«The Drone Papers»: Die Risiken des risikolosen Kriegs

Nr. 44 –

Geheime Papiere aus dem US-Sicherheitsapparat belegen, dass Drohnenkriege noch schmutziger sind als angenommen. Und in Zukunft werden Kriege vielleicht mit völlig autonomen Roboterwaffen geführt.

«Es ist wunderbar», sagte Daniel Ellsberg neulich gegenüber dem britischen «Guardian». Ellsberg hatte 1971 geheime Pentagon-Papiere geleakt und so dafür gesorgt, dass die US-Öffentlichkeit über die wahren Ziele und den problematischen Verlauf des Vietnamkriegs informiert wurde. Vierzig Jahre lang habe er auf Chelsea Manning gewartet, die Soldatin – dank ihr konnten US-Kriegsverbrechen im Irak belegt werden. Drei weitere Jahre habe er auf Edward Snowden gewartet – den früheren Regierungsangestellten, der 2013 geheime Dokumente zu US-Überwachungsprogrammen dem damaligen «Guardian»-Journalisten Glenn Greenwald übermittelte.

Und nun die anonyme Person aus US-Geheimdienstkreisen, die geheime Papiere zum militärischen Einsatz von Kampfdrohnen geleakt hat. Am 15. Oktober publizierte die Website «The Intercept», hinter der wiederum Greenwald steht, die «Drone Papers»: einzelne Dokumente und dazu acht analytische Artikel. «Es ist wunderbar, dass jemand die Wahrheit über diese Verbrechen erzählt», präzisierte Ellsberg im «Guardian». Snowden schrieb per Twitter, dies sei «die wichtigste nationale Sicherheitsgeschichte des Jahres». Schweizer Medien war sie allerdings kaum ein Wort wert.

Auf zehn Tote ein Terrorist

Dank der neusten Enthüllung wird klar, dass eine zentrale Rechtfertigung für Drohnenangriffe falsch ist. Sie hatte den US-Präsidenten Barack Obama wahrscheinlich dazu gebracht, die Drohnenprogramme massiv auszubauen. Nach seinen friedfertigen Wahlkampfbotschaften und dem Erhalt des Friedensnobelpreises stand Obama unter Druck, die Funktion als Oberkommandierender der US-Streitkräfte möglichst friedvoll auszuüben. Mit Kampfdrohnen, so die zentrale Rechtfertigung, könnten hochrangige Terroristen gezielt angegriffen werden, ohne dass dabei US-SoldatInnen und die lokale Zivilbevölkerung zu Schaden kämen.

Tatsächlich sind die Drohnenprogramme gut für die SoldatInnen, die in einer Kommandozentrale sitzen, statt auf einem Schlachtfeld ihr Leben zu riskieren. Für die lokale Bevölkerung gilt dies jedoch nicht. Eine nun auf «The Intercept» veröffentlichte interne Statistik des US-Militärs zu den Drohnenangriffen, die vom 1. Mai bis zum 15. September 2012 im Nordosten Afghanistans ausgeführt wurden, zeigt: In 27 «Operationen» wurden 19 Menschen getötet, die zuvor als «Ziele» definiert worden waren. Die interne Statistik errechnet daraus eine Erfolgsquote von siebzig Prozent.

Dieselbe Statistik weist jedoch auch 155 «EKIA» aus. Als solche «Enemies Killed In Action» werden sämtliche durch Angriffe getöteten Menschen bezeichnet, die nicht den US-Streitkräften angehören. Das heisst: Neben den 19 getöteten «Zielpersonen» (im Militärjargon «Jackpot» genannt) wurden mindestens 136 andere Menschen in den Tod gerissen. Die Treffsicherheit der Drohnenangriffe betrug somit zwölf Prozent. Oder andersrum: Fast neun von zehn Drohnentoten waren nicht geplant.

Kein Interesse an Informationen

Die geleakten Dokumente zeigen zudem auf, dass der US-Präsident jede Entscheidung, jemanden als «Ziel» zu definieren, abnicken muss, aber nicht jeden Angriff. Der Präsident spricht quasi ein Todesurteil, das vom Militär oder vom Geheimdienst dann innerhalb von sechzig Tagen vollstreckt werden kann. Als Kriterium dafür gilt, so sagte es Obama 2013 öffentlich, dass «tödliche Gegenterrorismusaktionen» auf Personen beschränkt seien, die eine «anhaltende, unmittelbare Bedrohung für das amerikanische Volk» darstellten und «nicht gefangen genommen werden» könnten. Ein Angriff werde auch nur ausgeführt, wenn «fast sicher» keine ZivilistInnen zu Schaden kämen.

