Nach der Niederlage: Grün ist tot? Es leben die Grünen!

Nr. 43 –

Die Verluste bei den Wahlen am letzten Sonntag sind halb so wild. Nun können die Grünen wieder voll auf unbestechliche Politik setzen. Genau dazu braucht es sie dringender denn je.

Regula Rytz eilte im Bundeshaus gerade von einem Interview zum nächsten, als es passierte: Die Kopräsidentin der Grünen betrat den Lift, der sie zur Maske bringen sollte, im Schlepptau einen Tross ReporterInnen. Nur eine hinkte hinterher, fand keinen Platz mehr im Aufzug: die Generalsekretärin Miriam Behrens. Den aufgeklappten Laptop in der einen Hand, die Tasche in der anderen, sagte sie genervt: «Regula, so kann ich einfach nicht arbeiten, wenn du immer davonläufst.» Es war nicht klar, ob sie zu sich selbst sprach oder zur Präsidentin. Rytz jedenfalls stand im Fahrstuhl und blickte fragend zur Generalsekretärin: «Komm», sagte sie. Und als die Generalsekretärin den Kopf schüttelte und den Laptop in die Tasche packte, ging Rytz auf sie zu und zog sie doch noch in den Lift.

Die Umwelt, ein Luxusthema?

Vielleicht war es nur ein Detail in der Hektik des Wahltags. Aber es war sinnbildlich für diesen Tag, an dem so viel schieflief für die Grünen: minus 1,3 Prozent Wählerstimmen, vier Sitze weniger. Prominente VertreterInnen wie die Bernerin Aline Trede oder Yvonne Gilli aus St. Gallen wurden abgewählt. Was ist passiert? Und vor allem: Was nun?

Warum die Grünen verloren haben – das ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Warum waren sie überhaupt so lange so erfolgreich? Denn mit allen Problemen, die jetzt zu Verlusten geführt haben, kämpfen die Grünen schon, seit es sie gibt.

Das Interesse der Bevölkerung an grünen Themen schwankt wie das Wetter. Sie interessieren dann, wenn sie spürbar werden: Hitzesommer 2003. Fukushima 2011. Umweltthemen, so deprimierend das angesichts ihrer Tragweite ist, werden als Luxusthemen wahrgenommen, und diese Wahl war für viele keine Luxuswahl. Sondern eine Angstwahl. Zudem wurden grüne Themen längst von anderen Parteien aufgesogen. Nicht immer im Sinn der Grünen, aber doch so, dass sie keinen alleinigen Anspruch auf Umweltfragen mehr haben.

Weiter werden die Grünen als Einthemenpartei wahrgenommen, aus anderen Gründen wählt man sie kaum. Dabei waren sie schon immer mehr. Zumindest den rot-grünen «Melonen» lagen die sozialen Themen schon immer ebenso am Herzen wie die Umwelt. Die Grünen haben mit ihrer konsequenten Haltung gegen den Überwachungsstaat und für eine menschliche Asylpolitik ihre eigene Linie, in der sie sich auch von der SP unterscheiden. Nur nimmt das die Öffentlichkeit kaum wahr.

Plakate und Äpfel

Das hängt allerdings damit zusammen, dass die Grünen ein ideologisches Spektrum vereinen, das von den «Melonen» bis weit in die politische Mitte reicht. Die Grünen wollen alles auf einmal sein: Sie wollen den Nutzen grüner Politik für die Wirtschaft erklären; in der Asylpolitik das linke Korrektiv zur SVP sein; auf dem Land Stimmen holen. Und bis vor kurzem wollten die Grünen sogar in den Bundesrat. Kurz: Sie wollen eine Massenpartei sein. Das ist verständlich. Aber ist es auch richtig?

Am Sonntag wurde rechts gewählt. Nicht nur mehr SVP, sondern auch eine bürgerlichere CVP und teilweise eingemittete Grüne. Man kann das als Zeichen deuten, dass sich die Grünen zur Mitte hin öffnen sollten. Doch wer verteidigt dann die Grund- und Menschenrechte, wenn alle Parteien den WählerInnenstimmen zuliebe bereit sind, ihre Positionen preiszugeben? Vor dreissig Jahren wurden die Grünen von etablierten PolitikerInnen ausgelacht, wenn sie den Atomausstieg forderten. Dank der Hartnäckigkeit der Grünen ist das heute anders.

In diesem Wahlkampf traten die Probleme der Grünen in vielerlei Hinsicht zutage. Ihr Slogan: «Rechtsrutsch verhindern, Richtungswahl». Doch in welche Richtung wollen sie? Ihre Kampagne: Wahlplakate, auf denen verwechselbare Köpfe den AutofahrerInnen entgegenlächeln wie bei allen anderen auch; Äpfel, die die Grünen verteilten. Wo bleibt die Botschaft?

Eine Niederlage schmerzt. Doch für die Grünen kann sie eine Chance sein: Sie können jetzt aufhören, sich anzubiedern. Und sich wieder auf ihren alten Kampfgeist besinnen.

Mitarbeit: Carlos Hanimann.