr aufgeboten werden. Und dann sagte er den Satz, der noch lange nachhallen wird: «Mir geht es nicht um ‹richtige Schweizer› und die ‹anderen Schweizer›, sondern darum, dass sich das Volk weiterhin mit dem Nationalteam identifizieren kann.»

Dem «Blick» passte das wunderbar ins Konzept: Die Zeitung, die schon seit Wochen eine Kampagne gegen Petkovic fährt, bastelte daraus den impliziten Vorwurf, dass der eingebürgerte Trainer Spieler mit Migrationshintergrund bevorzuge. Die «SonntagsZeitung» schoss zurück, es gehe der beleidigten Boulevardzeitung nur darum, dass Petkovic ihren Journalisten nicht mehr dieselben Freiheiten gewähre wie der Vorgänger Ottmar Hitzfeld, der gar bei Ringier unter Vertrag war.

Nun, Stephan Lichtsteiner ist kein Mensch, der für seine luziden Analysen zur Politik bekannt ist. Er ist ein Chrampfer, ein Läufer. Sein Hobby? Er reisst Bilder von Möbeln aus Prospekten und legt sie in ein Mäppchen, wie er einst dem «Magazin» des «Tages-Anzeigers» verriet. Ansonsten lebt er für den Fussball, was wahrscheinlich einer der Gründe dafür ist, dass er darin so verdammt gut ist – und auch einen kühlen Kopf bewahren kann, wenn er muss: Obwohl er in der öffentlichen Meinung als einer gilt, der sich aufregt und die Hände verwirft, hat er in seiner fünfzehnjährigen Profikarriere gerade einmal drei rote Karten gesehen – für einen Verteidiger eine unglaubliche Zahl.

Und ja: Es ist nicht das erste Mal, dass er sich zum Thema Einwanderung äussert. «Wer hier leben will, muss sich anpassen», sagte er 2012 im «Tages-Anzeiger». Ist er, sagen wir es vorsichtig, etwas nationalkonservativ? Höchstwahrscheinlich. Was ihn nicht daran hindert, in einer Nationalmannschaft zu spielen, in der die neuen Stars allesamt Secondos sind. Shaqiri, Behrami, Seferovic, Drmic, Inler, sogar der von ihm beschworene Tranquillo Barnetta. Und im Unterschied zu Alex Frei, der sich mit Mladen Petric und Blaise Nkufo Fehden lieferte, bei denen ein rassistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, sind von Lichtsteiner keine Geschichten darüber bekannt, wie er sich weigert, mit eben den «anderen Schweizern» ein Zimmer zu teilen, weil sie ihm das Handy klauen könnten.

Natürlich, die Stimmung in diesem Land ist ohnehin schon aufgeladen. Und in diesem Kontext sind Aussagen wie die von Lichtsteiner heikel, vielleicht sogar gefährlich. Weil sie am grundlegenden Kitt unserer Gesellschaft kratzen, indem sie die SchweizerInnen in zwei Kategorien einteilen, wo unsere Verfassung nur eine kennt. Doch vielleicht sollten wir bei der ganzen Aufregung nicht vergessen, dass die Worte nicht vom «Blick», sondern von der «Basler Zeitung» so aufgezeichnet wurden – einem Blatt also, dem kein Mittel zu schade ist, seine SVP-Geldgeber und deren fremdenfeindliche Forderungen ins Gespräch zu bringen. Denen es logischerweise lieber ist, sich über Mythen zu streiten statt über konkrete politische Forderungen, um die Widersprüche zwischen Büezerimage und neoliberalem Marktfundamentalismus zu kaschieren.

Im Oktober sind Wahlen. Von Westen her zieht ein Sturm auf. Wer bei solchem Wetter einfach nur Fussball spielen will, sonst nichts, hat zumindest die direkte Demokratie nicht begriffen.

Etrit Hasler ist auch ein bisschen Nationalratskandidat und froh um seinen
roten Fussballschal, wenn es stürmt.

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Lenz als Buch herausgegeben.
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