Medientagebuch zu «Charlie Hebdo»: Im Glashaus

Nr. 24 –

Bernard Schmid über «Charlie Hebdo» fünf Monate später

Das Magazin «Charlie Hebdo» kommt nicht zur Ruhe. Unfreiwillig macht die wöchentlich erscheinende französische Satirezeitschrift immer wieder Schlagzeilen, denn seit dem elffachen Mord in den Redaktionsräumen vom 7. Januar sind viele Augen auf sie gerichtet.

Einerseits ist nach wie vor die Sicherheit der «Charlie»-MitarbeiterInnen gefährdet. Ende Mai berichtete etwa die Tageszeitung «Le Parisien» unter Berufung auf polizeiliche Quellen, dass zwei verdächtig wirkende Individuen in der Nähe der Privatwohnung von Chefredaktor Riss (Laurent Sourriseau) gesichtet worden seien. Diese fotografierten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, getrennt voneinander, den Eingangsbereich des Mehrfamilienwohnhauses. Einer von beiden sei dem polizeilichen Staatsschutz bekannt und werde der radikalislamistischen Szene zugerechnet.

Bedroht worden war schon kurz nach dem Attentat auch die «Charlie»-Redaktorin Zineb El Rhazoui. Die 33-Jährige ist ausgebildete Religionssoziologin. In ihrem Herkunftsland Marokko zählte sie zum progressiven Milieu, sie nahm gegen den dort polizeilich durchgesetzten Zwang zur Einhaltung des Fastenmonats Ramadan ebenso öffentlich Stellung wie gegen fundamentalistische Lehrinhalte oder Predigten – und gegen die Monarchie. Seit zwei Jahren arbeitet sie in Frankreich für «Charlie Hebdo».

Das Attentat vom Januar überlebte El Rhazoui, weil sie in den Ferien war. Die Todesdrohungen im Februar bezogen sich dann nicht nur auf sie, sondern auch auf ihren Mann, einen marokkanischen Juristen. El Rhazoui wird von vielen Dschihadisten noch mehr gehasst als die übrigen «Charlie»-MitarbeiterInnen; als muslimisch erzogene Frau ist sie für sie eine «Verräterin» und Abweichlerin vom Glauben.

Mitte Mai machte El Rhazoui nun Schlagzeilen, weil ihr bei «Charlie Hebdo» die Kündigung drohte. Die Redaktionsleitung hat die Kündigungsdrohung inzwischen aber zurückgezogen und in eine Abmahnung umgewandelt.

Andernorts versucht man, ideologische Bruchlinien in den Konflikt hineinzulesen; El Rhazoui selbst erklärt, man werfe ihr Unregelmässigkeiten im Arbeitsrhythmus vor. Diese seien unvermeidlich, nachdem sie aus Sicherheitsgründen im Hotel leben müsse. In «Le Monde» sagte Chefredaktor Riss, es gebe keine inhaltliche Differenzen mit der Mitarbeiterin. Aber ihre Situation rechtfertige es nicht, dass sie bei Redaktionsterminen fehle oder Abgabetermine nicht einhalte; und übrigens sei das bei ihr auch vor dem 7. Januar so gewesen.

Neben einer Reihe anderer RedaktorInnen macht El Rhazoui sich ausserdem für die Umwandlung der Zeitung in eine Genossenschaft stark. Zurzeit liegen die Kapitalanteile noch in den Händen von nur drei Personen – bei einer chronisch defizitären Zeitung war das kein Problem. Bloss: Dieses Jahr wird «Charlie Hebdo» voraussichtlich 10 bis 15 Millionen Euro Gewinn einfahren.

Einer der prominentesten Mitarbeiter des Blatts will die gespannte Situation nach dem Attentat nicht länger ertragen. Der Zeichner Luz (Renald Luzier) kündigte seinen Austritt aus der Redaktion für September dieses Jahres an. In mehreren Interviews spricht Luz davon, geistig ausgebrannt zu sein. Die politische Aktualität in Frankreich vermöge ihn nicht mehr zu inspirieren. Und nachdem nun ganz Frankreich ständig in Schlagzeilen über die Vorhaben der RedaktorInnen informiert werde, sei es ihm nicht mehr möglich, in einem solchen Glashaus tätig zu sein.

Bernard Schmid schreibt für die WOZ aus Paris.