53. Biennale von Venedig: Kein Mätzchen, kein Skandal
Angesichts der Krise gibt sich die Kunst ernst und bescheiden wie lange nicht mehr. Und weiss dennoch zu gefallen.
War das nun ein guter Jahrgang? Doch eher nicht? Eigenartig, wie unentschieden wir auf diese Frage nach drei Tagen Biennale reagieren. Gesehen haben wir wie immer vieles, sehr vieles. Belangloses, aber auch einiges, für das sich die Reise gelohnt hat. Was hingegen unzweifelhaft ist: So anspruchslos, so bescheiden war schon lange keine Biennale mehr. Keine kuratorischen Mätzchen werden feilgeboten, keine skandalträchtigen KünstlerInnen präsentiert, keine philosophischen Höhenflüge unternommen, und auch politische Ambitionen sind keine auszumachen.
Zwar mag der Titel der Hauptausstellung hochgestochen klingen: «Fare Mondi, Making Worlds, Weltenmachen» - doch der schwedische Kurator Daniel Birnbaum, von Haus aus Philosoph und aktuell Rektor an der Frankfurter Städelschule, situiert das Motto auf pragmatischer Ebene. Er meint damit in erster Linie die Pluralität der Sprachen, mit denen Kunstschaffende «ihre Vision der Welt» ausdrücken. Dagegen ist nichts einzuwenden. Der globalisierte Kunstbetrieb ist längst Tatsache, dominante Strömungen sind keine mehr auszumachen, jede Künstlerin, jedes Werk ist eine abgeschlossene Einheit im unüberschaubaren Kunsthimmel.
Dramaturgischer Paukenschlag
Feierliche Dunkelheit, durchbrochen von fein beleuchteten goldenen Fäden, empfängt die BesucherInnen im ersten Raum des Arsenale. Doch die Andacht, in die uns die Rekonstruktion einer Arbeit der 2004 verstorbenen brasilianischen Künstlerin Lygia Pape versetzt, ist nur kurz. In einer wütenden Performance hat Michelangelo Pistoletto, 1933 in Italien geboren, zwanzig der 22 riesigen, goldgerahmten Spiegel zertrümmert. Auf diesen Paukenschlag folgt ein stilles Intermezzo, ein Raum mit kleinformatigen Werken, darunter die «Drawing Poems» der Ägypterin Susan Hefuna, die den Akt des Zeichnens mit dem Bau eins Gebäudes vergleicht. Gleich daneben macht Marjetica Potrc in ihren Zeichnungen Vorschläge für nachhaltige Architekturen.
Spannungsbögen dieser Art sind offensichtlich nach Birnbaums Geschmack und vermögen sich im endlosen Schlauch des Arsenale bestens zu entfalten. Auch wenn die Spannung zwischendurch mal abfällt, für das Biennale-Publikum ist diese rhythmisch-pulsierende Abfolge durchaus bekömmlich. Weder fühlt man sich bemüssigt, dauernd nach Beziehungen zwischen den Werken zu fragen noch irgendein konzeptuelles Grundgerüst der Ausstellungen zu reflektieren. Stattdessen gleitet man von Raum zu Raum, legt hie und da kurze Zwischenstopps ein - etwa in der opulenten Installation eines afrikanischen Dorfs von Pascale Marthine Tayou (Kamerun) oder vor den bewegten Schattenbildern von Paul Chan. Plötzlich steht man vor Spencer Finchs farbig gefilterten Fenstern namens «Moonlight» und stellt erstaunt fest, dass hier das «Weltenmachen» bereits zu Ende geht. Die Ausstellung ist nicht nur kleiner als sonst, sie ist auch leichter, beschwingter. Dafür hat man im hinteren Teil des Arsenale Platz geschaffen für neue Länderpartizipationen, für Chile, die Arabischen Emirate, die Türkei und für China, vor allem aber für Italien, das vor Jahren seinen ursprünglichen Pavillon in den Giardini der Hauptausstellung geopfert hatte.
