Arber Bullakaj: «Ich weiss genau, wogegen ich kämpfe»
An seine Unterstützungsparty am letzten Samstag kamen weit über tausend Menschen: Der SP-Nationalratskandidat Arber Bullakaj mischt die Ostschweiz auf – weit über die albanische Community hinaus.
Die Mädchen tragen Paillettenschleifen und Blumen im Haar, die Buben einen gegelten Scheitel, die Mütter stehen auf schwindelerregenden Absätzen, die Väter kommen im dunklen Anzug.
Und von überall lächelt Arber Bullakaj. Allein von der Bühne im Stadthof Rorschach strahlt der SP-Nationalratskandidat in zehnfacher Ausführung. Sein Name steht auf roten Luftballons und fünf verschiedenen Flyern – in den Händen all der tadellos gekleideten Familien, die am Samstagabend in den Saal strömen, vorbei an den Boxen, aus denen laute albanische Popmusik ertönt
Als Bullakaj bei der Podiumsdiskussion mit SP-Ständerat Paul Rechsteiner und den SP-Nationalrätinnen Barbara Gysi und Claudia Friedl das Schlusswort sagt, stehen die inzwischen 500 Gäste euphorisch klatschend von ihren Stühlen auf. Nun kündigt die Moderatorin Alketa Gashi Fazliu – eine Nachrichtensprecherin des kosovarischen Staatsfernsehens – die MusikerInnen an: Superstars im Kosovo. Immer noch mehr Leute strömen in den Saal. Bis Mitternacht werden es über 1000 sein, 200 bis 300 müssen abgewiesen werden.
«Lasst euch einbürgern!»
Der eigentliche Star des Abends, Arber Bullakaj, 29 Jahre alt und seit drei Jahren SP-Stadtparlamentarier in Wil, ist überwältigt. «Diese unglaubliche Unterstützung, die ich in den letzten Monaten bekommen habe, zeigt, dass es wirklich an der Zeit ist, dass wir im Parlament vertreten sind», sagt er. Mit «wir» meint er die Eingebürgerten, Secondos und Secondas. Und damit auch jenen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung, der hierzulande bisher keine politischen Rechte hat.
Ob Kosovarinnen, Italiener, Türkinnen, Kroaten, Schweden oder Somalier: Die Anliegen vieler MigrantInnen seien oft deckungsgleich. «Aber halt nicht dieselben wie die Wünsche der selbst ernannten Eidgenossen», sagt Bullakaj. In Rorschach hat er seine Landsleute deshalb ermahnt: «Wir alle, die hier leben, haben Pflichten. Wir müssen uns integrieren, beteiligen, sind gemeinsam dafür zuständig, dass es der Schweiz gut geht. Doch wir sollten auch Rechte haben. Deshalb müsst ihr euch einbürgern lassen!»
Bullakaj weiss um die Schwierigkeiten, die manche im Saal dabei hatten oder noch immer haben. «Die Hürden sind riesig. Dabei sind Einbürgerungsregeln, die Leute davon abhalten, sich überhaupt einbringen zu können, absolut sinnlos. Die Sündenbockpolitik der SVP fusst ja gerade auf diesem künstlich hochgehaltenen Ausländeranteil», sagt er (vgl. «Der Tag, an dem sich vieles entscheidet» ). Die kantonalen Wohnsitzfristen seien ein schlechter Witz: «Wer in St. Gallen eingebürgert werden will, muss acht Jahre hier gelebt haben.»
Arber Bullakaj hat seit 2007 den Schweizer Pass. Geboren ist er 1986 in der Nähe der Stadt Prizren im Kosovo. Als Kind sah er seinen Vater nur gerade drei Monate im Jahr. Schon vor seiner Geburt war dieser als Saisonnier in die Ostschweiz gekommen, arbeitete auf dem Bau sowie in der Forst- und Landwirtschaft. Erst 1994 konnte der Vater seine Familie in die Schweiz holen, zunächst nach Bazenheid bei Wil. «Ich weiss genau, wogegen ich kämpfe, wenn die Bürgerlichen das Saisonnierstatut wieder einführen wollen», sagt Bullakaj.
In Wil, wo Bullakaj hauptsächlich aufwuchs, war er lange Zeit der einzige Ausländer in der Schulklasse. So habe er in der Schweizer Kultur und Sprache gut Fuss fassen können. Und doch hat Bullakaj eine typische Migrationsbiografie: Der fleissige Junge, der die dritte Primarklasse übersprungen hat, muss den Umweg über die Realschule nehmen. Später in der Sekundarschule wird ihm trotz zwei bestandener Aufnahmeprüfungen für das Gymnasium und die Wirtschaftsmittelschule (WMS) zur Berufslehre geraten. Er bleibt standhaft, besucht die WMS, bildet sich weiter und führt heute ein eigenes Treuhandunternehmen mit mehreren MitarbeiterInnen. Aus Ärger über SVP-Plakate trat er in die SP ein – «die einzige Partei, die mich vertritt». Mit 26 Jahren wird er ins Wiler Stadtparlament gewählt. Dort hat er es geschafft, dass auch AusländerInnen und minderjährige Jugendliche Postulate bei der Exekutive einreichen dürfen.
Bullakajs Nationalratswahlkampf verläuft nach dem Schneeballprinzip. Wie gross sein Team ist? «Das wüsste ich selber gerne», sagt er lachend. Angefangen hätten sie zu viert.
Einer davon, der Wittenbacher Schriftsteller Isuf Sherifi, erzählt: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Eingebürgerte nur wählen, wenn sie im direkten Kontakt mit den Kandidaten stehen.» Nur so gelinge es, die Menschen zu überzeugen, dass die SP genau für sie politisiere. Sherifi und seine MitstreiterInnen gehen seit Monaten von Tür zu Tür, von Verein zu Sportklub und setzen sich für Bullakajs Kandidatur ein. Mehr als 60 Leute seien tagtäglich einige Stunden mit dem Wahlkampf beschäftigt, weitere 150 setzen jedes Wochenende dafür ein. Sherifi vermutet, «dass über tausend Wählerinnen und Wähler deswegen zum ersten Mal an die Urne gehen werden».
Weit mehr als Migrationspolitik
2012 hat der Wittenbacher schon geholfen, den WOZ-Kolumnisten und «Halbaner» Etrit Hasler ins Kantonsparlament zu schicken. Auch dieser kandidiert nun für den Nationalrat. Klaut ihm jetzt «Vollbaner» Bullakaj die albanischen Stimmen? «Und wenn schon!», sagt Hasler und lacht. «Das Wichtigste ist, dass die SP diese Stimmen gewinnt. Arber bietet der albanischen Community sicher mehr Identifikation als ich.»
Schriftsteller Isuf Sherifi hofft, dass PolitikerInnen wie Bullakaj in einigen Jahren nicht mehr ausschliesslich zu Migrationsthemen befragt werden. Nicht mehr darüber nachdenken müssen, warum 25 Prozent der BewohnerInnen die Politik der Schweiz nicht mitbestimmen können – und warum so wenige ParlamentarierInnen Migrationshintergrund haben. Das findet auch Arber Bullakaj: «Während des Wahlkampfs sind den Leuten Migrationsthemen wichtig. Aber in Bern möchte ich mich auch um das Dossier Finanzen kümmern.»