Glyphosat: Wer die Arbeit nicht scheut, kann auch ohne Gift

Nr. 13 –

Die Kontroverse um das Herbizid Glyphosat hat in der Landwirtschaft viel ausgelöst. Zu Besuch bei einem Bauern und einer Winzerin, die seit kurzem darauf verzichten.

«Man kann doch nicht von der Erde leben und sie gleichzeitig mit Giftstoffen belasten»: Winzerin Anne-Claire Schott in ihrem Rebberg in Twann.

«Ich bin kein Träumer», sagt Yves Gaillet. «Ich will von der Landwirtschaft leben.» Der 42-Jährige bauert auf dem Mont Vully, zwischen Murten- und Neuenburgersee. Er bewirtschaftet fünfzig Hektaren, mehr als doppelt so viel wie der Schweizer Durchschnitt. Trotzdem reichte es in den letzten Jahren nicht mehr zum Leben. Denn Ackerbauer Gaillet hält keine Tiere. Damit hat er weniger Aufwand, aber auch weniger Einkommen. Immer öfter arbeitete er auswärts, machte die Grüngutabfuhr, vertrieb Saatgut, fuhr Lastwagen – und begann, die Landwirtschaft zu vermissen.

Letztes Jahr hat Gaillet die Umstellung auf Bio begonnen, die zwei Jahre dauert. Bio gibt mehr zu tun, und genau das war sein Ziel: «Die Herausforderung gefällt mir. Ich möchte wieder Vollerwerbsbauer sein und auf dem Betrieb Mehrwert schaffen.» Seit er umstellt, bekommt er viele Anfragen von AbnehmerInnen. Gaillet ist das nicht gewohnt. Er nimmt es als Zeichen von Anerkennung. Neben Arbeit und Verdienst steht für ihn die Ökologie im Zentrum. «Den Bauern ist bewusst, dass die Spritzerei nicht gesund ist. Ich weiss, dass in diesem Bereich etwas geschehen muss.» Die Gesellschaft werde Pestiziden gegenüber immer kritischer: «Ich spüre den Druck.» Auch die Agrarpolitik werde wohl darauf reagieren. Besonders um das Herbizid Glyphosat tobt die Kontroverse seit Jahren (vgl. «Gekaufte Wissenschaft» im Anschluss an diesen Text).

Nachteil: Mehr Diesel

Die Unkrautbekämpfung ist auch die grösste Herausforderung für Yves Gaillet. Insektizide und Fungizide (gegen Pilze) brauchte er schon vor der Umstellung kaum, Herbizide aber schon. In der Scheune glänzen seine beiden Neuanschaffungen: ein Hackgerät und ein Rollstriegel. Metallgeräte, ausgeklappt zwölf Meter breit, die an den Traktor gehängt werden und das Unkraut mechanisch ausreissen. Dabei ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu wählen und exakt zu arbeiten.

Einen Nachteil hat die Methode allerdings: Man muss mehr Traktor fahren. «Früher habe ich im Weizen einmal pro Saison Herbizid gespritzt, jetzt muss ich zweimal striegeln.» Im Schnitt, schätzt Gaillet, fahre er doppelt bis dreimal so viel ins Feld wie vor der Umstellung. «Das ist nicht ohne, ich brauche mehr Diesel, die Maschinen nutzen sich schneller ab …» Siebeneinhalb Tonnen wiegt sein Traktor, und eigentlich sei das zu viel, sagt er selbstkritisch. Schwere Maschinen sind heute ein grosses Problem: Sie verdichten den Boden, darunter leidet die Fruchtbarkeit. Gaillet versucht gegenzusteuern: Er hat extrabreite Reifen gekauft, auf denen er mit tiefem Druck von nur 0,7 Bar ins Feld kann.

Um seine Felder zu zeigen, steigt Yves Gaillet ins Auto. Die Parzellen liegen auf dem ganzen Mont Vully verstreut, der wie eine Insel aus dem Seeland ragt. «Man muss sich schon an etwas weniger saubere Felder gewöhnen», sagt er. Doch die Saison beginnt gut. Gaillet freut sich über die dichten grünen Halme der Triticale, eines Futtergetreides. «Sie profitiert von den Ackerbohnen, die hier vorher wuchsen und Stickstoff in den Boden gebracht haben.» Eine sinnvolle Fruchtfolge, die Abfolge der Ackerkulturen über die Jahre, helfe auch gegen das Unkraut.

Ein Herbizidverbot lehnt Gaillet ab: «Der Staat soll die Bauern nicht zwingen, aber beim Reduzieren unterstützen. Berater sollten den gesamten Betrieb anschauen, um herauszufinden, wo es am besten mit weniger Herbiziden geht. So etwas gibt es noch nicht.» Negative Reaktionen auf die Bioumstellung erlebte er keine: «Die Kollegen zeigen Interesse. Wenn es bei mir gut läuft, überlegen es sich manche vielleicht auch.» Vor ein paar Jahren, sagt er, wäre das noch ganz anders gewesen.