Im Berlusconi-Land
Ableger der Ausstellung erwarten uns draussen vor der ehemaligen Werft, etwa ein grau bemaltes, US-amerikanisches Mittelklassehaus von Mike Bouchet weit draussen auf einem Floss. Vor der spektakulären Kulisse Venedigs nimmt sich der Inbegriff des amerikanischen Traums wie ein Kommentar zur Finanzkrise aus, deren Ursprung in der Immobilienblase liegt. Einen Tiefschlag hingegen stellt der italienische Beitrag dar. Was im Berlusconi-Land unter dem Begriff «Collaudi» (Tests), einem Lieblingsbegriff des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti, präsentiert wird, ist Kitsch ersten Ranges, zudem noch mit faschistoidem Beigemüse. Die Lektion in Bescheidenheit, die Daniel Birnbaum nebenan vorführt, ist in Italien nicht angekommen. Hier wird richtig geklotzt und der Versuch unternommen, eine recht sonderbare Geschichte der Kunst zu entwerfen.
Ganz anders die Stimmung im verwunschenen Garten am Ende des Arsenale: Ein geheimnisvolles Gatter verspricht den zum märchenhaften Reich der französischen Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster, die das Melancholische, das Rätselhafte, das sich Entziehende liebt.
Nach wie vor sind die sogenannten Giardini das Herzstück der Biennale. Hier findet im ehemaligen italienischen Pavillon, neu zum ganzjährig bespielten Palazzo delle Esposizioni erkoren, der zweite Teil der Hauptausstellung statt. Und dann sind hier selbstverständlich die nationalen Pavillons versammelt, in denen sich die alte Weltordnung mit Zentrum in Europa spiegelt. Inzwischen ist die Zahl der Länder auf 77 angewachsen, die Ausstellungsorte sind über ganz Venedig verteilt. Bereits 1920 war die Schweiz zum ersten Mal an der Biennale Venedig vertreten, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Entscheidung, auf dem Giardini-Gelände einen nationalen Pavillon zu errichten. Durch besonderen Mut haben sich die Schweizer Beiträge selten ausgezeichnet, erst in den achtziger Jahren kamen jüngere Kunstschaffende zum Zug, vorher hatten hier gestandene Positionen Vorrang.
Es bröckelt im Wohnhaus
Auch heuer herrscht im Schweizer Pavillon «courant normal»: Mit Silvia Bächli hat man eine Künstlerin entsandt, die über jeden Zweifel erhaben ist. Seit Jahrzehnten entwickelt sie still und konsequent ihr zeichnerisches Oeuvre, die Präsentation - aufgelockert mit einigen Fotos aus Irland, wo die Künstlerin im letzten Jahr weilte - weiss in ihrer konzentrierten Luftigkeit zu gefallen. Auch der Genfer Fabrice Gygi hat seine Aufgabe makellos erfüllt: Seine technoiden Gestelle in der Kirche San Staë - zweiter Präsentationsort der Schweiz - setzen einen Kontrapunkt zur barocken Umgebung.
Dass es auch anders geht - frecher, witziger, doppelbödiger - zeigt der gemeinsame Beitrag von Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden. Vor dem dänischen Pavillon steht ein Schild «For Sale», drinnen hat das Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset unter dem Titel «The Collectors» ein bürgerliches Wohnhaus eingerichtet, in dem es an etlichen Stellen bröckelt. Im Haus nebenan hat die Katastrophe bereits stattgefunden, tot schwimmt der Besitzer im Pool, im modernistischen Interieur hängen noch die Werke des Sammlers, darunter Trendiges von Wolfgang Tillmanns oder Maurizio Cattelan. Ein treffenderes Bild für die Krise lässt sich kaum vorstellen, auch wenn davon in Venedig noch wenig zu spüren ist. Eben hat hier der französische Unternehmer François Pinault - ihm gehören nicht nur die Modemarke Yves Saint Laurent, die Mediamarktkette Fnac oder die Sportmarke Puma, sondern auch das Auktionshaus Christie’s sowie die international operierende Galerie Haunch of Venison - ein neues Museum eröffnet. Bereits vor drei Jahren hat er der Agnelli-Familie den Palazzo Grassi abgekauft; mit dem 25-Millionen-Euro-Umbau der alten Lagerhallen an der Punta della Dogana ist Pinault endgültig zum venezianischen Kunst-Tycoon aufgestiegen. Hier - und nicht an der Biennale - sind die Trophäen des Kunstbooms der letzten Jahrzehnte zu besichtigen.
