Wahlen in Nigeria: Jetzt soll der frühere Despot das Land retten
Nigeria hat erstmals einen amtierenden Präsidenten abgewählt. Das spricht mehr für den alten Präsidenten als für den neuen. Denn Muhammadu Buhari hat eine dunkle Vergangenheit.
Erstmals in Nigerias Geschichte wurde ein amtierender Präsident vom Volk abgewählt – und hat das Ergebnis akzeptiert, ohne von Gerichten oder dem Militär dazu gezwungen worden zu sein. «Ich habe eine freie und faire Wahl versprochen, und ich habe mein Wort gehalten», erklärte Goodluck Jonathan, nachdem er Muhammadu Buhari telefonisch zum Sieg gratuliert hatte. «Ich habe die demokratische Mitwirkung im Land erweitert, und ich hoffe, das ist ein Erbe, das Bestand haben wird.»
Mit dieser Entscheidung hat der glücklose Präsident Afrikas bevölkerungsreichster Nation ein Geschenk gemacht, dessen Wert kaum zu ermessen ist. In einem Land, in dem die wenigen Reichen offen KandidatInnen bestechen – in fester Erwartung politischer Gegenleistungen – und Geld an WählerInnen verteilen, markiert Jonathans Rückzug eine Zeitenwende. Jonathan, Sohn eines armen Kanubauers aus dem Nigerdelta, der all seine politischen Spitzenämter durch Zufall bekommen hatte und zuletzt wie von der eigenen, machtzerfressenen Partei getrieben wirkte, hat der korrupten Elite einen empfindlichen Schlag versetzt.
Mit harter Hand gegen Korruption
Ob dieser Schlag nachhaltig wirkt, hängt von seinem Nachfolger ab. Der 72-jährige Muhammadu Buhari gab sich im Wahlkampf als geläuterter Asket. Der ehemalige Militärherrscher bezeichnete sich selbst als «wiedergeborenen Demokraten» und versprach, innerhalb der Machtzirkel aufzuräumen. Dass Buhari mit harter Hand gegen Korruption vorgehen kann, bewies er nach seinem Putsch Ende 1983: Während seiner zwanzig Monate währenden Militärherrschaft liess er rund 500 PolitikerInnen, BeamtInnen und Geschäftsleute unter Korruptionsverdacht festnehmen. Was den einen als Willkür eines Despoten galt, war vor allem den Armen ein Zeichen dafür, dass Buhari sich traute, gegen die Mächtigen vorzugehen. Buhari selbst sass zudem jahrelang an den Fleischtöpfen, ohne sich mit vollen Händen zu bedienen. Bis heute lebt er vergleichsweise bescheiden.
Doch um im vierten Versuch endlich eine Wahl zu gewinnen, hat Buhari seinerseits Versprechungen machen müssen. So wechselten viele prominente UnterstützerInnen das Lager, weil sie sich von ihm nun Posten erhoffen können. Meisterlich nutzte Buhari zudem Jonathans Misserfolge im Kampf gegen die Terrorgruppe Boko Haram, die grassierende Korruption und die grosse Armut im Land, um dessen seit 1999 regierende Partei zu spalten. Gleichzeitig einte er die zerstrittene Opposition unter einem gemeinsamen Dach. Dafür hat Buhari alle Hebel der von ihm so verfemten Machtpolitik der Eliten in Bewegung gesetzt. Die Frage ist, wie viele offene Rechnungen Buhari jetzt im Gegenzug begleichen muss – und ob das einen wirklichen Neuanfang zulässt.
Auspeitschungen und Bocksprünge
Als Jonathan vor fünf Jahren gewählt wurde, hatte er seinen AnhängerInnen einen Kampf gegen die gierige politische Klasse und den verfilzten Beamtenapparat versprochen. Er scheiterte kläglich. Als sein Zentralbankchef ihm mitteilte, aus den Öleinnahmen seien zwanzig Milliarden US-Dollar verschwunden, entliess ihn Jonathan. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war jede Hoffnung auf Wandel zerstoben.
Auf Buhari ruhen mindestens gleich grosse Erwartungen. Gewählt wurde er vor allem von den Jungen, die bisher gar nicht an die Urnen gingen. Sie hoffen auf Arbeit und Auswege aus der Not. Das ist ihnen noch wichtiger als ein Sieg gegen Boko Haram. Ob Buhari diese liefern kann, ist aus vielen Gründen ungewiss. Als Militärherrscher liess Buhari GastarbeiterInnen deportieren, um Arbeitsplätze für NigerianerInnen zu schaffen. Er entliess in grossem Stil Staatsangestellte, strich Zuschüsse für Krankenhäuser und Schulen und erhob neue Steuern. Gleichzeitig rief er zu einem «Krieg gegen fehlende Disziplin» auf. Wer sich in einer Schlange vordrängelte, musste mit Auspeitschung rechnen. Wer zu spät zur Arbeit erschien, musste öffentlich Bocksprünge vorführen.
KritikerInnen machte Buhari mundtot: JournalistInnen wurden verhaftet, die Meinungsfreiheit wurde stark eingeschränkt. Geheimtribunale verhängten wiederholt Todesurteile. Von einem Terrorregime sprechen viele, die sich an Buharis Regierungszeit erinnern. Und doch unterstützten im Wahlkampf selbst ehemalige Opfer Buhari, weil sie glaubten, nur seine starke Hand könne das Land retten.
Viel wird jetzt davon abhängen, wie Buhari die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen versucht – und ob er wirklich zum Demokraten geworden ist, wie er behauptet. Die Messlatte hat sein Vorgänger – ausgerechnet durch seinen Rückzug – sehr hoch gelegt.