Vladimir Petkovic: Ist er schlicht zu gut?

Nr. 48 –

Er steht für schönen, mutigen Offensivfussball und ist der erfolgreichste Schweizer Fussballnationaltrainer aller Zeiten. Doch Deutschschweizer Zeitungen wollen, dass es mit Vladimir Petkovic aufhört. Warum eigentlich?

Wehe, man erfüllt nicht jeden Wunsch der Medien: Vladimir Petkovic während der WM in Russland, 2018. Foto: Christopher Lee, Getty

«Petkovic spaltet die Fussballschweiz», titelt der «Blick» am 20. November. «Wir brauchen einen neuen Mann.» Und auch die NZZ findet: «Es fehlt etwas. Die Offenheit, die Wärme, Dinge, von denen Petkovic gerne redet, aber die er nur im Ausnahmefall so lebt, dass sie nicht nur für seine Spieler sichtbar werden.» Dasselbe Lied im «Tages-Anzeiger»: «Petkovic mag auf dem Platz stark sein, daneben ist er es nicht. Und das ist sein Problem, weil er vergisst, dass ein Nationalcoach mehr als nur Coach ist, er ist auch Vermittler zwischen Mannschaft und Öffentlichkeit.» Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Kampagne könnte ressentimentgeladen sein, sichert sich der «Blick» noch schnell ab: «20 000 haben auf Blick.ch innert weniger Stunden abgestimmt: 57 Prozent sind der Meinung, dass man nach der Endrunde im nächsten Sommer mit einem neuen Trainer einen Neuanfang machen soll.»

«Die Offenheit, die Wärme …»

Für alle, die nicht so fussballinteressiert sind: Die Schweizer Fussballauswahl hat sich am 18. November wieder einmal für eine Europameisterschaft qualifiziert. Seit Vladimir Petkovic das Team 2014 übernommen hat, hat es sich für jedes Grossturnier qualifiziert. Und dennoch arbeiten die führenden Deutschschweizer Medienhäuser gegen ihn. Am 21. November will der «Blick» einen weiteren Skandal im «Dunstkreis von Petkovic» enthüllt haben: Der Sohn seines Assistenten soll einen Juniorennationalspieler per SMS in seine Spielerberateragentur gelockt haben!

Was die drei Sportredaktionen vorführen, ist exemplarisch für die zeitgenössische Mediengesellschaft: Personen im Scheinwerferlicht stehen unter Dauerbewertung. Allerdings nicht mehr primär dafür, wozu sie eigentlich zuständig sind, also etwa Taktik oder Trainingsmethodik. Vielmehr geht es um ihr Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit. Und, im Fall von Petkovic: gegenüber Journalisten. Denn diese – fast ausschliesslich männlichen – Medienleute verstehen sich offenbar als erste Verkörperung dieser «Öffentlichkeit». So im Stil: Was uns persönlich am persönlichen Umgang mit dieser Person nicht passt, missfällt auch der Bevölkerung. «Es fehlt etwas: die Offenheit, die Wärme …»: Man muss sich den Satz in Zeitlupe reinziehen. Das ist es also, was Sportjournalisten vom Nationaltrainer verlangen: «Offenheit und Wärme» – gegenüber Journalisten.

Doch in dieser Geschichte geht es um mehr. Deutlich wird das im Videokommentar von Andreas Böni, Fussballchef beim «Blick», in der Nacht vom 18. November nach dem 6 : 1-Sieg im Kleinstadion in Gibraltar, der die EM-Qualifikation besiegelte. Zerzaust und leidvoll, als ginge es um eine griechische Tragödie, steht Böni auf dem leeren Rasen. Und als sei er das Medium für die Sorgen eines ganzen Landes, meint er, es sei «halt schon wahnsinnig viel passiert: die Doppeladler-Affäre, Valon Behrami, Xherdan Shaqiri – und die unterirdische Kommunikation des Trainers. Das Volk hat sich zum Teil von der Nati entfremdet.»

Populismus aus der Provinzblase

Es ist ein düsteres Vokabular, das sich in Kommentaren rund um Petkovic und das Nationalteam einnistet – diese Equipe, die mehrheitlich aus Kindern von Eltern aus Exjugoslawien und aus afrikanischen Ländern besteht. Für einmal also hätten die Fussballjournalisten die Gelegenheit, die längst fällige Weltöffnung mit einzuläuten. Das aber scheint ihnen zu riskant. Sie bedienen die bei vielen Fans noch immer verbreitete Sonderversion von Patriotismus: Spieler wie Xhaka, Shaqiri, Zakaria oder Embolo werden bei schönen Toren zwar frenetisch bejubelt. Zugleich wird eindringlich betont, wie schade es doch sei, dass immer weniger «echte Schweizer» mitspielten. Und dass kaum wer zur Nationalhymne die Lippen bewege.