Stille Höhepunkte
Nach dem Abstecher in die Niederungen des Marktes weiss man die entspannte Atmosphäre in den Giardini umso mehr zu schätzen. Hier sind die echten Trouvaillen zu finden, etwa die Filme von Fiona Tan im holländischen Pavillon. Für «Disorient» reiste die aus Indonesien stammende Tan auf den Spuren des Venezianers Marco Polo durch die Welt und kontrastiert ihre Reiseaufnahmen mit Bildern aus einer orientalischen Wunderkammer. Entstanden ist ein betörendes Tableau, untermalt von einer Erzählstimme, die Passagen aus Polos Reisebeschreibungen liest.
Zu überzeugen weiss auch Roman Ondaks genial einfacher Eingriff im tschechischen Pavillon: Im Innern treffen wir auf die gleiche Vegetation wie draussen im Park - ein irritierendes Kontinuum, in dem Innen und Aussen ineinander fallen. Eine perfekte Illusion erzeugt auch Krzysztof Wodiczko im polnischen Pavillon: Durch projizierte «Fenster» beobachten wir vorbeiflanierende Menschen, kleine Gruppen, die sich miteinander unterhalten, vor allem aber eine Reihe von Fensterputzern, die sich am milchigen Glas zu schaffen machen. «Guests» nennt Wodiczko seine raffinierte Installation, und wenn wir uns über Kopfhörer ihre Geschichten anhören, dann erfahren wir, dass es sich bei diesen «Gästen» um MigrantInnen handelt, das «Draussensein» bekommt so noch eine ganz anderen Sinn.
Im Vergleich zu diesen stillen Höhepunkten nimmt sich der zweite Teil von Birnbaums «Weltenmachen» im Palazzo delle Esposizioni doch eher enttäuschend aus. Deutlicher als im Arsenale fällt hier sein Rückbezug auf historische Positionen der Gegenwartskunst ins Auge, zu Blinky Palermo, André Cadere oder Öyvind Fahlström etwa. Offenbar ist es ihm ein Bedürfnis, der aktuellen, höchst heterogenen Kunstproduktion ein tragfähiges Fundament zu geben. Vor allem aber gelingt es Birnbaum und Ko-Kurator Jochen Volz in diesen musealen Räumen nicht, eine dramaturgische Spannung aufzubauen. Zwar finden sich auch hier konträre Ansätze in Nachbarschaft; so folgt auf die poetischen Galaxien von Tomas Saraceno ein wahres Monsterkabinett von Nathalie Djurberg, in dem es ungehemmt quillt, tropft und blubbert. Doch sind die beiden Räume so hermetisch voneinander getrennt, dass man gar nicht erst versucht ist, eine Verbindung herzustellen.
In diesem Teil von «Making Worlds» zeigt sich die Schwäche dieser Ausstellung deutlich. Kein Konzept, kein Thema, keine starkes Statement - was im Arsenale als Bescheidenheit, als Entlastung der Kunst vor überzogenen Ansprüchen, durchging, entpuppt sich im Palazzo delle Esposizioni als eintönig und beliebig, eine Ansammlung von mehr oder weniger gelungenen Werken, die auch individuell wenig Kraft oder Präsenz entwickeln. Eine Welt zu erschaffen, wie das die Kuratoren in ihrem Motto von den KünstlerInnen fast ultimativ verlangen, ist ihnen selbst auf der Ebene der Ausstellung nur in Ansätzen gelungen.
Die Bilanz ist durchmischt, aber alles in allem hat das Kuratorium den Geist der Zeit wohl ganz gut getroffen. Ganz zum Schluss bleiben wir einmal mehr bei Dominique Gonzalez-Foerster hängen. In ihrem Film «De novo» erzählt sie uns die Geschichte einer Künstlerin - ist es sie selbst? -, die mehrmals eingeladen wurde, an der Biennale teilzunehmen, und doch immer wieder scheiterte, weil ihre Arbeiten entweder leicht zu übersehen waren oder gänzlich unsichtbar blieben. Den verwunschenen Garten aber haben wir gesehen und werden ihn nicht so schnell vergessen.
Biennale Venedig. Bis 22. November. www.labiennale.org