Organspende: Wissen, wozu man Ja sagt

Nr. 26 –

«Nehmen Sie Ihren Angehörigen den Entscheid ab!» Mit diesen Worten endet der Werbespot der Stiftung Swisstransplant, der ab nächster Woche auf allen Kanälen läuft. Nach dem digitalen Organspendeausweis für das Smartphone und einer Kampagne in Schulklassen ist der Spot ein weiterer Schritt auf dem Weg zu mehr Organspenden. Heute werden im Schnitt jährlich vierzehn Personen pro Million EinwohnerInnen Organe entnommen – bis 2018 sollen es zwanzig sein. Denn, so argumentiert Swisstransplant: Die Warteliste der Menschen, die ein neues Organ benötigen, wächst; pro Woche sterben zwei von ihnen.

Der moralische Druck, die eigenen Organe zu spenden, steigt. Aus ethischer Sicht ist das problematisch. «Von einem Mangel an Organen zu sprechen, ist bereits eine Wertung», sagt die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle. «Das impliziert die Verpflichtung, Organe zu spenden.» Trotzdem erlaubt das Transplantationsgesetz in seiner vor wenigen Tagen abgeschlossenen Revision neu, «den Bedarf an Organen, Geweben und Zellen sowie den Nutzen der Spende für die Patientinnen und Patienten» zu bewerben. Und Swisstransplant wird nicht müde zu behaupten, neunzig Prozent der Bevölkerung würden eine Organspende befürworten. Die Frage ist: Wissen diese neunzig Prozent, wozu sie Ja sagen?

Seit es die technische Entwicklung in der Medizin möglich gemacht hat, einen Menschen mit einer Herz-Lungen-Maschine künstlich am Leben zu erhalten, ist der Tod zu einem Phänomen geworden, das definiert werden muss. 1968 erarbeitete eine Kommission der Universität Harvard Richtlinien zur Diagnose des Hirntods. Sie sollte den zweckorientierten Zugriff auf KomapatientInnen legitimieren. Diese künstliche Festlegung des Todeszeitpunkts hat aber zu einem Paradox geführt: Plötzlich besteht der Mensch aus einem toten Teil, dem Gehirn, und einem noch lebenden Teil, dem Körper.

Und das wiederum stürzt sämtliche an einer Organspende Beteiligten in ein Dilemma: Sie stehen einem Menschen gegenüber, der durchblutet wird und sich warm anfühlt, ja sogar noch ein Kind bis zur Geburt reifen lassen könnte. Ist dieser Mensch wirklich tot, wenn man ihm die Organe entnimmt?

«Heute betrachtet man das Hirn als die zentrale Einheit des Menschen, die sowohl die Persönlichkeit ausmacht als auch lebensnotwendige Funktionen des Organismus steuert», schreibt das Bundesamt für Gesundheit. «Ohne Hirnfunktion unterbleibt die Steuerung des Organismus, und das Bewusstsein ist erloschen. Der Mensch ist tot.» Das allerdings ist eine biologistisch-technokratische Definition, die längst nicht alle Fachleute teilen.

Zwar soll eine ganze Reihe Tests eindeutig nachweisen, dass sämtliche Hirnfunktionen definitiv erloschen und nicht nur temporär ausgefallen sind, weil etwa eine Medikamentenvergiftung vorliegt. Doch werden den PatientInnen bei einigen dieser Reflextests gezielt Schmerzen zugefügt. Wer bezweifelt, dass der Ausfall aller Hirnfunktionen mit dem Tod gleichgesetzt werden darf, sieht sich mit der Frage konfrontiert: Wird hier ein Mensch gefoltert?

Nicht minder beunruhigend ist, dass – wegen noch funktionstüchtigen Rückenmarks – drei von vier für hirntot Erklärte sich noch bewegen können und bei der Organentnahme mit Beinen und Armen ausschlagen. Manche reagieren auf das Skalpell auch mit schnellerem Herzschlag oder einem Schweissausbruch. Um solche Stressreaktionen zu verhindern, narkotisiert man die «Toten» meist. Das soll in erster Linie die Organe schonen, aber es auch für ÄrztInnen und Pflegende erträglicher machen.

Der Prozess von der Feststellung des Hirntods über die Organentnahme bis zur Transplantation wird zwar von Swisstransplant koordiniert, ist aber ansonsten so stark fragmentiert, dass keine einzelne beteiligte Person ihn in seiner Gesamtheit erfährt. Selbst bei der Organentnahme betritt für jedes Organ ein anderer Chirurg mit seinem Team den Operationsraum. Etwaige Schuldgefühle werden so auf ein grosses Kollektiv in einem riesigen Apparat verteilt – und dadurch neutralisiert.

Wer letztlich die Verantwortung trägt, verrät der Werbespot von Swisstransplant: die OrganspenderInnen. Und das sollten jene neunzig Prozent wissen, bevor sie Ja sagen.