Keine Erde mehr im See

Auf der anderen Seite des Bielersees, in Twann, steht die Winzerin Anne-Claire Schott im Rebberg. Der Blick schweift über die eng zusammengebauten Häuser des Dorfes und den See im Abendlicht. «Ich konnte mir nie vorstellen, Herbizide zu spritzen», sagt sie. «Man kann doch nicht von der Erde leben und sie gleichzeitig mit Giftstoffen belasten.» Wenn sie die Konsequenzen für den Betrieb gekannt hätte, hätte sie vielleicht gezögert, das so radikal zu entscheiden. «Das Unwissen hat geholfen.»

Die Dreissigjährige wurde auf Umwegen Winzerin. Sie studierte zuerst Soziologie und Kunstgeschichte, dann Önologie in Changins bei Nyon. «Dort war Bio kein Thema. Aber es war auch gut, das Konventionelle kennenzulernen, um zu wissen, was ich nicht will.» Letztes Jahr hat Schott den dreieinhalb Hektaren grossen Weinbaubetrieb von den Eltern übernommen, die weiterhin mitarbeiten. Für die Bioumstellung hat sie sich noch nicht angemeldet. Sie experimentiert erst einmal.

Bis in die achtziger Jahre war der Boden unter den meisten Reben nackt. Zwischen den Stöcken wurde gespritzt und gepflügt, bis kein Kräutlein mehr wuchs. Starker Regen schwemmte die Erde bis in den See, das Wasser färbte sich rotbraun. Heute wachsen zwischen den Reihen wieder Gras und Kräuter, auch die konventionellen WinzerInnen am Bielersee setzen nur noch unter den Stöcken Herbizide ein. «Auch mein Vater machte es so, er spritzte im Frühling und im Herbst. Das ist üblich.»

So unverzichtbar wie Striegel und Hackgerät für den Bioackerbau ist für den herbizidfreien Weinbau der Fadenmäher. Mit dem surrenden Kleingerät, das auch in Privatgärten beliebt ist, mähen WinzerInnen das Kraut direkt an den Stöcken. Dabei darf das Messer die Reben aber nie berühren, denn die geringste Verletzung schadet ihnen. «Man muss langsam und sehr sorgfältig arbeiten», sagt Anne-Claire Schott. Das Kraut einfach wuchern zu lassen, ist nicht ratsam: Bei feuchtwarmem Wetter erhöht es das Risiko für Pilzkrankheiten auf der Rebe, und auch die gefürchtete Kirschessigfliege, die den Wein zu Essig werden lässt, kann sich darin verstecken. Mindestens zehn Tage Mehrarbeit mit dem Fadenmäher habe der Verzicht auf Glyphosat letztes Jahr gebracht, sagt Schott. Hohes Gras hätten sie auch oft von Hand ausgerissen. «Das ging gut, weil der Boden feucht war. So brachte der regnerische Juni wenigstens einen Vorteil.»

Die besonderen Mauern

Herbizidverzicht heisst also auch im Weinbau: mehr Arbeit. Das stört die Winzerin nicht, im Gegenteil: «Ich möchte die Handarbeit bewusst zelebrieren. Sie ist keine Last, sondern etwas Schönes. So viele Leute werden krank, weil sie keinen Bezug zur Natur mehr haben, nie eine Pflanze berühren.» Für grosse, maschinenlastige Betriebe sei der Herbizidverzicht schwieriger als für ihren: «Wir sind eh schon viele Leute. Auch unser Angestellter aus Portugal, der zehn Monate im Jahr hier ist, mag zum Glück die Arbeit von Hand.» Seit kurzem unterstützt der Kanton Bern Betriebe, die auf Herbizide verzichten; im Weinbau mit 1200 Franken pro Jahr und Hektare (vgl. «Der Kanton Bern ist weiter als Bundesbern» im Anschluss an diesen Text). «So können wir die zusätzliche Arbeit mit dem Fadenmäher gut finanzieren.»

In Zukunft möchte Anne-Claire Schott biodynamisch arbeiten, nach der von Rudolf Steiner inspirierten Lehre. «Biodynamisch heisst, auf die Pflanze einzugehen, auf die Böden zu achten, Pflanzliches, Tierisches und Kosmisches zu verbinden.» Sie ist überzeugt, dass man den Unterschied auch schmeckt. «Wein herstellen ist so ein aufwendiger Prozess – man arbeitet ein Jahr, bis man ihn hat. Dieser langsame Rhythmus fasziniert mich. Mein Vater hat ein riesiges Wissen und auch das Gespür für Rebe und Wein. Diesem Gespür möchte ich noch mehr Raum geben.»

