Krieg im Jemen: Saudi-Arabien auf dem Weg nach «Vietnam»
Seit einer Woche greift Saudi-Arabien in den Konflikt im südlichen Nachbarland Jemen ein. Und wiederholt damit die Fehler, die Ägypten in den sechziger Jahren beging. Mit schlimmen Konsequenzen für den Jemen.
Wer die akutellen Ereignisse im Jemen und ihre politischen Auswirkungen auf den Nahen Osten verstehen will, sollte einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. Vor allem der Bürgerkrieg im Nordjemen, der 1962 mit dem Sturz der zaiditischen Monarchie (die Zaiditen sind ein Zweig der Schiiten) begann, kann als Orientierung dienen. Die arabische Halbinsel war damals geopolitisch zweigeteilt: Unter der Führung von Ägypten folgte ein Teil der sozialistischen Panarabismus-Ideologie, während Saudi-Arabien und dessen Verbündete die konservativen, westlich orientierten Regimes vertraten.
Um die konservativen Regierungen zu stürzen, unterstützte Ägypten panarabische Gruppierungen in den Nachbarländern – auch im Jemen, wo die Bewegung Freier Offiziere später die Monarchie zu Fall brachte. Der Einfluss Ägyptens rief umgehend das saudische Königshaus auf den Plan, das Jemens Königsfamilie militärische Unterstützung zusicherte. So wurde der regionale Wettstreit zwischen Ägypten und Saudi-Arabien zum Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Republikanern im Jemen. Die aktuellen Luftangriffe der Saudis gegen Huthi-Milizen und Verbündete von Expräsident Ali Abdullah Saleh weisen Parallelen zu den damaligen Vorkommnissen auf.
Flexibles Saudi-Arabien
Nachdem König Muhammad al-Badr 1962 nach Saudi-Arabien geflohen war, eilte die saudische Führung ihren Verbündeten zu Hilfe. Heute unterstützt sie den entmachteten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der floh, als die Huthi-Rebellen auf dem Vormarsch waren. Ob Hadi nach wie vor legitimer Herrscher des Landes ist, darüber lässt sich streiten – denn einen grossen Teil seiner Glaubwürdigkeit hat er als Mitglied der alten Elite bereits vor langer Zeit eingebüsst. Gleichzeitig haben vor allem die Huthi-Rebellen mit ihrer Machtübernahme und der arroganten Absage an jegliche Verhandlungsangebote den saudischen Luftangriffen erst den Boden bereitet. Damit ist nun auch Riad Konfliktpartei.
Religion mag hier zwar eine Rolle spielen. Den Ausbruch des Konflikts allein der Fehde zwischen Schiiten und Sunniten zuzuschreiben, wäre jedoch irreführend. Im Bürgerkrieg von 1962 hatte sich das sunnitische Saudi-Arabien auf die Seite der zaiditischen Royalisten geschlagen – deren Nachfahren die heutigen Huthi-Rebellen sind. Auch Expräsident Saleh, der den Jemen dreissig Jahre lang regierte und ein enger Verbündeter Saudi-Arabiens war, ist Zaidit. Im Hinblick auf mögliche Allianzen hat Riad also oftmals über konfessionelle Unterschiede hinweggesehen.
Genauso wie 1962 dient der Jemen den Saudis jedoch auch als Garant für die eigene Sicherheit und Stabilität. Deshalb ist die Machtübernahme der Huthi-Milizen und der daraus erwachsene Einfluss des schiitischen Iran für sie Grund zur Sorge – vor allem, weil auch die verbündeten USA ihre Allianzen verschoben und Iran zuletzt Friedensangebote unterbreitet haben. Somit ist der aktuelle Konflikt in erster Linie ein geopolitischer Kampf um die Vorherrschaft auf der arabischen Halbinsel. Und gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran – so wie dem Bürgerkrieg in den sechziger Jahren ein Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Ägypten zugrunde lag.
USA und Oman unvorbereitet
Wie heute tobte auch während des letzten Bürgerkriegs ein Machtkampf innerhalb der saudischen Königsfamilie. Der damalige König Saud ibn Abd al-Asis war für seine Unfähigkeit und die impulsive Aussenpolitik bekannt, was später die Palastrevolution auslöste. Al-Asis dankte unter dem Druck seiner Familie ab. Der Tod von König Abdullah im Januar 2015 hat den in der Königsfamilie schwelenden Machtkampf wieder angefacht. Noch vor der Trauerfeier hatte der sudairische Teil des Königshauses (die Söhne, die König Abd al-Asis ibn Saud mit seiner bevorzugten Gattin Hasa Bint Sudairi zeugte) seine Position in der Nachfolge gesichert: Der an Alzheimer erkrankte neue König Salman ernannte Innenminister Muhammad Ibn Naif zum stellvertretenden Kronprinzen. Sein relativ junger und politisch unerfahrener Sohn Muhammad wurde zudem Verteidigungsminister. Beides sorgt innenpolitisch für Irritationen.
