Von oben herab: In die Röhre
Stefan Gärtner über heilige Berge und Strassen
Gotthard, zweite Röhre – dass das Schweizervolk darüber abstimmen darf, ob Frontmann Nic Maeder Verstärkung erhält, ist eine basisdemokratische Erstaunlichkeit, zumal der Australoschweizer seit dem Tod Steve Lees anno 2010 sowieso bereits die zweite «Röhre» der Tessiner Kultband ist; und sich ja auch längst nicht alle Schweizer für Heavy Metal interessieren. Von Schweizerinnen zu schweigen!
Ah, Moment, Lesefehler: Nicht die Formation Gotthard, sondern der Berg Gotthard soll eine zweite Röhre kriegen, für den Autoverkehr, und darüber wird Ende Februar abgestimmt. Autofahrer sind dafür, Umweltschützer dagegen, und da bin ich, mit Gotthard bzw. Gottfried Benn, wiederum froh, dass ich nicht im Ausland Inländer bin («Möchten Sie lieber Italiener oder Franzose sein? Ich nicht. Vielleicht Scandinavier, sogar Tscheche, aber Holländer auch nicht», im Brief an F. W. Oelze, 4. 5. 1955). Denn ich bin Autofahrer und Umweltschützer gleichzeitig, was ein «schöner Wahnsinn» (Ludwig Tieck) ist, in Deutschland aber kein Problem, da muss man nicht abstimmen, da wird die Autobahn gebaut, und fertig.
Egal. Jedenfalls soll aber doch der Verkehr, zumal der transitorische, eigentlich auf die Schiene, und kurioserweise sind neuerdings sogar die Schweizer Bundesbahnen für die zweite Röhre. Aus ziemlich guten Gründen: «Kein Kommentar», so die SBB bislang sinngemäss, während ein Herr von der Kundenvereinigung Pro Bahn «entsetzt» ist: «Es sei ein Eingeständnis der SBB, dass man einen Bahnverlad am Gotthard nicht stemmen könne» («SonntagsBlick»).
Probleme beim Bahnverlad? Da sollten sich die SBB mal ein Beispiel an den deutschen Kollegen nehmen, die die Kundschaft auch im neuen Jahr wieder zuverlässig «verladen» werden, denn wenn ein Zug für «wenige Minuten später» angekündigt ist, dann wirds ne halbe Stunde …
Aber «Scherz» beiseite. «Rein sachlich betrachtet, ist dieser Entscheid der SBB schlicht gaga», meldet der Präsident des Vereins Alpeninitiative, der nämlich glaubt, es müsse «etwas anderes dahinterstecken», und auch wenn Verschwörungsdenken in Deutschland mittlerweile Volkssport ist: Das gäb es «bei uns» (FAZ) nicht. Das wäre, im Autobauer-, Autofahrer- und Dummraserland Nummer eins, nämlich völlig normal, dass sogar die Bahn für mehr Fahrspuren ist, einfach so, aus nationaler Defektheit. Da könnte es durch den heiligsten Nationalberg gehen, es wäre ganz egal, und dass es noch nicht geschehen ist, liegt allein daran, dass der Kyffhäuser in der ostdeutschen Provinz steht, ein Wirtschaftsloch, das weiss Gott nicht noch mehr nutzlose Autobahn braucht.
Glückwunsch also schon jetzt zur zweiten Röhre, die sich allenfalls durch «massives» («Süddeutsche Zeitung») Wutbürgern noch verhindern lassen dürfte. Aber Wutbürgern, das kann ich mir in der Schweiz auch schon wieder nicht vorstellen. Als mein Winterthurer Freund Ruedi wegen irgendeiner «Scheisse» (Helmut Schmidt) mal ausgeflippt ist, tönte das so: «Des isch aber nicht guet jetzt», und er hat freilich das Ausrufezeichen weggelassen und sich in aller Ruhe ein Emmentalerbrot gemacht. Weil es in der Schweiz halt immer guet isch, sonst wäre sie ja nicht die Schweiz, sondern Belgien, Sachsen-Anhalt oder wie immer diese Drittweltstaaten heissen. Deren Insassen zwar in allerlei Röhren schauen mögen, aber nicht in so ingenieursmässig exzellente.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.