Vitra Design Museum: Weit weg von Fairtrade-Ästhetik
Design aus Afrika ist weit mehr als Kunsthandwerk. Dies zeigt «Making Africa – A Continent of Contemporary Design». Die Ausstellung präsentiert eine Generation von GestalterInnen, die Design als Ausdruck von ökonomischem, politischem und sozialem Wandel verstehen.
Afrika ist längst en vogue. Die Expressionisten orientierten sich an den fremd anmutenden Skulpturen, die Kubistinnen an abstrakten afrikanischen Formensprachen, die Surrealisten begeisterten sich ob der Magie des fernen Kontinents. «Afrika wird immer wieder neu entdeckt», sagt Okwui Enwezor, der bei der Konzeption von Amelie Kleins Ausstellung «Making Africa – A Continent of Contemporary Design» beratend tätig war. Der Direktor am Haus der Kunst in München und Kurator der diesjährigen Biennale in Venedig möchte Afrika aber nicht als neue modische Aktualität diskutieren. Denn was in Europa immer wieder als Trend erkannt werde, existiere in Afrika schon lange. Zudem unterstreiche diese Sicht die Trennung des Kontinents vom Rest der Welt. Afrikanisches Design habe stattdessen oft eine politische Dimension und stelle die «Selbstgefälligkeit des Massenkonsums» infrage.
Okwui Enwezor will das «Making» im Ausstellungstitel als subversiven Akt verstanden wissen, als Erforschung neuer Sichtweisen, Konzepte und Produktionsweisen. Bereits 1994, als er ein Magazin für Kunst und Design gründete, nannte er dieses «Nka». In seiner Muttersprache Igbo heisst das «kreieren», «machen» und «erfinden», bedeutet aber auch «Kunst». In Basaa, einer kamerunischen Sprache, versteht man unter «Nka» auch «Diskurs». «Menschen fragen mich oft, wann ich das erste Mal im Museum war», sagt er, «als ob ein Museum der einzige Ort wäre, an dem man Kunst erlebt!» Er spricht sich dafür aus, sowohl den Begriff der Kunst als auch den des Museums zu öffnen. Dem Magazin den Namen «Nka» zu geben, war für ihn ein Weg, diese Grenzen zu überwinden.
Frisuren, Häuser und «Afronauten»
Übersichtlich, in vier Kapitel gegliedert, zeigt das Vitra Design Museum in Weil am Rhein nun einige bekannte Werke, so ein Foto aus der Serie «Hairstyles and Headdresses» des Nigerianers J. D. Okhai Ojeikere (1975) und die Sitzhocker der Möbelserie «Taboo» des senegalesischen Designers Bibi Seck, die zu 85 Prozent aus alten Plastiksäcken und -flaschen hergestellt wird (2010).
Zu sehen sind ferner so unterschiedliche Werke wie ein Abbild von Justin Plunketts «Skhayascraper», einem aus Wellblech zusammengesetzten Hochhaus in Kapstadt (2013), und ein Poster der französisch-kongolesischen Sängerin Taali M. von Pierre-Christophe Gam (2012). Gezeigt werden der Schwarzweissfilm «Afronauts» der ghanaischen Filmemacherin Frances Bodomo (2014) und die metallene Polstergruppe «Fauteuil Sansa bleu» des malischen Möbeldesigners Cheick Diallo (2011), ein Kleid der senegalesischen Modeschöpferin Oumou Sy (2002) und das Internet- und Handyspiel «Mosquito Smasher» der nigerianischen Firma Maliyo Games, das heute über achtzig Millionen Spielende zählt. Und aus der Sammlung des Museums wird ein aus Sturmgewehren zusammengesetzter «Thron» des moçambiquanischen Künstlers Conçalo Mabunda (2012) gezeigt.