Ein Netz aus Steinmauern prägt die steilen Rebhänge am Bielersee. Direkt an den Mauern wuchsen früher auch Reben. Sie wurden als erste reif – darum hat man sie vielerorts ausgerissen, weil sie zusätzliche Arbeit machen. Anne-Claire Schott geht auch hier einen anderen Weg: Sie keltert aus den Mauertrauben eine besondere Cuvée, «Aroma der Landschaft». «Wein hat mit Kunst zu tun», begeistert sich die Winzerin. «Auch wer Kunst macht, kann nicht im Voraus genau planen, was herauskommt. Ich kann die Aromatik steuern, aber sie entsteht von selber. Und niemand kann diesen Wein kopieren – niemand hat die gleichen Mauern.»

Gekaufte Wissenschaft

Die Kontroverse geht weiter. Mitte März liess die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) verlauten, das umstrittene Herbizid Glyphosat sei zwar «giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung», aber nicht krebserregend. Dies im Gegensatz zur Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation, die Glyphosat 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft hatte.

Wenige Tage nach der ECHA-«Entwarnung» veröffentlichte die österreichische Umweltorganisation Global 2000, Teil von Friends of the Earth, den Report «Gekaufte Wissenschaft». Er zeigt, dass diverse AutorInnen mehrerer Studien, die Glyphosat als unbedenklich einstuften, mit dem US-Chemiemulti Monsanto verbandelt sind.

www.global2000.at/gekaufte-wissenschaft

Pestizidreduktion : Der Kanton Bern ist weiter als Bundesbern

«Glyphosat wird zu oft eingesetzt», sagt Mirjam Lüthi vom Verband IP-Suisse. Das IP-Suisse-Label basiert auf der Integrierten Produktion (IP). Sie versucht, den Einsatz von synthetischen Pestiziden zu minimieren, geht also nicht so weit wie Bio, aber weiter als die gesetzlichen Vorgaben. Jedes dritte in der Schweiz verkaufte Brot ist aus IP-Suisse-Getreide, das zum Teil mit Herbiziden, jedoch ohne Insektizide, Fungizide und Halmverkürzer angebaut wurde.

Ein vollständiges Glyphosatverbot lehnt IP-Suisse zurzeit ab. «Es gibt kein anderes zugelassenes Mittel, das gegen alle Gräser und Kräuter ähnlich gut wirkt», sagt Lüthi. «Ein Verbot würde die Bauern dazu nötigen, häufiger auf weniger umweltverträgliche Herbizide zurückzugreifen.» IP-Bauern seien bereit, den Herbizideinsatz weiter zu reduzieren, aber der Mehraufwand müsse abgegolten werden. «Wir wollten Kartoffeln herbizidlos produzieren, doch die Abnehmer stiegen nicht darauf ein.» Und auch die KonsumentInnen seien gefordert: «Wenn sie Pflanzenschutzmittel ablehnen, müssen sie sich an Obst und Gemüse gewöhnen, das nicht immer perfekt aussieht.» Ein wichtiger Punkt spreche für Schweizer Produkte: Hierzulande sei die Sikkation, der Glyphosateinsatz direkt vor der Ernte, verboten.

Der Bund macht bisher, abgesehen von einem ambitionslosen «Aktionsplan Pflanzenschutzmittel», wenig zur Pestizidreduktion. Die Umweltorganisation Vision Landwirtschaft hat darum einen alternativen Pestizidreduktionsplan ausgearbeitet. Sie fordert unter anderem transparentere Zulassungsverfahren – der Bund legt die Daten heute nicht offen –, strengere Kontrollen, eine bessere Ausbildung für AnwenderInnen, keine Pestizidsubventionen mehr und ein Verbot in Siedlungen und Privatgärten. In den Siedlungen setzt auch Greenpeace an: Mit der Aktion «Meine pestizidfreie Gemeinde» fordern AktivistInnen die Behörden ihrer Wohnorte dazu auf, auf Glyphosat und andere Pestizide zu verzichten.

Weiter als der Bund ist der Kanton Bern: Er hat Anfang des Jahres das «Berner Pflanzenschutzprojekt» gestartet. Es soll besonders die Gewässerbelastung verringern. LandwirtInnen bekommen Geld, wenn sie zum Beispiel Fahrspuren begrünen, Nützlinge einsetzen oder auf Herbizide verzichten. Laut Projektleiter Michel Gygax vom kantonalen Amt für Landwirtschaft und Natur machen 2600 Betriebe mit, ein Viertel der Höfe des Kantons.

Die Branche hofft auf neue Technologien: Bereits gibt es erste Jätroboter, die Unkräuter erkennen können. Sandro Rechsteiner von IP-Suisse verspricht sich viel davon: «Vielleicht braucht dank Robotern in fünfzig Jahren niemand mehr Herbizide.»

Bettina Dyttrich