Kommentar zu den Olympischen Spielen in Rio: Ein bisschen Party vor dem Kater
Die Euphorie über Olympia ist längst verpufft. Im krisengeschüttelten Brasilien ist zu spüren, dass man sich mit den Spielen vielleicht übernommen hat.
An diesem Freitagabend beginnen in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele. Es werden wahrscheinlich die letzten sein, die der Bevölkerung mit den alten Versprechen verkauft werden konnten: mehr Jobs, bessere Verkehrsinfrastruktur, nützliche neue Arenen, tolle Stadtwerbung. Und das alles praktisch umsonst, weil sich die hohen Investitionen durch den ausgelösten Wirtschaftsboom in ein Plus verwandeln.
Dass nichts davon stimmt, haben zahlreiche Studien nachgewiesen. Am deutlichsten zeigten es die Spiele von Athen 2004. Sie trugen dazu bei, die Stadt, ja ganz Griechenland in eine Schuldenkrise zu stürzen. In Beijing 2008 liess sich wiederum beobachten, wie ein autoritäres Regime Olympia benutzte, um die Stadt massiv umzubauen – ohne Rücksicht auf die ärmere Bevölkerung und die Stadtgeschichte.
In gewisser Weise stellte bereits Beijing die Zukunft der Spiele dar. Denn wo immer man heute in einer demokratisch aufgeklärten Gesellschaft die Bevölkerung fragt, ob sie Olympia in ihrer Stadt haben will, votiert sie dagegen. So war es zuletzt in Bezug auf die Winterspiele 2022. Die Städte Oslo und Stockholm zogen ihre Bewerbungen zurück, weil sie die hohen Ausgaben fürchteten. Krakau, München und St. Moritz/Davos hielten Referenden ab, die mit einem Nein endeten. Am Ende bewarben sich nur noch das kasachische Almaty und Beijing. Es deutet viel darauf hin, dass globale Sportevents schon bald nur noch in autoritären Staaten möglich sein werden. Beispiele sind bereits die Fussballweltmeisterschaften in Russland und Katar.
In Brasilien wird man sich erst jetzt bewusst, dass Olympische Spiele im besten Fall «nicht mehr als eine grosse Party» sind. So formulierte es der brasilianische Wissenschaftler und Uno-Berater Pedro Trengrouse, der die Auswirkungen sportlicher Grossereignisse erforscht hat. So eine Party verlange teure und lange Planungen, und hinterher habe man einen Kater, sagt er. Aufräumen müsse man sowieso alleine, wenn die Feiergesellschaft längst weitergezogen sei.
Doch in Rio könnte selbst die Party gedämpfter ausfallen als erwartet. Viele BrasilianerInnen befürchten nicht ohne Grund, dass etwas schiefgehen könnte. Dass beispielsweise wieder etwas einstürzt, wie der neue, auf Stelzen gebaute Veloweg entlang der Küste, den die Stadt als Teil des olympischen Infrastukturerbes gepriesen hatte; zu viel ist erst auf den letzten Drücker fertig geworden, zuletzt eine U-Bahn-Linie.
Genauso gibt es die berechtigte Angst, dass AthletInnen bei einem der Raubüberfälle, die in diesem Jahr wieder stark zugenommen haben, zu Schaden kommen könnten. Oder dass die Segelwettbewerbe inmitten von Treibmüll stattfinden, weil der Wind über der völlig verdreckten Guanabarabucht am Austragungstag ungünstig steht. Olympiaeuphorie ist in der Olympiastadt vor der Eröffnung der Spiele jedenfalls nicht zu spüren, eher abwartende Skepsis.
Das war einmal anders. Als Rio die Spiele 2009 zugesprochen bekam, weinte die brasilianische Delegation vor Freude. Brasiliens damaliger Präsident Lula da Silva lief mit einer brasilianischen Flagge durch die Halle und verteilte Küsschen. Er war der neue Superheld des Globalen Südens. Die Spiele waren der letzte Beweis.
Tatsächlich hatte sich auch die Linke Brasiliens von den Versprechen des Internationalen Olympischen Komitees verführen lassen, war der Symbolik und dem Zauber des Moments erlegen. Zu spät begriff sie, dass die Spiele in Rio benutzt würden, um die Stadt nach den Interessen einer kleinen Gruppe umzubauen.
Die grossen Gewinner der Olympischen Spiele, das steht heute fest, sind das südliche Reichenviertel Barra da Tijuca sowie die mit dem Rathaus verquickte Immobilienwirtschaft. Die Masse der Menschen in Rios riesiger Nordzone hat hingegen nicht viel von Olympia. Ebenso wenig wie die Menschen in den Favelas, diesen Inseln der Armut inmitten der Stadt. Dort übernehmen nun die Drogenkommandos wieder die Macht, weil die Einheiten der Befriedungspolizei kollabieren – auch dies eine Folge der Pleite des Bundesstaats Rio de Janeiro. Ebenso wie die PolizistInnen bekommen auch Rios LehrerInnen und Spitalangestellte seit Monaten ihre Gehälter nicht rechtzeitig ausbezahlt.
Eduardo Paes, der ansonsten meist vorlaute und selbstgerechte Bürgermeister Rios, hat nun zugegeben, dass die Spiele eine vergebene Chance seien. Brasilien stecke in einer Wirtschafts- und Staatskrise und könne sich nicht von seiner besten Seite präsentieren. Es scheint, als ob der Olympiagastgeber merke, dass er sich mit der grossen Party übernommen hat.