Gefängniskunst: Ein kleines Fenster

Nr. 27 –

Letzten Freitag fiel der tödliche Schuss auf den flüchtigen, wegen Mord verurteilten Richard W. Matt (49). Anfang Juni hatten es Matt und sein Zellennachbar geschafft, aus der Clinton Correctional Facility, dem grössten Hochsicherheitsgefängnis des Staates New York, auszubrechen – eine zum Spektakel inszenierte Menschenjagd begann. Darüber, wie ein solcher Ausbruch überhaupt gelingen konnte, wurde viel gerätselt. Nun fügen sich die Puzzleteile zu einem Bild: Ein Gefängnisangestellter gestand, Werkzeug ins Gefängnis geschmuggelt zu haben – im Austausch gegen Kunst. Denn im Clinton galt Matt als begabter Künstler. Zahlreiche Porträts von Mithäftlingen, Angestellten und deren Angehörigen entstanden während seiner Haft. Vor allem ein Sujet scheint Matt aber nicht mehr losgelassen zu haben: die Schönen, Reichen und Mächtigen dieser Welt. Da ist ein gemaltes Porträt von Angelina Jolie, in königlich anmutender Haltung, da ist Barack Obama in Bleistift, mit stolzem und optimistischem Ausdruck. Hinter ihm Martin Luther King, unter ihm die Inschrift «Dream Fulfilled». Auch die Clintons sind dabei. Beide in Bleistift, mit selbstsicherem und sympathischem Gesichtsausdruck.

Tatsächlich gilt die Darstellung berühmter Menschen als eine beliebte Ausprägung von «Prison Art». Aber warum verbrachte «einer wie» Richard Matt, der als «gefährlicher, gefährlicher Mensch» bezeichnet wurde, Stunden damit, den Schwung von Julia Roberts Lippen, die kleinen Falten um Obamas Augen oder Hillary Clintons direkten Blick in die Kamera möglichst realitätsnah wiederzugeben? Vielleicht ist es eine andere Art von Eskapismus. Vielleicht einfach die Flucht aus einer Realität, in der das Fenster zur Welt immer kleiner wird und ihre prägendsten RepräsentantInnen die gebleichten Zähne und retuschierten Gesichter der Schönen, der Reichen, der Mächtigen zu sein scheinen.