Britanniens Wahl: Auf dem besten Weg nach Kleinengland
Es war ja zu erwarten gewesen. Kaum hatte sich die krachende Niederlage der Labour-Partei bei der Unterhauswahl vergangene Woche herumgesprochen, tauchten die Zombies wieder auf. Die Partei müsse schleunigst zurück in die Mitte und sich mehr um «die ambitionierten, aufstiegswilligen bürgerlichen Schichten kümmern», tönte es unisono aus den Gruften von Tony Blair, Peter Mandelson und Alastair Campbell – jenem Trio also, das mit seiner Kriegs- und Privatisierungspolitik den Ruf von New Labour nachhaltig ramponiert hatte.
Aber stand die Partei, die nach Ed Milibands Rücktritt eine neue Führung sucht, im Wahlkampf so weit links, wie jetzt viele behaupten, darunter auch die meisten KandidatInnen, die sich bereits um die Nachfolge bewerben? Der stets etwas unbeholfene Miliband klang zwar fortschrittlicher als alle Labour-Vorsitzenden seit Michael Foot Anfang der achtziger Jahre. Doch die Organisation mit ihrem einflussreichen Blair-Flügel trieb sich in anderen Ecken herum, bewegte sich nur auf dem Feld des politischen Gegners und verstärkte dadurch dessen Kernbotschaften.
Schwer zu kapieren
Das Hauptproblem des Landes sei die Staatsverschuldung: Dieser Unfug war auch von der Labour-Partei zu hören, die den Service public und die Sozialausgaben gleichermassen kürzen wollte – nur eben nicht so schnell wie die Konservativen. Die Furcht vor Fremden müsse ernst genommen werden, sagte auch Labour – und plädierte für mehr Migrationskontrolle, statt den VerliererInnen des wirtschaftlichen Niedergangs zur Seite zu stehen. Auf Atomwaffen könne nicht verzichtet werden, glaubt die Partei ebenfalls – nur seien nicht, wie von den Tories anvisiert, vier neue Atom-U-Boote zum Preis von umgerechnet 143 Milliarden Franken nötig, drei tätens auch. Und so ging es gerade weiter. Mehr Investitionen im Gesundheitssektor und im Bildungswesen? Fehlanzeige. Ökologischer Umbau der Gesellschaft? Keine Rede wert. Verringerung der Armut im Land? «Wir sind nicht die Partei der Sozialhilfeempfänger», konstatierte Labours Schattenarbeitsministerin Rachel Reeves im Wahlkampf. Hier der Parteichef Miliband, der eine leicht höhere Besteuerung der Reichen und ein Ende der Arbeitsverträge auf Abruf propagiert, dort sein Schattenkabinett, das auf die traditionelle Basis pfeift. War das zu kapieren?
Gewiss: Es war schwierig, die Partei auf Anhieb aus dem Tief zu führen, in das sie mit der Politik von Blair und Gordon Brown geraten war: In der britischen Parlamentsgeschichte haben fast jedes Mal Regierungsparteien eine zweite Amtszeit geschafft. Und es ist auch nicht leicht, in jenen drei oder vier Dutzend Wahlkreisen mit knappen Mehrheiten zu reüssieren, die wegen des Mehrheitswahlsystems im politisch zerklüfteten Britannien den Ausschlag geben.
Dass sehr wohl vieles geändert werden kann, zeigt der Erdrutsch im Norden. Dort gewannen die schottischen NationalistInnen von der SNP haushoch – aber nicht aufgrund ihres Programms und nicht einmal wegen ihrer klaren Ablehnung jedweder Austeritätspolitik. Sondern weil sie von einer Bewegung getragen wurden, die während des Unabhängigkeitsreferendums entstanden war (siehe WOZ Nr. 17/2015 ). Dass sich Labour dort von den Tories für eine elitäre Drohkampagne einspannen liess, haben der Partei viele WählerInnen nicht verziehen.
Unten tut sich etwas
Von einer solchen Mobilisierungskraft ist Labour weit entfernt. Da wird um nichts gerungen, da gibt es keine Visionen, von Basisnähe keine Spur. Und so fand Labour auch keine Antwort auf die letzte Angstkampagne der Konservativen, die die englische Mittelschicht mit dem Schreckgespenst einer von «wohlstandszerstörenden Schotten» tolerierten Labour-Minderheitsregierung alarmierte und englische Ressentiments bediente. «Wenn die Schotten uns regieren, sind wir erledigt», war in Mittelengland häufig zu hören. «Die zahlen doch ohnehin weder Rezeptgebühren noch Studiengelder», hiess es in einer bizarren Verkehrung von Ursache und Wirkung, «jetzt wollen sie uns noch mehr Geld aus der Tasche ziehen.»
Offenbar will sich das Kleinbürgertum im Süden genauso wenig von sozialdemokratischen SchottInnen regieren lassen wie Schottland von englischen Tories.
Dieser innerbritische Konflikt wird die kommenden Amtsjahre von David Cameron ebenso prägen wie das nun für 2016 geplante Referendum zum EU-Austritt. Gut möglich, dass er am Ende der Legislaturperiode nur noch als Premierminister eines international isolierten Kleinenglands dasteht, das alle Sozialwohnungen und das staatliche Gesundheitswesen NHS dem Privatsektor überliess, den öffentlichen Dienst sowie alle Hilfen für Behinderte schredderte und die Europäische Menschenrechtskonvention nicht mehr anerkennt. Gut möglich auch, dass Labour nun die finanzielle und politische Unterstützung der Gewerkschaften verliert – sollte die Partei Ratschlägen von Blair und Co. folgen.
Und die Linke? «Die Tories haben nur 37 Prozent der Stimmen erreicht», trösten sich da einige und lügen sich in die Tasche. Denn zusammen mit den rund 13 Prozent für die noch reaktionärere Ukip-Partei hätten die konservativen Parteien auch unter den Bedingungen eines Verhältniswahlrechts eine Mehrheit erzielt.
Bewegt sich nach dem niederschmetternden Resultat für Labour und die Grünen (nur 3,8 Prozent der Stimmen, nur ein Sitz) noch etwas in England? Bei den Parteien eher nicht. Aber unten. Kurz nach der Wahl kam es zu einer spontanen Kundgebung gegen die neue Regierung. Und für Ende Mai hat die Flashmobinitiative UK Uncut (siehe WOZ Nr. 49/2012 ) zu einer Demonstration gegen Staats- und Sozialabbau aufgerufen.