Klimagipfel in Paris: Zahlen sollen die anderen
Eigentlich müsste an der Klimakonferenz in Paris die Welt gerettet werden. Stattdessen wird vor allem über wirtschaftliche Interessen, nationale Befindlichkeiten und Buchhaltungsfragen gestritten.
Sie haben ziemlich auf den Putz gehauen, die Umweltminister Chinas und Indiens sowie ihre Kolleginnen aus Südafrika und Brasilien: Während die reichen Staaten auf dem Pariser Klimagipfel behaupteten, ihren Versprechen nachzukommen, seien sie tatsächlich weit davon entfernt. Das Auf-den-Putz-Hauen ist Teil des Spiels an der Konferenz – als theatralische Geste sowohl für die VerhandlungsteilnehmerInnen wie auch für das heimische Publikum. Der französische Aussenminister und Konferenzpräsident Laurent Fabius hat angekündigt, am Mittwoch (nach Redaktionsschluss dieser WOZ) einen neuen Verhandlungstext zu präsentieren. Entsprechend positionierten sich die Parteien am Dienstag noch einmal möglichst prägnant. Ob die Differenzen tatsächlich unüberbrückbar sind oder ob die letzten zweieinhalb Konferenztage doch noch zu einem konsensfähigen Text führen, entscheidet sich wohl erst am Ende des Gipfels am 11. Dezember.
Der Unmut der Bics-Staaten (Brasilien, Indien, China und Südafrika) entzündet sich am Geld. Dabei wären die Voraussetzungen für eine Einigung gut: Die reichen Staaten haben 2009 versprochen, ab 2020 jährlich hundert Milliarden US-Dollar für «mitigation and adaptation» bereitzustellen. Damit sollen arme Staaten darin unterstützt werden, Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgase zu ergreifen und sich an den Klimawandel anzupassen. Allen ist klar, dass hundert Milliarden Dollar pro Jahr zu wenig sind – das Uno-Umweltprogramm Unep schätzt den Bedarf auf das Drei- bis Vierfache. Zudem entsprechen hundert Milliarden Dollar bloss einem Fünftel der Subventionen für fossile Energieträger weltweit, wie das Climate Action Network ausgerechnet hat.
Trotzdem besteht in Paris über die Höhe dieses Betrags Konsens: Bisher haben die Staaten, je nach Quelle, achtzig oder neunzig Milliarden pro Jahr zugesagt. Der Streit dreht sich darum, wie gerechnet wird. Derzeit rechnen die Geberländer nach einer von ihnen selbst festgelegten Methodik Kraut und Rüben zusammen: staatliche und private Gelder, À-fonds-perdu-Beiträge und rückzahlbare Darlehen, ja sogar Exportrisikogarantien, die reiche Länder ihren Unternehmen gewähren, wenn sie im Ausland investieren.
Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), also einer Organisation der reichen Länder, sind 2014 bereits 62 Milliarden Dollar geflossen. Die Bics-Länder widersprechen: Nach indischen Berechnungen haben die reichen Länder lediglich 2,2 Milliarden Klimagelder bezahlt.
Streit um rote Linien
Neben den Geldtransfers für Emissionsreduktionen und Anpassungen sind solche für «loss and damages» schon im Grundsatz umstritten. Damit sind Entschädigungen für Schäden und Verluste gemeint, die unwiederbringlich sind und wo keine Anpassung mehr möglich ist. Zwar hat man sich bereits vor zwei Jahren darüber geeinigt, dass es hierfür einen Mechanismus geben soll. Strittig ist aber, ob das Pariser Abkommen ein Kapitel zu «loss and damages» enthalten soll. Es waren Schweizer UnterhändlerInnen, die an einer Vorverhandlungsrunde vorgeschlagen hatten, das Kapitel ganz zu streichen.
Aber relevant ist nicht die Schweiz. Mit einem Loss-and-Damages-Kapitel, sagte US-Chefunterhändler Todd Stern noch vor wenigen Tagen, würde eine «rote Linie» überschritten: «Wir sind nicht für diese Schäden verantwortlich und werden sie nicht kompensieren.» Während die verschiedenen Freihandelsabkommen, die die USA derzeit aushandeln, Schiedsgerichte vorsehen, vor denen Unternehmen Staaten einklagen können, fürchtet man sich hier genau davor, rechtlich haftbar zu werden. Am Montag schien die rote Linie dann plötzlich verschwunden zu sein; jedenfalls meldete das Climate Action Network, die USA böten Hand zu einer Kompromissformulierung. Am Dienstagabend sagte Todd Stern dann wieder, die Positionen lägen zu weit auseinander für einen Kompromiss. Auch widersprüchliche Aussagen gehören zum Spiel.
