Durch den Monat mit Gülsha Adilji (Teil 2): Was genau soll das sein, der «Nerv der Zeit»?

Nr. 41 –

Warum Joiz-Moderatorin Gülsha Adilji glaubt, dass die Jugend auf dem Land politischer ist als die städtische. Weshalb sie in den letzten Jahren eher selten abstimmen oder wählen ging. Und wieso sie dieses Jahr ihr persönliches politisches Erwachen erlebte.

Gülsha Adilji, televisionäres Vorbild: «Junge Städter haben doch gar keine Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Sie müssen über den neusten Trend unter den Hipstern nachdenken.»

WOZ: Frau Adilji, haben Sie als TV-Moderatorin eine Vorbildfunktion?
Gülsha Adilji: Wahrscheinlich schon. Aber wohl nicht im Sinn von «Ich imitiere alles, was Gülsha macht». Eher kann ich mir vorstellen, dass Jugendliche, vor allem Mädchen um die dreizehn mit ähnlichem Hintergrund wie ich, die mich im Fernsehen sehen, sich denken: Wenn Gülsha es geschafft hat, dann kann ich es auch schaffen.

Und, sind Sie für diese Mädchen ein gutes Vorbild?
Darüber will ich gar nicht nachdenken, so entsteht eine Schere im Kopf. Es ist doch so: Egal was ich in meiner Sendung mache und erzähle: Es ist alles nicht so schlimm wie das, was die Jugendlichen sonst zu sehen bekommen. Im Vergleich zu all den Ego-Shooter-Videospielen und den Pornos ist meine Sendung ziemlich harmlos.

Vor ein paar Jahren sagten Sie mal, Sie seien deshalb erfolgreich, weil Sie «den Nerv der Zeit treffen». Was genau soll das sein?
Ich weiss gar nicht mehr, wieso ich das überhaupt gesagt habe. Vielleicht habe ich einfach gedacht, der Ausdruck klinge gut. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich keine Ahnung, was der Nerv der Zeit eigentlich ist.

Der Fernsehsender Joiz sieht sich ja als ein Sprachrohr der Jugend. Was die Jugend will, müssten Sie also wenigstens wissen …
Die Jugend ist extrem risikofreudig und will im Grunde immer das Gegenteil von dem, was die Eltern wollen. Als Jugendliche möchte man sich der Familienbande entledigen und Teil einer Gruppe werden, mit der man sich identifizieren kann. Man sucht also nach Leuten, die ähnlich ticken wie man selbst. Wenn man solche Bezugspersonen in seinem Umfeld nicht findet, aber dennoch irgendwo dazugehören will, passt man sich eben an. Ich glaube, die Wünsche der Jugend können auf eine einfache Formel reduziert werden: Sie will mehr Zeit, weil ihr der ganze Trubel unserer beschleunigten Welt zu viel geworden ist.

Ist die Jugend auch politisch?
Über diese Frage habe ich erst kürzlich auf dem Weg zur Arbeit nachgedacht. Die Jugend auf dem Land ist es sicher. Auf dem Land, wo überall riesige Wahlplakate hängen und grosse Wahlpartys stattfinden, gehen sie sicher auch eher wählen.

Interessante These. Und warum?
Junge Städter haben doch gar keine Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Sie müssen über den neusten Trend unter den Hipstern oder über die Eintrittspreise für den angesagtesten Club nachdenken. Andere wollen lieber Kunst oder Musik machen als sich mit der politischen Landschaft der Schweiz auseinandersetzen. Und wieder andere lehnen die Funktionsweise des politischen Systems, die demokratische Mitbestimmung, ganz ab und gehen aus Protest dagegen nicht wählen.

Und zu welcher dieser Gruppen gehören Sie?
Ganz gleich, welche Partei ich wähle: Von den Politikern in unserem Land fühle ich mich nicht repräsentiert. Ich glaube, die meisten Politiker interessieren sich gar nicht richtig für meine Anliegen, sondern verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Mit teuren Wahlkampagnen versuchen sie, mich aber von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen und mein Vertrauen zu gewinnen. Das ist auch der Grund, warum ich selten abstimmen oder wählen gehe. Aber dieses Jahr erlebte ich mein persönliches politisches Erwachen, es ist einfach so passiert. Deshalb sind mir auch die kommenden Wahlen sehr wichtig.

Wieso?
Wer dieses Jahr nicht wählt, wählt automatisch rechts. Wenn das jemand will, dann soll er der Urne fernbleiben. Wenn nicht, dann muss er wählen gehen – und zwar links oder mittig.

Was erhoffen Sie sich von den Wahlen?
Ich kann keine Prognose abgeben, das soll Herr Longchamp übernehmen. Aber Joiz hat dieses Jahr aktiv versucht, das Interesse der Jugend für die Wahlen zu wecken. Deshalb hoffe ich vor allem, dass die Jugendlichen auch tatsächlich wählen gehen.

In Ihren Social-Media-Accounts finden sich zwischen vielen Spasstweets – etwas versteckt – einige Einträge mit harscher Kritik an der SVP. Steckt da eine Strategie dahinter?
(Schallendes Lachen) Das wäre ja mal eine geile Strategie! Aber da muss ich Sie leider enttäuschen: Auf Facebook oder Twitter poste ich eigentlich immer das, was mich gerade beschäftigt, glücklich macht oder aufregt. Es ist nicht so, dass ich nur bei Einträgen der SVP genau hinschauen würde. Ich beobachte auch, was die anderen Parteien von sich geben. Aber die SVP bringt viele Beispiele, die einfach nicht gehen! Dass sich da nicht jedes Mal mehr Menschen empören …

Möchten Sie also auch einfach nur Ihre Empörung zum Ausdruck bringen?
Nein, ich glaube, ich erreiche viel mehr Menschen, wenn ich die Sache entspannt angehe. Statt mich zu empören, versuche ich also, die Dummheit und den Rassismus der Einträge zu demaskieren und in Relation zur Wirklichkeit zu setzen. Viele Politiker haben doch das Gefühl für die Öffentlichkeit verloren, dafür, was angebracht ist und was nicht.

Gülsha Adilji (29) wuchs in Niederuzwil SG auf. Also eigentlich eher auf dem Land.