Auch andere Objekte haben durchaus eine politische Dimension – ohne weitere Erklärungen. Zum Beispiel «Alkebu-Lan 1260 AH» von Nikolaj Cyon (2011). Es stellt eine Landkarte Afrikas dar, die zeigt, wie der Kontinent gesehen werden könnte, wäre ihm der europäische Kolonialismus erspart geblieben. Obschon die Grenzziehungen auf Cyons Karte und auch die Zuordnung einzelner Bevölkerungsgruppen zu einem Staatsgebiet weitgehend fiktiv sind, lassen sich Orte und Menschengruppen identifizieren. Die Karte kommt in ihrer kolonialen Ästhetik so authentisch daher, dass sie gekonnt jene Autorität vortäuscht, die politische Landkarten für die mit Schulatlanten aufgewachsenen BesucherInnen ausstrahlen. Afrika ist auf der Karte oben und farbig, Europa im unteren Drittel der Karte bleibt weiss, bleibt Terra incognita. Auch weil dort nur wenige Ortsnamen und wenige Volksgruppen aufgeführt sind, wirkt der afrikanische Kontinent im Unterschied dazu differenziert, bevölkert, politisch und kulturell relevant. Europa hingegen bleibt farblos, einheitlich und irrelevant.
Zwischen den Disziplinen
Die Ausstellung umfasst Arbeiten von über 120 DesignerInnen und KünstlerInnen. Die gezeigten Objekte bewegen sich zwischen den Disziplinen, zwischen Möbeldesign und Grafik, Mode und Architektur, Kunst und Handwerk, Digitalem und Analogem. Somit verspricht die Ausstellung, eine Antwort auf die Frage zu geben, was Design im 21. Jahrhundert auszeichnet: Die Werke werden nur selten in grosser Stückzahl produziert, dafür oft im Kollektiv. Sie entstehen dezentral, doch meist im urbanen Kontext. Sie orientieren sich eher am Prozess als am Ergebnis. «Oft entstammen sie der informellen Maker-Kultur, wo mit traditionellen und elektronischen Werkzeugen Vorhandenes umgestaltet und Neues produziert wird. Sie schlagen eine Brücke zwischen der digitalen Revolution und unserer analogen Existenz. Sie denken Materialien radikal neu», heisst es im programmatischen Einleitungstext am Eingang zur Ausstellung. Dieser gipfelt im Postulat: «Sie übernehmen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft statt gegenüber dem Markt.»
Die Ausstellung will viel, der verwendete Designbegriff auch. Dieser ist nämlich nicht mehr produkt- und funktionsorientiert, sondern beschreibt Positionen, Projekte und Prozesse, die zwischen den Künsten stehen. Design wird so zur Metadisziplin, die alles zu integrieren behauptet und dadurch kaum mehr zu fassen ist. Trotzdem ermöglicht die Ausstellung mit diesem offenen Zugang zum zeitgenössischen Design- und Kunstschaffen in Afrika einen erweiterten Blick auf den Kontinent: Sie schafft es, unser Bild des Defizits, das wir gemeinhin mit dem Kontinent assoziieren, zu relativieren.
«Making Africa – A Continent of Contemporary Design» ist noch bis am 13. September 2015 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein (D) zu sehen. Im Herbst wird die Ausstellung im Guggenheim-Museum in Bilbao eröffnet. www.design-museum.de
Kurator und Autor
Okwui Enwezor (51) kam 1963 in Nigeria zur Welt und lebt seit 1983 in den USA. Seit 2011 ist er Direktor des Münchner Hauses der Kunst, ausserdem ist er der künstlerische Leiter der diesjährigen Biennale in Venedig.
Seit er 1996 für das New Yorker Guggenheim- Museum die Ausstellung «In/sight» zur Geschichte der afrikanischen Fotografie organisiert hat, trägt der Kurator und Autor wesentlich dazu bei, die einseitige Fixierung des Kunstbetriebs auf Europa und die USA aufzubrechen und die Aufmerksamkeit auf Positionen aus den neuen Kunstzentren in Afrika, Asien und Südamerika zu lenken.
Die Begriffe «postkolonial», «transnational», «interdisziplinär» und «deterritorial» sind von zentraler Bedeutung für Okwui Enwezor. Er bezieht sich damit explizit auf Frantz Fanons Standardwerk von 1961, «Les Damnés de la Terre» («Die Verdammten dieser Erde»).