Durch den Monat mit Angeline Fankhauser (Teil 1): Bedauern Sie Widmer-Schlumpfs Rücktritt?
Die ehemalige Baselbieter SP-Nationalrätin Angeline Fankhauser will nicht von Rechtsrutsch sprechen, erinnert sich an Erfolge in der Asylpolitik – und an einen kritischen Satz, der aus dem Nationalratsprotokoll verschwand.
WOZ: Frau Fankhauser, letzte Woche trat Eveline Widmer-Schlumpf als Bundesrätin zurück. Bedauern Sie ihren Entscheid?
Angeline Fankhauser: Ich habe sie persönlich nicht gekannt. Aber mir gefällt, dass sie selbstbestimmt handelt und sich Strategiespielchen entzieht. Ich kann sie auch verstehen. Die SVP ging manchmal dermassen unflätig mit ihr um! Die Kritik wäre bei einem Mann wahrscheinlich anders ausgefallen.
Sind Sie enttäuscht vom Ausgang der Parlamentswahlen?
Klar, die SVP hat etwas vorwärtsgemacht, aber nur drei Prozent. Im Vorfeld der Wahlen hörte ich viele sagen: «Die SVP wird gewinnen, da will ich dabei sein.» Die Leute wollen reflexartig bei den Stärksten sein. Ich denke aber nicht, dass es einen Rechtsrutsch gegeben hat. Erstens hatte die SVP Proporzglück. Und zweitens wurde sie nur von einem Teil der Bevölkerung gewählt, nicht von der Mehrheit. Ich würde eher von einem antisozialen Rutsch sprechen.
Hat sich die Art zu regieren verändert seit Ihrer Zeit im Nationalrat?
Ja, sehr. Es geht heute alles viel schneller an die Öffentlichkeit. Kaum ist ein Beschluss gefasst, liest man ihn schon überall in den Medien, inklusive Empörung. Eine Stunde später stimmt der Beschluss schon nicht mehr, weil es mittlerweile einen Rückkommensantrag gab. So entsteht eine Verwirrung bei den Bürgerinnen und Bürgern. Früher diskutierte das Parlament in Ruhe noch einmal, und die Medien brachten die Beschlüsse erst am nächsten Tag.
Was sich ausserdem dramatisch verändert hat: Wer heute kandidiert, braucht ein Budget, und was für eines! Ich sprach mit einer jungen, sehr begabten Kandidatin aus Baselland, die meinte, ihr persönliches Budget betrage leider nur 15 000 Franken. Das ist doch ganz viel Geld! Ich würde heute nicht mehr ins Parlament gewählt, mir würde schlicht das Geld dafür fehlen. Ich wehrte mich immer schon dagegen, dass Geld die Welt regiert. Genau deswegen bin ich in die Politik eingestiegen.
Hat das Parlament an Glaubwürdigkeit verloren?
Schon zu meiner Zeit gab es einflussreiche Lobbyisten, die das Parlament manchmal wenig glaubwürdig erscheinen liessen. Doch insgesamt ist die Parlamentsarbeit anspruchsvoller geworden. Ich mag das Wort «Dichtestress» nicht im Zusammenhang mit Menschen. Aber bezogen auf Informationen trifft es zu.
Sie waren sechzehn Jahre lang Nationalrätin. Welche politischen Ereignisse und Entwicklungen freuen Sie rückblickend?
All die Geschichten mit den Frauen: die Gleichstellung, das Eherecht, die zunehmenden Frauenanteile. Und dann die Erfolge im Asylwesen. Ich betreute ja das Dossier Flüchtlinge; damals waren die Tamilen das Thema. In einer Allianz mit der FDP schafften wir es Ende der neunziger Jahre, eine Menge Leute aus dem Einzelfallverfahren herauszukriegen. Etwa tausend Tamilen konnten daraufhin vorläufig aufgenommen werden. Mich freuen auch die gesellschaftspolitischen Errungenschaften: die AHV, die IV, die Arbeitslosenversicherung, die Krankenkassen. Wir hatten nie eine linke Mehrheit in der Schweiz, aber die Linken haben hart gearbeitet! Generell steht man mit der SP selten auf der Seite der Gewinner. Man muss schauen, dass man gute Ideen «zueschüfelet», die die anderen dann für sich beanspruchen.
Welche Entwicklungen beunruhigen Sie?
Die ganze Fremdenfeindlichkeit. Oder anders gesagt: dass man nicht wahrhaben will, wie die Aussenpolitik und die Wirtschaftspolitik mit der Fluchtbewegung zusammenhängen. Auch die Unsummen an Vermögen, die in der Schweiz parkiert sind! Es fehlt an einer langfristigen Strategie: Wenn wir Frieden erreichen wollen, müssen wir Kriegsprävention betreiben. Stattdessen redet man aneinander vorbei: von Hotspots, von Zeltlagern, von Waffenlieferungen – und irgendwo dazwischen geht der Kommerz weiter. Im Grunde genommen geschieht derzeit eine Relativierung der Menschenrechte, statt dass um die Grundrechte, die Grundbedürfnisse der Menschheit gekämpft würde.
Kann die Linke in der Schweiz dagegenhalten – trotz Wahlerfolg der SVP?
An der Schweizer Politik gibt es zwei Besonderheiten. Erstens: Keine Partei hat je die absolute Mehrheit. Und zweitens können alle schlimmen Entscheide mit einer Volksabstimmung korrigiert werden. Das ist eine grosse Chance, auch für uns Linke. Diese Möglichkeit fehlt in anderen Ländern.
Mir persönlich war Christoph Blocher immer ein Beispiel dafür, wie man die Parlamentsarbeit nicht machen sollte. Er war derjenige, der kam, sich einschrieb, um Präsenz zu markieren und das Sitzungsgeld zu kassieren, und dann wieder verschwand. Er sagte später ja auch, er wolle seine Zeit nicht im Parlament verplempern. In einem Votum meinte er einmal, er ernähre als Arbeitgeber 3000 Leute. Da meldete ich mich und sagte: «Herr Blocher, Sie irren sich. 3000 Arbeitende ernähren Sie!» Später suchte ich diese Stelle im Protokoll – und fand sie nicht. Jemand hatte sie streichen lassen.
Angeline Fankhauser (79) sass von 1983 bis 1999 für die SP Baselland im Nationalrat. Heute engagiert sie sich bei den Grauen Panthern Nordwestschweiz und bei der Vereinigung aktiver Senioren und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz (VASOS).