Dass Oman und die verbündeten USA von den saudischen Angriffen überrascht wurden, ist beunruhigend. Oman – von vielen Fraktionen im Jemen als neutraler Vermittler angesehen – hatte versichert, dass es keine Luftangriffe geben werde. Und auch die USA wurden offenbar erst kurz zuvor über die bevorstehende Offensive ihrer Alliierten informiert. Es ist zu hoffen, dass die Angriffe Teil einer «Diplomatie-Offensive» sind, wie die Jemenkennerin Sheila Carapico es formulierte, und dazu dienen sollen, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu zwingen. Besorgniserregend wäre jedoch, wenn die Angriffe eine Folge des internen Machtkampfs in Saudi-Arabien sind. Oder wenn sich herausstellen sollte, dass ein unerfahrener Verteidigungsminister die Konsequenzen der Angriffe unterschätzte.
Eine Teilung scheint unvermeidlich
Derweil hat sich die Arabische Liga auf eine militärische Eingreiftruppe unter Führung Saudi-Arabiens geeinigt – eine Strategie, die kontraproduktiv ist. Den Einsatz von Bodentruppen zur Unterstützung der Republikaner hat Ägypten in den sechziger Jahren bitter bereut – der Jemen wird seitdem als «Vietnam» Ägyptens bezeichnet. Der Nordjemen ist von jeher immun gegen Eindringlinge jeder Art. Zu Zeiten des Osmanischen Reichs leisteten die einheimischen zaiditischen Stämme erbitterten Widerstand gegen die türkischen Truppen. In den sechziger Jahren diente der Krieg den Stammesangehörigen vor allem als Geldquelle: Sie wechselten die Seiten, wann immer es ihnen profitabel erschien.
Falls Saudi-Arabien nun Soldaten schickt, wird sich an dieser Vorgehensweise wenig ändern. Der Einsatz von Bodentruppen wird den Konflikt nur weiter eskalieren lassen. Es entstünde ein Machtvakuum, das die gesamte Region destabilisieren würde und globale Konsequenzen hätte: Vor allem al-Kaida und der Islamische Staat könnten als grosse Sieger aus dem Konflikt hervorgehen.
Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liegt derweil in der Hand von Jemens Expräsident Saleh. Schliesslich wäre es den Huthi-Milizen ohne seine Unterstützung niemals gelungen, die Kontrolle über die Hälfte des Landes zu erlangen. Dank der Zusammenarbeit mit Salehs Verbündeten in der Armee und im Sicherheitsapparat standen den Rebellen die Tore vielerorts offen. Saleh ist dafür bekannt, Meister im politischen Überlebenskampf zu sein: Indem er seinen ehemaligen Feinden zu territorialen Gewinnen verhalf, sicherte sich Saleh die Rückkehr an die Macht. Inzwischen scheint er seine Verbündeten im Stich gelassen zu haben. Seine Partei Allgemeiner Volkskongress hat die Huthi-Rebellen am 26. März dazu aufgerufen, die Waffen niederzulegen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Saleh bringt sich offenbar für die nächste Verhandlungsrunde in Stellung.
Für einen allfälligen Erfolg der Verhandlungen ist eine Aufteilung der politischen Macht die zentrale Voraussetzung. Da Saleh daran jedoch kein Interesse hat, werden Verhandlungen mit ihm am Tisch scheitern.
Angesichts der aktuellen Ereignisse scheint die Spaltung des Landes unvermeidlich. Ob der Teilungsprozess sanft vonstattengeht oder das Land vollends in einen Bürgerkrieg abdriftet, liegt nicht zuletzt bei der Uno. Oman an den Verhandlungstisch zu holen, wäre derweil ein guter Anfang. Das Sultanat geniesst das Vertrauen der wichtigsten Fraktionen im Jemen – und vermittelte bereits früher in mehreren Konflikten auf der Arabischen Halbinsel.
Elham Manea ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich und jemenitisch-schweizerische Doppelbürgerin.
Aus dem Englischen von Anna Jikhareva.
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Auch ein Kampf um Öl
Der Konflikt auf der Arabischen Halbinsel hat Auswirkungen auf den Ölhandel: Seit Saudi-Arabien Ziele im Jemen angreift, breitet sich auf den Märkten Nervosität aus.
Der Jemen selbst verfügt kaum über Ölreserven, seine geografische Lage ist jedoch strategisch wichtig: Die Meerstrasse Bab al-Mandab (das Tor der Tränen) zwischen dem Jemen und Dschibuti verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden.
Durch dieses Nadelöhr gelangen gemäss US-Behörden täglich 3,8 Millionen Fass Öl aus den arabischen Staaten nach Europa. Wer die Meerenge kontrolliert, beeinflusst auch den Ölhandel: Sollte sich die Sicherheitslage weiter verschlechtern, müsste eine alternative Route gefunden werden.