Medientagebuch zur Qualität im Printjournalismus: Die Zukunft ist woanders

Nr. 47 –

Stefan Keller zur Qualität im Printjournalismus

Leute in einem gewissen Alter – Männer besonders – neigen manchmal dazu, den eigenen, unaufhaltsamen Verfall mit jenem der Welt zu verwechseln. Das gilt auch für JournalistInnen und gewiss für den Schreibenden, der während eines Jahrzehnts dieses Medientagebuch betreute. Einst aufgewachsen und politisiert in einem kleinen Kanton mit sechs oder sieben unabhängigen Tageszeitungen, von denen heute nur noch eine einzige existiert (als Kopfblatt eines ausserkantonalen Konzerns), war ich in meiner Jugend zwar nicht an eine wirkliche Meinungsvielfalt, aber doch an eine breite Auswahl von sich scharf konkurrenzierenden Printprodukten gewöhnt, bevor dann ein Titel nach dem anderen von grösseren Verlagen geschluckt wurde.

Schon mein allererster Artikel für die WOZ, im Jahr 1984, widmete sich dem Verfall der Presse. Es ging darin um eine Verlegerfamilie in einem Ostschweizer Städtchen, die ihr Käseblatt erfolgreich boulevardisierte, indem sie es zur Forumszeitung machte und all jenen unkritisch Platz einräumte, die nur genügend Macht verkörperten, besonders aber den Inserenten. Als die heute längst vergessenen Lokalverleger sich kurioserweise auch noch beim Steuerbetrug erwischen liessen, erschien dem jungen Schreiber das Menetekel deutlich. Litt nicht gleichzeitig im selben Städtchen die aufrichtige «Arbeiterzeitung» an lebensbedrohender Auszehrung? Mit der Presse ging es bergab.

Anderswo hatte der Zeitungsjournalismus in jener Zeit eine nie gekannte Blüte hinter sich. Redaktionelle Verhältnisse wie in den USA, wo die Reporter der «Washington Post» in den 1970er Jahren mit hoch riskanten Enthüllungen und mit voller Rückendeckung ihrer grossbürgerlichen Verlegerin einen Präsidenten aus dem Amt stürzen konnten, waren hierzulande zwar nicht vorstellbar. Aber in der Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs nach 1968 schien es auch im Schweizer Tagesjournalismus für schonungslos kritische Aufklärung und hohe Qualitätsvorstellungen eine gute Zukunft zu geben: Das prickelnde Gefühl, das ich als junger Leser hatte, wenn ich am Samstag den «Tages-Anzeiger» mit «Magazin» aus dem Briefkasten holte, lässt sich heute nicht mehr vermitteln. Dieses Prickeln war ein Grund für mich, selber Journalist zu werden.

Seit Jahrzehnten schimpfen wir über den Niedergang der traditionellen Medien, und es hat nichts genützt. Seit einigen Jahren wird der Verfall wissenschaftlich belegt und im «Jahrbuch Qualität der Medien» auf ernüchternde Weise präsentiert. An den Messmethoden mag es Zweifel geben, doch der Befund, dass die gedruckten Informationen im Durchschnitt an Relevanz verlieren – stete Boulevardisierung mit immer mehr Platz für die Mächtigen – ist offensichtlich, und die Folgen sind nicht nur an Wahlsonntagen feststellbar. Während, wer will, heute im internationalen Bereich besser informiert ist als je zuvor – mit potenziellem Zugang zu sämtlichen Qualitätsmedien der Welt –, öffnen sich im lokalen und nationalen Bereich immer grössere Lücken: Dumme, boulevardisierte Zeitungen bedeuten in der Konsequenz auch dumme, populistische Innenpolitik.

So wird hier also noch einmal der Verfall der Printmedien beklagt von einem Printjournalisten, der einen Grossteil des Informationsbedarfs über andere Medien bezieht. Und der natürlich weiss, dass auf neuen und frischen Kanälen immer wieder neue und frische Leute dasselbe journalistische Prickeln verspüren wie er selber einst vor dem Briefkasten.

Stefan Keller ist WOZ-Redaktor. Das Medientagebuch wird ab der nächsten WOZ durch ein neues Gefäss im Innern des Blattes abgelöst. Das «Jahrbuch 2015. Qualität der Medien» ist Ende Oktober im Schwabe Verlag Basel erschienen. 378 Seiten. 98 Franken.