Für die meisten KriegsvölkerrechtlerInnen waren solche Kriterien schon immer viel zu schwammig und juristisch nicht haltbar. Die geleakten Dokumente legen nahe, dass sie zudem höchst beliebig angewandt werden. In einer internen Pentagon-Studie wurde bemängelt, dass nicht mehr Topterroristen festgenommen werden. Denn eigentlich sollten diese auch aus militärischen Interessen nicht einfach liquidiert werden, weil sie lebendig entscheidende Informationen für den «Kampf gegen den Terror» liefern könnten.

Dieselbe Pentagon-Studie konstatiert auch, dass «relativ wenige hochrangige Terroristen die Kriterien erfüllen, um als Ziel zu gelten». Gemäss der Studie gab es Ende Juni 2012 im Jemen 16 «autorisierte Ziele». Trotz dieser geringen Zahl und obwohl die USA im Jemen keine Konfliktpartei waren, flogen die US-Streitkräfte dort in den Jahren 2011 und 2012 mindestens 54 Angriffe mit Drohnen. Dabei kamen mindestens 293 Menschen ums Leben, darunter 55 ZivilistInnen.

So wird klar, dass nur ausnahmsweise versucht wird, hochrangige Terrorverdächtige festzunehmen – weil dies Bodentruppen erfordern würde, die sich in Gefahr begeben müssten. Und es liegt nahe, dass mit den Drohnen nicht ausschliesslich die «autorisierten Ziele» angegriffen werden.

Ein Teil «der schlechten Ausbeute» und der «Kollateralschäden» ist allerdings auch damit zu erklären, dass es oftmals nur ungenügende Informationen gibt, um die «Ziele» genau zu orten. Denn die meisten Angriffe beruhen ausser auf Informationen von Spionageflugzeugen auch stark auf elektronischen Signalen, insbesondere von Mobiltelefonen. Und Letztere sind notorisch ungenau, besonders in infrastrukturarmen Gegenden wie am Hindukusch, in Somalia oder im Jemen.

Ein Vorgeschmack auf die Roboter

Die «Drone Papers» lassen erahnen, was noch auf die Menschheit zukommen könnte. Denn die ethischen und juristischen Fragen, die unbemannte Luftfahrzeuge aufwerfen, werden sich durch den Trend hin zu Roboterwaffen noch verstärken. Solche autonomen Waffensysteme (Lethal Autonomous Weapons Systems, kurz LAWS) können nach ihrer Aktivierung selbstständig Ziele ausfindig machen und – ohne weitere menschliche Entscheidung – blitzschnell unter Beschuss nehmen. Mehrere Länder sind dabei, LAWS zu entwickeln. Die USA etwa bauen ein autonomes Flugzeug, das fast Überschallgeschwindigkeit erreicht. Und Israel produziert und verkauft bereits eine Drohne, die selbstständig all jene Radarsysteme bombardieren kann, die in ihrer Datenbank nicht als «befreundet» definiert sind. Ziel der EntwicklerInnen ist es, mehrere Teilsysteme auf dem Land, in der Luft und unter Wasser umfassend zu vernetzen.

Noel Sharkey, emeritierter Professor für künstliche Intelligenz und Robotik an der Universität Sheffield, schätzt die Gefahren durch autonome Waffensysteme als mindestens so gross ein wie durch Atom- oder Chemiewaffen. Er startete deshalb 2013 eine internationale Kampagne, um sie auf Uno-Ebene zu verbieten (siehe WOZ Nr. 22/2013 ).

«Die geleakten Dokumente zeigen, dass die USA neue Techniken nutzen, um grenzenlose Kriege ohne Risiko für die eigenen Truppen zu ermöglichen», sagt Sharkey. «Gemäss diesem Trend werden auch autonome Waffensysteme eingesetzt werden, sobald sie ausgereift sind.»

Dank Sharkeys Kampagne ist innerhalb der Uno das Bewusstsein für die Gefahren von LAWS gestiegen. «Inzwischen ist vielen Experten klar, dass dadurch die globale Sicherheit gefährdet ist», sagt Sharkey. «Man muss sich nur vorstellen, dass zwei feindliche, geheim programmierte LAWS aufeinandertreffen. Niemand kann vorhersehen, wie die Systeme aufeinander reagieren werden – und das bei Hochgeschwindigkeit.»

Neben den 56 NGOs der Kampagne unterstützen nun auch erste Staaten das Bestreben, das Thema in ein Gremium von RegierungsexpertInnen zu tragen – darunter die Schweiz, wie das Aussenministerium auf Anfrage bestätigt. «Ich glaube, wir werden innerhalb zweier Jahre einen internationalen Vertrag haben», sagt Sharkey. Das erscheint arg optimistisch, vor allem weil sich die wenigsten Staaten für ein Verbot einsetzen. Aber vielleicht helfen dabei ja die «Drone Papers».