Polizei und Justiz: Das Wunder von Bern

Nr. 41 –

Dass PolizistInnen wegen Übergriffen vor Gericht landen, hat Seltenheitswert. Die Betroffenen haben oft nur wenig «Beschwerdemacht», etwa weil sie nur einen unsicheren Aufenthaltsstatus oder selbst Anzeigen am Hals haben. Viele fürchten sich zudem vor einer Gegenanzeige. Dass PolizistInnen wegen ihres Verhaltens gar verurteilt werden, ist eine absolute Rarität: Denn erstens haben sie nur selten Zeugenaussagen zu befürchten, zweitens haben sie Zugang zu Rapporten und Unterlagen, können sich vorbereiten und absprechen und sind deshalb in ihren Aussagen sehr präzise. Und drittens geht die Justiz sehr vorsichtig mit ihnen um, weil sie in ihrer täglichen Arbeit auf sie angewiesen ist.

Vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland hat sich letzte Woche also Aussergewöhnliches ereignet: Ein mehrfach vorbestrafter Drogenkonsument, der noch dazu in der Zelle des Polizeipostens im Berner Bahnhof auf den Boden uriniert hatte, wurde vom Vorwurf der «Gewalt und Drohung gegen Beamte» freigesprochen. Zwei «gestandene Polizisten» kassierten dagegen bedingte Geldstrafen wegen Amtsmissbrauch und müssen nun mit ihrer Entlassung rechnen.

Aufgrund der Aussage einer Polizeiaspirantin, die die Vorfälle am 1. Februar 2014 miterlebt hatte, sah es die Einzelrichterin als erwiesen an, dass die beiden Polizisten ihrem «mühsamen» Kunden einen Denkzettel verpassen wollten. Um ihn zum Aufwischen zu zwingen, habe der eine die Jacke des Mannes in die Urinpfütze gelegt. Der andere habe ihn schliesslich zu Boden gedrückt und mehrfach durch den Urin gezogen. Dass der gleiche Polizist den Mann etwa eine halbe Stunde später durch einen Polizeigriff und einen Kniestoss in die Rippen erneut zu Fall brachte, wertete die Richterin dagegen trotz der Aussagen der Zeugin nicht als Körperverletzung, sondern als zulässige Abwehrreaktion.

«Es ist nicht einfach, gestandene Polizisten zu verurteilen», erklärte die Richterin. Das Urteil ist denn auch nur ein teilweiser Schuldspruch. Es dürfte aber – gerade weil es die Aussagen der Zeugin und ihrer angeklagten Kollegen sehr genau auswertete – auch vor dem Obergericht Bestand haben.