Frankreich nach dem Attentat: Solidarität und Brandstiftung

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An der sonntäglichen Demonstration in Paris überwog das Bekenntnis zur multikulturellen Gesellschaft. Doch die Stimmung könnte bald kippen.

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ursachen der Attentate gegen die französische Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» und den jüdischen Supermarkt Hypercacher im Südosten von Paris hat noch kaum begonnen. Rechte Strömungen in der französischen Gesellschaft wiesen auf ein «Ausländerproblem» hin und suchen die Schuld in der Anwesenheit von MuslimInnen auf französischem Boden. Das ist schon deshalb Unsinn, weil die Täter in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, sie waren weitgehend geprägt von der französischen Gesellschaft.

Auch eine Ursachendiskussion, die die Gründe vor allem in der Diskriminierung und Ghettoisierung der BewohnerInnen aus den Trabantenstädten sucht, greift in diesem Fall zu kurz. Zwar wuchs der Attentäter Amedy Coulibaly in Grigny, südlich von Paris, in einem sozialen Brennpunkt auf. Doch seine Komplizen Said und Chérif Kouachi stammen nicht aus einer Banlieue, sondern wuchsen im Kern von Paris und Rennes auf, waren ursprünglich das, was man «sozial integriert» nennen könnte.

Paris, Nigeria, Syrien, Gaza

Auf den Demonstrationen vom Wochenende, an denen insgesamt knapp vier Millionen Menschen teilgenommen haben, überwog die integrative Absicht: das Bekenntnis zu freier Meinungsäusserung und kulturellen Freiheiten, aber auch zu Multikulturalismus und zum Zusammenleben jenseits konfessioneller Schranken. Auch viele afrikanischstämmige DemonstrantInnen und erkennbar muslimische Männer und Frauen nahmen an der Demonstration teil. Eine Frau mit orangefarbenem Kopftuch etwa bekundete auf einem Plakat: «Wer einen Menschen tötet, bringt die Menschheit um – ob in Paris, in Nigeria, in Syrien oder auch in Gaza.» Zahllose MitdemonstrantInnen wollten sich mit ihr fotografieren lassen. Zu den meistapplaudierten Demoblöcken zählte auch der von syrischen Oppositionellen, die sich gegen «die dschihadistischen Mörder und den Mörder Assad» wandten.

Gleichzeitig gibt es aber auch andere Strömungen in der öffentlichen Meinung, die sich in Dutzenden Angriffen auf Moscheen und muslimische Gebetsstätten seit den Attentaten ausdrückt – mit Brandstiftung, Gewehrschüssen, Übungshandgranaten und Schmähparolen. Die TäterInnen bleiben anonym und wurden bislang nicht gefasst, mit einer Ausnahme: Ein Arbeiter, Ende dreissig, wurde in Poitiers nach dem Hinschmieren einer Schmähinschrift auf eine örtliche Moschee gestellt. Er erklärte daraufhin, er bedaure seine «Dummheit», er sei nirgendwo organisiert und habe spontane Rachegefühle verspürt.

Wettlauf um die Deutungshoheit

Der rechtsextreme Front National nährt eine solche Stimmung, auch wenn er sich offiziell in seiner Sprache noch zurückhält. Auf den Demonstrationen kam diese Stimmung kaum zum Ausdruck, doch schon bald, wenn die Gemeinsamkeit der von allen geäusserten Betroffenheit und Trauer nachlässt, könnte ein Wettlauf um die Deutungshoheit stattfinden.

Auch die Regierung hat sich eingeschaltet und versucht, das Entsetzen über die Anschläge in die gewünschte Richtung zu lenken. So ist es Staatspräsident François Hollande und Ministerpräsident Manuel Valls in der vergangenen Woche gelungen, den Charakter der Mobilisierungen gegen das Attentat zu verändern: Die ersten Aufrufe zu Protesten gegen die Morde kamen von antirassistischen Vereinigungen und Bürgerrechtsgruppen, die zweite Welle von sämtlichen Gewerkschaften. Doch dann nahm die Regierung das Heft in die Hand. Es ging ihr nun darum, «nationale Einheit» auch mit der konservativen Opposition zu demonstrieren. Und die Pariser Kundgebung wurde vom ursprünglich geplanten Termin am Samstag auf Sonntag verschoben, damit, medial in Szene gesetzt, auch 45 Staats- und Regierungschefs mitmarschieren konnten. Darunter befanden sich Diktatoren der französischsprachigen Einflusszone in Afrika wie Idriss Déby aus dem Tschad und Ali Bongo aus Gabun.

Die Regierung will jetzt mit neuen Gesetzen reagieren. Bereits angekündigt ist eine schärfere Überwachung des Telefonverkehrs und des Internets. Ob damit künftige Attentate verhindert werden können, ist allerdings fraglich. Denn zumindest die Brüder Kouachi und Coulibaly haben sich keineswegs «im Internet radikalisiert», wie man damit glauben machen will, sondern im nicht virtuellen Leben innerhalb einer salafistischen Sekte. Konservative Prominente wie die ehemalige Hochschulministerin Valérie Pécresse fordern seit Anfang der Woche bereits einen «Patriot Act à la française» – eine Anspielung auf die nach den Attentaten von 2001 in den USA eingeführten neuen Antiterrorgesetze. Damit würden künftig auch in Frankreich die BürgerInnen grossflächig bespitzelt.