Wichtig zu wissen: Das iPod-Problem

Nr. 32 –

Die rauchenden Schlote der Sozialindustrie.

Man hört und liest derzeit oft, dass wir den Falschen helfen würden; dass jene Flüchtlinge, die uns erreichen, eigentlich Vermögende seien, die sich die Überfahrt ohne Probleme leisten könnten und bald vom ausufernden schweizerischen Sozialstaat (dessen Ufer inzwischen bis fast nach Afrika hinüberreichten, sodass das Paradies bald per Landweg erreichbar sei) auch noch eine Villa in Wollerau bezahlt bekämen.

Wir seien ja keine Rassisten, und echte Flüchtlinge in Not nehmen wir jederzeit auf. Also sind die, die zu uns kommen, eben allesamt keine echten Flüchtlinge.

Echte Flüchtlinge können demzufolge gar nicht flüchten, weil sie kein Geld haben. Sie beherrschen das Flüchten nicht. Warum heissen sie dann Flüchtlinge?

Die rauchenden Schlote der Schweizer Sozialindustrie sind nach Meinung der neuerdings auch in Hauptbahnhöfen herumirrenden BäuerInnen, Abschreibejournalisten und Demonstrativlandeier der SVP bis an den Äquator sichtbar. Die EU hingegen nehme keinen einzigen Flüchtling mehr auf. Solche Meinungen prägen die Tiefen der Social Media.

Der böse profitorientierte Wirtschaftsflüchtling darf schon zum echten Flüchtling in Not werden, aber dann muss er sich unserer Vorstellung davon anpassen.

Wir wollen den Flüchtling nämlich auch hier leiden sehen. Er darf kein Geld haben. Er muss das ältestmögliche Handy besitzen. Er muss schwitzend einen Natel-C-Koffer mit sich schleppen. Nur so verdient er sich das Erbarmen der CVP-WahlkampfstrategInnen: Wenn er uns auf Knien fragt, ob er bitte mal unser Handy benutzen dürfe, das Natel-C-Netz funktioniere nämlich nicht mehr. Und wir es ihm dann nicht geben, auf keinen Fall, weil er es ja dann stiehlt.

Kein Wunder, besorgt sich ein Flüchtling ein Handy, um sein Leben organisieren zu können. Er braucht ja keine Wohnwand, keinen Sportwagen, keine Zweitwohnung. Und wenn schon die unterbelichtetsten Einheimischen ein Smartphone haben, um Social Media mit Hundefotos und mit ihren Sorgen wegen der Flüchtlinge zuzumüllen, dann sollte ein Flüchtling doch schon auch ein solches zur Grundversorgung gehörendes Gerät erwerben dürfen.

Die Schweiz hat weniger ein Flüchtlingsproblem als vielmehr das Verteilungskuchenproblem einer postkapitalistischen Ellbogengesellschaft mit Steuersenkerei für die Vermögenden bei stagnierender Wirtschaftsentwicklung und der Umwandlung von (bösen sozialistischen) GAV-versicherten Arbeitsplätzen in Prekärjobs.

Winterthur, Stadtgarten, Juli 2015. Drei jüngere Randständige auf einem Bänkli. Bierdosen. Auf der Bank daneben nimmt einer, dunkelhäutig, afrikanisches Käppi, Platz, kramt einen iPod hervor und hört Musik. Der ganz rechts, muskulös, tätowiert, Kurzhaarschnitt, laute, versoffene Stimme, sieht das, und dann ist Schluss mit der humanitären Tradition: «iPod? Du hast einen iPod?» Der Dunkelhäutige sagt: «Wo ist das Problem? Ich habe mir den gekauft, mit meinem Geld.» Der Rechte: «Aus deinem Geld? Dein Geld ist mein Geld! Wir zahlen Steuern, damit du einen iPod kaufen kannst? Ich bezahle das, mit meinen Steuern! Das geht nicht! Hau ab, woher du gekommen bist!» Fäuste fuchteln. Die anderen zwei, mässig «eidgenössisch», aber mit Camouflagehosen, stimmen in den rassistischen Klagechor ein und fluchen über faule Asylanten, die Ausländer, die Linken und so fort. Unter lautem Gebrüll jagen sie den Dunkelhäutigen davon und schaffen eine iPod-freie Zone. Und dann gehen die SVP-Wähler und kaufen mit ihrem Sozialgeld im Denner noch mehr Bierdosen. Mit meinen Steuern.

Die iPod-Besitzenden gegen die Nicht-iPod-Besitzenden, das sind die Probleme, die «das Volk» beschäftigen. Vorboten einer Zeit, wenns dann mal wirklich schlimm wird. Wenn der eine aus einem Fläschchen Wasser trinkt. Und der andere es ihm aus der Hand reisst.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.