Ökomanifest: Dokument eines entfesselten Optimismus
Antiromantisch und wildnisverliebt, rhetorisch progressiv und völlig apolitisch: Ein «ökomodernistisches Manifest» aus Kalifornien bezirzt mit intellektuellem Sexappeal.
Vergesst Biolandbau, und intensiviert die Hightechlandwirtschaft! Vergesst erneuerbare Energien, und forciert die Atomenergie!
Die AutorInnen eines Manifests, das solches postuliert und seit April für Debatten in interessierten Kreisen sorgt, sind keine Anti-UmweltschützerInnen. Sie sehen sich als die wahren ÖkologInnen, genauer: «Ökomodernistinnen» und «Ökopragmatiker». Sie gehen davon aus, dass wir in einer neuen geologischen Epoche leben – im Zeitalter des Anthropozäns –, in der der Mensch zum bestimmenden Faktor auf dem Planeten Erde geworden ist. Das könne schlimm herauskommen, gewiss, aber: «Wissen und Technik, weise angewandt, könnten ein gutes, ja grossartiges Anthropozän möglich machen.»
Das «Ecomodernist Manifesto» aus dem Umfeld des kalifornischen Thinktanks Breakthrough Institute ist ein Dokument eines entfesselten Optimismus, das sich nüchtern gibt, eben: pragmatisch. «Wir glauben», heisst es da, «dass menschliche Prosperität und ein ökologisch lebendiger Planet nicht nur gleichzeitig möglich, sondern untrennbar sind.» Prosperität bedeute namentlich in Entwicklungsländern aber, den Pro-Kopf-Energieverbrauch zu steigern. Es geht mithin darum, einen Ausweg zu finden aus einem Dilemma: Der Gesamtenergieverbrauch wird, ja soll steigen, gleichzeitig müssen Erdöl, Kohle und Gas aufgegeben werden, soll sich das Klima um nicht mehr als zwei Grad erwärmen. Mit erneuerbaren Energien sei das Dilemma nicht zu lösen.
Eine radikale Fortschrittsgeschichte
Da haben die Ökopragmatisten, im Gegensatz zu vielen Erneuerbaren-Enthusiastinnen, wohl recht. Doch gleich darauf verlassen sie ihren Realismus und verkünden kühn, es gebe einen technischen Ausweg: Atomspaltung und -fusion (ergänzt mit etwas fossiler Energie mit CO2-Abscheidung sowie Photovoltaik). Eine «neue Generation» von Atomtechnik könne die «sozialen, ökonomischen und institutionellen Herausforderungen» der Atomenergie meistern.
Einmal abgesehen davon, was man von der Atomenergie hält: Es gibt keine Energieform, deren Entwicklung mit staatlichen (oft militärischen) Forschungsgeldern derart gefördert worden wäre, wie sie. Gleichwohl ist die Atomspaltung weit davon entfernt, sicher, ausreichend und kostengünstig zu sein, und ob die Kernfusion je zu etwas anderem taugen wird als dazu, Forschungsmilliarden zu verschlingen, steht in den Sternen.
Man könnte das Dilemma natürlich politisch statt technisch lösen – indem die Überflussgesellschaften ihren Energieverbrauch so weit drosselten, dass die Mangelgesellschaften den ihren erhöhen könnten, anders gesagt: durch eine gerechtere Ressourcenverteilung. Das Manifest hält solches für illusorisch und mag damit auch nicht ganz falsch liegen. Aber das hebt nur das Dilemma auf ein anderes Niveau: Folgen wir einem politisch utopischen oder einem naiv technikgläubigen Szenario? Die ÖkomodernistInnen bevorzugen Letzteres, und sie versuchen, diese Position plausibel zu machen, indem sie die Menschheitsgeschichte radikal als einzige grosse Fortschrittsgeschichte deuten.
So lobt das Manifest die Grüne Revolution als vorbildhaft. Darunter versteht man die konzentrierten Anstrengungen von Geldgebern des Westens (Weltbank, US-Regierung, Rockefeller Foundation) ab den sechziger Jahren, um die Landwirtschaft in der «Dritten Welt» nach einem bestimmten Paradigma zu intensivieren. Die Grüne Revolution ging tatsächlich mit einer enormen Steigerung der Erträge einher.
Unpolitischer Kampfbegriff
Enorm waren aber auch die sozialen und ökonomischen Kosten, und nichts spricht dagegen, dass dieselben Ertragssteigerungen ebenso möglich gewesen wären, hätte man mit gleicher Entschlossenheit ein ganz anderes Paradigma verfolgt – beispielsweise das, was heute Biolandbau heisst, kombiniert mit Landreformen. Dass die Grüne Revolution als politisches Projekt des Kalten Kriegs explizit darauf abzielte, solche Alternativen zu verhindern, liegt ausserhalb des Fokus des Manifests.
Der «Ökomodernismus» ist unpolitisch: Er will politische Probleme technisch lösen und ignoriert die politische Bedingtheit von Technik. Er huldigt einem Entwicklungsmodell, das nur zwei Richtungen kennt: vorwärts oder zurück. Was das Manifest unter «modern» versteht, definiert es nicht; «Ökomodernismus» ist, wie der Wissenschaftsphilosoph Bruno Latour in einem bissigen Kommentar feststellt, ein Kampfbegriff, der dazu dient, zu vernebeln statt zu erhellen.
Das Manifest richtet sich gegen den Glauben, dass es gelte, Mensch und Natur auszusöhnen – eine solche Harmonie könne es nicht geben. Das tönt irgendwie progressiv. Aber das Manifest drischt damit auf einen Popanz ein. Denn niemand in der Umweltdebatte vertritt ernsthaft das Postulat eines harmonischen Mensch-Natur-Verhältnisses.
Und während das Manifest einem unsichtbaren Gegner romantische Harmoniesüchte unterstellt, reiht es sich ironischerweise selber in eine letztlich romantische Tradition ein: in die vor allem in den USA bedeutende Wildnisbewegung, die der Gründung der ersten Nationalparks Patin stand. Das Zauberwort des Manifests in diesem Kontext lautet Entkoppelung. Menschliche Aktivitäten müssten von Umweltwirkungen entkoppelt werden, was gelinge, wenn die Aktivitäten dank moderner Techniken intensiviert würden. Dadurch könne sich der Mensch auf weniger Raum zurückziehen und mehr «wilde Natur übrig lassen».
Erfahrungsresistent und sexy
Stellvertretend für die paradoxe Weltsicht des Manifests steht der älteste und schillerndste seiner Autoren: Stewart Brand. Brand war ab den späten sechziger Jahren ein Kopf der kalifornischen Computerszene und gleichzeitig Herausgeber des «Whole Earth Catalog», eines Magazins für wildnisverliebte Aussteigerinnen, Survivalists und Selbstversorger. Selbstverständlich war er links, gegen Nixon und den Vietnamkrieg. Doch ab den neunziger Jahren waren es rechtslibertäre Republikaner wie der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, mit denen Brand sich verbündete. Sein einstiger «Anti-Establishmentarianismus», wie er es nannte, war zum Anti-Etatismus geschrumpft.
Vor vierzig Jahren hoffte Brand noch, das vom US-Verteidigungsministerium entwickelte Vorläufermodell des Internets werde dem Militär dabei helfen, sich selber überflüssig zu machen. Es kam, wie wir wissen, anders. Dem Technooptimismus ist Brand gleichwohl treu geblieben: Es scheint eine erfahrungsresistente Lebenshaltung zu sein. Eine, die mit ihrem modernistischen Habitus und den provokativen Postulaten intellektuellen Sexappeal verströmt.