Grob gesagt verlaufen die Fronten zwischen «Entwicklungsländern», die in der Verhandlungsgruppe G77 organisiert sind, und «entwickelten Ländern», auch wenn die beiden Gruppen alles andere als homogen sind. Sie sind aber genau definiert: Die Uno-Rahmenkonvention zum Klimawandel UNFCCC aus dem Jahr 1992 – sie bildet die Basis der Verhandlungen – listet in ihrem Anhang auf, welches Land in welche Kategorie gehört. Entsprechend gelten andere Regeln.
Indien wehrt sich
Diese Einteilung ist inzwischen fragwürdig geworden: Nach 23 Jahren ist sie überholt. Südkorea und die Türkei zum Beispiel sind keine Entwicklungsländer mehr. Besonders stossend ist jedoch, dass die reichen arabischen Erdölstaaten als Entwicklungsländer gelten. Es könne doch nicht sein, sagte der Schweizer Verhandlungsleiter Franz Perrez, dass Griechenland als «entwickeltes» Land verpflichtet sei, Saudi-Arabien als «Entwicklungsland» zu unterstützen. Saudi-Arabien, das in Paris mit absurden Vorstössen Obstruktion leistet, sagte dagegen am Dienstag, es sei zu arm, um die Anpassungen an den Klimawandel aus eigener Kraft zu schaffen.
Auch die USA möchten die Unterscheidung aufheben; es ist für sie inakzeptabel, dass etwa für China andere Regeln gelten sollen als für sie selbst. Die G77-Länder halten daran fest: Eine Neuverhandlung des UNFCCC stehe nicht zur Debatte. Vor allem Indien wehrt sich. «Wir wollen sicherstellen, dass die reichen Länder ihre Kohlenstoffschuld begleichen», sagte Umweltminister Prakash Javadekar. Indien wehrt sich bisher auch dagegen, die Reduktionsziele alle fünf Jahre zu revidieren. Solche Revisionen sind aber nötig, weil die bisher gemachten Zusagen bei weitem nicht ausreichen, um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
Ein Land wie Indien hat Gewicht. Die indische Regierung ist sich sehr wohl bewusst, wie gravierend der Klimawandel das eigene Land treffen wird – auch wenn Premierminister Narendra Modi im Wahlkampf mit den KlimaleugnerInnen kokettiert hat. Aber in Indien haben auch 300 Millionen EinwohnerInnen keinen Zugang zu elektrischem Strom. Wenn ihr uns helft, diesen Menschen den Zugang zu erneuerbarer Energie zu gewähren, sind wir dabei, so seine Botschaft an die reichen Staaten.
Doch die Entwicklungsländer treten nicht geschlossen auf; die besonders verletzlichen Staaten haben die indische Regierung für ihre Haltung kritisiert und sich mit der EU ausserhalb der G77 auf gemeinsame Positionen geeinigt. Mehrere Entwicklungsländer haben zudem Zahlungen für «mitigation and adaptation» angeboten – neben China auch kleine Länder wie Vietnam. Damit üben sie Druck auf die reichen «Entwicklungsländer» aus.
Und wo steht die Schweiz? Als sie im März als erstes Land ihre (wenig ambitionierten) Treibhausgas-Reduktionsabsichten bekannt gab, liess das Umweltdepartement (Uvek) verlauten, die Schweiz wolle damit «einen Standard setzen». Aber wenn die Schweiz in den neunziger Jahren auch eine Vorreiterrolle spielte: Diese hat sie längst aufgegeben. Es interessiert niemanden wirklich, was die Schweiz tut. Das Gute daran: Es fällt nicht so peinlich auf, wenn das reiche Land drei Tage vor Konferenzende noch immer nicht gesagt hat, wie viel Geld es für «adaptation and mitigation» zu zahlen bereit ist.
Alles über Paris
Klimaspezialist Marcel Hänggi berichtet für die WOZ täglich über die Klimakonferenz in Paris. In seinem Blog belegt er die Interessen der unterschiedlichen AkteurInnen, analysiert die neusten Zahlen und deren Konsequenzen, präsentiert jüngste Studien und bewertet den Fortgang der Verhandlungen bis zu deren Abschluss am 11. Dezember 2015.