Whistleblowing: Gestohlene Dokumente, gestohlene Leben
Die Weltöffentlichkeit hat Daniel Hale viel zu verdanken: Der einstige NSA-Angestellte hat wertvolle Informationen zum US-amerikanischen Drohnenkrieg geleakt. Dafür wird er jetzt mit mehrjähriger Haft bestraft.
45 Monate Gefängnis: So lautet das letzte Woche im US-Bundesstaat Virginia verkündete Urteil gegen den ehemaligen Geheimdienstanalysten Daniel Hale. Der Whistleblower, der für die NSA auf einer Militärbasis in Afghanistan im Einsatz war, hat ab 2013 zahlreiche Details zum Drohnenkrieg, den die USA seit Beginn des «War on Terror» im Jahr 2001 führen, der investigativen Medienplattform «The Intercept» zugänglich gemacht. Damals noch anonym, gab Hale siebzehn Geheimdokumente weiter, womit er bis heute für das grösste Leak in der Geschichte des Drohnenkriegs verantwortlich ist. Auf dessen Basis veröffentlichte «The Intercept» seine Recherchen im Oktober 2015 unter dem Titel «Drone Papers».
Die meisten Opfer sind Unschuldige
Aus diesen wurde deutlich, dass die meisten Opfer von US-Drohnenangriffen in Afghanistan, dem bis dato am häufigsten von Drohnen bombardierten Land der Welt, keine bewaffneten Extremisten waren, sondern ZivilistInnen. Die geheimen Dokumente, die Hale den JournalistInnen zuspielte, beschrieben unter anderem die «Operation Haymaker», die zwischen Januar 2012 und Februar 2013 im Nordosten Afghanistans stattfand und in deren Rahmen mindestens 200 Menschen getötet wurden. Bei über achtzig Prozent von ihnen handelte es sich demnach nicht um Talibanführer, sondern um unschuldige AfghanInnen. Vor Ort führten die Drohnenangriffe nicht zuletzt zu einer zunehmenden Radikalisierung vieler Menschen – von der wiederum vor allem die Taliban profitierten: Hass und Rachegefühle in der Bevölkerung halfen ihnen dabei, zusätzliches Personal zu rekrutieren.
Trotz der Tatsache, dass die in den Leaks beschriebenen Operationen sowohl zeitlich als auch geografisch begrenzt waren, machten die Dokumente die Abgründe des geheimen Drohnenkriegs, der von der Regierung Barack Obamas forciert und von seinen Nachfolgern fortgeführt wurde, deutlich.
Ein weiterer Fokus der Drone Papers lag auf den globalen MittäterInnen des amerikanischen Drohnenprogramms, etwa auf Deutschland: Das Land spielt aufgrund des US-Luftwaffenstützpunkts Ramstein in der Pfalz bis heute eine wichtige Rolle. In den Drone Papers bezeichnete Daniel Hale Ramstein als «Herzstück» des Drohnenkriegs: Ohne diese Basis wäre die Koordination der Drohnenangriffe demnach praktisch unmöglich. Denn dort befindet sich eine Satelliten-Relaisstation, die für die Kommunikation der DrohnenpilotInnen, die meist von Militärbasen in den USA aus operieren, mit den unbemannten Killermaschinen in Afghanistan, dem Jemen sowie in vielen anderen Zielländern unabdingbar ist. Die Station wurde Ende 2012 fertiggestellt. Und dieses Jahr stellte die US-Luftwaffe im Kontext einer Budgetanfrage klar, dass ihr Drohnenprogramm ohne sie aktuell nicht funktionieren würde.
Prominenter Support
All diese Dinge wissen wir dank Daniel Hale, der mit seiner Arbeit auch andere Menschen dazu bewegt hat, dem US-Drohnenprogramm den Rücken zu kehren und Informationen über den mörderischen Schattenkrieg an die Öffentlichkeit zu tragen. «Daniel Hale, einer der grossen amerikanischen Whistleblower, wurde gerade zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt», schrieb der wohl bekannteste Whistleblower der USA, Edward Snowden, kurz nach der Urteilsverkündung auf Twitter. «Sein Verbrechen war das Aussprechen dieser Wahrheit: Neunzig Prozent der Menschen, die durch US-Drohnen getötet werden, sind Unbeteiligte und nicht die beabsichtigten Ziele. Hale hätte eine Medaille erhalten sollen», hiess es in derselben Nachricht.
Und Lisa Ling, die einst selbst als Technikerin Teil des US-Drohnenprogramms war und sich seit einigen Jahren ebenfalls als Whistleblowerin betätigt, liess verlauten: «Ich unterschreibe jedes seiner Worte zum Drohnenprogramm.» Ling ist mit Hale befreundet. Sie kritisiert zum einen den Umgang der Politik mit ihm – aber auch viele Medien, die das Verfahren ignoriert oder relativiert hätten.
Besonders perfide an der Haftstrafe gegen Daniel Hale ist die Argumentation des zuständigen Richters: Er behauptete nämlich, dass Hales Tätigkeit als Whistleblower an sich kein Problem dargestellt hätte und er nicht deshalb strafrechtlich verfolgt worden sei. Sein Vergehen habe stattdessen darin bestanden, die Geheimdokumente an sich zu nehmen und an JournalistInnen weiterzugeben. Dem hatte der einstige Geheimdienstler Hale vor der Urteilsverkündung entgegengesetzt: «Ich bin hier, weil ich etwas gestohlen habe, was mir nie zustand – wertvolles, menschliches Leben.» Er wiederholte, dass neun von zehn Opfern von Drohnenangriffen Unschuldige seien und dass man für die Arbeit im Drohnenprogramm «sein eigenes Bewusstsein töten» müsse.
Übrigens lässt sich behaupten, dass der Drang zum Entwenden von Dokumenten in der Familie von Daniel Hale schon seit Jahrhunderten ausgeprägt ist: Sein Vorfahre war nämlich der bekannte US-Offizier Nathan Hale, der von der britischen Kolonialmacht im Jahr 1776, im Jahr der US-amerikanischen Unabhängigkeit, der Spionage bezichtigt und aufgehängt wurde. Er hatte, ähnlich wie sein Nachfahre, Dokumente gestohlen – und wird heute als amerikanischer Held und Patriot verehrt.