Genau diese Fans bedient nun aber der «Blick» – auch wenn es inzwischen viele andere gibt, die selbst keine sogenannten Schweizer Wurzeln haben und sich womöglich bestens mit dem aktuellen Ensemble identifizieren. Doch nun ist grad auch der Coach kein Eingeborener mehr. Soll er sich doch wenigstens eidgenössisch benehmen! Ein wenig volkstümlich wie der diese Woche verstorbene Köbi Kuhn und medienkuschelig wie Ottmar der Hitzfeld.

Petkovic aber lässt sich nicht in dieses Kostüm zwängen. Er bewahrt sich eine gewisse Weltläufigkeit, zuweilen etwas agentenhaft à la Daniel Craig. Mit einem Blick, der auch mal in die Weite schweift, als würde er eine neue Spielidee heranziehen sehen. Petkovic, sein Hintergrund, sein Akzent, sein Auftritt – all das passt nicht in den Kragen der Deutschschweizer Fussballkritik. Ist es seine Coolness, die die Journalisten derart schlottern lässt in ihrer Sehnsucht nach einer gewissen Heimeligkeit? Oder gar Neid? Auf diesen Mann aus Sarajevo, der das Spiel nicht mitmacht, das darin besteht, mehr in das Provinztheater drum herum zu investieren, in die klebrige Halbwisserei in den Hotelbars, als in die Sache selbst? Ist Petkovic den journalistischen Berufsamateuren zu professionell?

Die Spieler stehen hinter ihm. Selbst Roman Bürki, der als Weltklassetorhüter von Borussia Dortmund klagen könnte, weil er im Nationalteam seit Jahren hinter Yann Sommer ansteht. Die Vorwürfe gegen Petkovic, sagte er unlängst in der «Berner Zeitung», seien für ihn «fast schon Hetzerei, weil es den einen oder anderen Schweizer womöglich stört, dass Petkovic kein Eidgenosse ist und nicht Röthlisberger oder so heisst». Dabei verbinde der Fussball «doch genau die Menschen unterschiedlicher Herkunft». Und: «Wenn Vladimir Petkovic kritisiert wird, weil sein Deutsch nicht perfekt ist, finde ich das abstrus. Er ist nicht verpflichtet, jeden Wunsch der Medien zu erfüllen.»

Gibraltar, vor wenigen Tagen. Wie meist an Auswärtsspielen logierten sie alle im selben Hotel: die Fussballkorrespondenten der wenigen verbliebenen Medienhäuser. Je einer von Ringier, Tamedia, NZZ und CH Media sowie der Schweizerischen Depeschenagentur. Die KorrespondentInnen der französischsprachigen Medien sind anderswo einquartiert.

Man bleibt unter sich. Und dann kommt einer wie damals auf dem Kinderspielplatz aus einem anderen Quartier – und kann es besser. Der andere. Vladimir Petkovic, siebensprachig, der sich zum Entsetzen der Deutschschweizer Reporter auch noch erdreistete, im Tessin eine Pressekonferenz in der Landessprache Italienisch zu geben. Geboren 1963 in Sarajevo. Jusstudent. Halbprofi beim FK Sarajevo. 1987 der Transfer zum FC Chur. Schlecht bezahlter Berufsfussballer in Sion, Martigny, Bellinzona und Buochs. Caritas-Sozialarbeiter im Tessin, ab 1997 nebenamtlich Trainer in Bellinzona, bei Malcantone Agno und ab 2005 hauptamtlich wieder in Bellinzona. Aufstieg in die höchste Liga und Einzug in den Cupfinal. Von 2008 bis 2011 Trainer bei den Berner Young Boys und bis 2012 von Samsunspor in der Türkei. 2012: FC Sion. 2013: Lazio Roma, italienischer Pokalsieg. Und dann, 2014: die Wahl zum Nationaltrainer. EM 2016, WM 2018, EM 2020. Der erfolgreichste «Nati»-Trainer aller Zeiten.

Fertig, Kuschelparty

Und nun also: Sündenbock der Nation, zumindest für die Reporter aus der Deutschschweiz. Weil sie nicht mehr Teil einer medialen Kuschelparty sein dürfen wie damals bei Ottmar Hitzfeld, jenem Mathematiklehrer aus Lörrach, der sich 2012 nicht zu schade war, mit Ringier einen Vertrag für eine «redaktionelle Zusammenarbeit» einzugehen, um so trotz verpasster EM-Qualifikation die positive Berichterstattung des «Blicks» auf sicher zu haben. Petkovic dagegen machte den Medien von Anfang an klar: «Ich arbeite nicht für die Medien. Ich arbeite für den Verband, für den Schweizer Fussball, für meine Spieler.»

Diesen Samstag werden die EM-Gruppen ausgelost. Am 13. Dezember will Petkovic eine Jahresbilanz ziehen und sich womöglich auch zu seiner Zukunft äussern. Und die Deutschschweizer Fussballjournalisten? Sie wollen auf die Welt kommen. Aber nicht mit Petkovic. Das ist ihnen zu viel.