Bergkarabach: Der Syrienkrieg hat Auswirkungen bis in den Kaukasus

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Der Konflikt um Bergkarabach spitzt sich weiter zu. Nun giesst auch noch die Türkei Öl ins Feuer.

So brüchig wie in den letzten Monaten war der Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan auf der einen Seite sowie Bergkarabach und Armenien auf der anderen Seite seit zwanzig Jahren nicht mehr. Aserbaidschan will nach wie vor die Kontrolle über die mehrheitlich von ArmenierInnen bewohnte Region Bergkarabach zurückerlangen. Aus dem einstigen Autonomen Gebiet ist eine «Republik» entstanden, die international jedoch nicht anerkannt wird. Um diese «Republik» herum hält Armenien zudem Gebiete als eine Art Schutzgürtel besetzt, ein Zustand, den Aserbaidschan ebenfalls beenden will. Aus Armenien und Bergkarabach ertönt derweil der Ruf, Aserbaidschan militärisch zu vernichten, um mit der latenten Bedrohung endgültig aufzuräumen.

Der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach wurde am 12. Mai 1994 mit einem Waffenstillstand beendet. 30 000 Menschen waren zuvor ums Leben gekommen. Vollständig wurde die Waffenruhe allerdings nie eingehalten. Immer wieder wurde an der «Kontaktlinie» geschossen, gab es Tote. Mitte letzten Jahres flammte der armenisch-aserbaidschanische Konflikt dann wieder stärker auf. Nun verletzen nicht nur Scharfschützen die Waffenruhe. Armenier und Aserbaidschaner beschiessen sich wieder mit Artillerie, Raketen und Panzern. Und auch die Zivilbevölkerung ist von diesen neuen Kämpfen betroffen. An manchen Orten konnten die BäuerInnen aus Angst vor der Artillerie die Ernte nur teilweise einfahren.

Immer mehr Tote

Die Konfliktparteien beschuldigen sich gegenseitig der neuen Eskalation. Allein an einem Tag habe die armenische Seite 127 Mal aserbaidschanische Stellungen beschossen, berichtete das aserbaidschanische Verteidigungsministerium Anfang Januar. Fast gleichzeitig vermeldete das Verteidigungsministerium von Bergkarabach, Aserbaidschan habe innerhalb von 24 Stunden 2000 Mal über die Waffenstillstandsgrenze geschossen. Eine derartige Intensität der Kämpfe, so der Politologe Wagram Atanesjan aus Bergkarabach, habe es seit Beginn des Waffenstillstands nicht gegeben. Das aserbaidschanische Militär spricht von achtzehn Soldaten, die 2015 an der Front ums Leben kamen, während auf der armenischen Seite hundert gefallen seien. Die Behörden von Bergkarabach schätzen die aserbaidschanischen Verluste höher ein. Allein in der ersten Dezemberhälfte habe Aserbaidschan dreizehn tote Soldaten zu beklagen gehabt.

Türkische Rachegelüste

Die neue Eskalation, so Masis Mailjan, der lange Jahre stellvertretender Aussenminister der «Republik» Bergkarabach war, gefährde den Frieden in der ganzen Region und stelle alle internationalen Vermittlungsbemühungen auf den Prüfstand.

Tatsächlich hat der Konflikt um Bergkarabach in den letzten Monaten eine neue internationale Dimension erhalten. Er wirkt sich nicht nur negativ auf die Nachbarländer aus, sondern wird auch durch die Konflikte in der weiteren Umgebung zusätzlich befeuert. So trat nur zwei Tage nach dem Abschuss eines Jets der russischen Luftwaffe am 24. November im türkisch-syrischen Grenzgebiet der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mit einer überraschenden Erklärung vor die Presse: Die Türkei werde alles tun, um die besetzten aserbaidschanischen Gebiete zu befreien, sagte er. Russland und Armenien sind Verbündete. Die Türkei weiss, wo sie Russland am stärksten treffen kann.

Die Rachegelüste gegen Russland wollte die türkische Regierung nicht auf die lange Bank schieben. Schon am nächsten Tag reiste Aussenminister Ahmet Davutoglu nach Baku. Allerdings ist die aserbaidschanische Regierung bislang relativ zurückhaltend gegenüber den türkischen Avancen geblieben. Aserbaidschan habe immer zwischen dem Westen und Russland laviert, erklärt sich der aserbaidschanische Politologe Avas Hasanov dieses Verhalten. Sein Land versuche vielmehr, den Ost-West-Konflikt für eigene Interessen zu nutzen. So habe das Land dank der westlichen Sanktionen gegen Russland seinen Handelsumfang mit Russland von einer halben Milliarde auf vier Milliarden Dollar im Jahr gesteigert. Auch vom Konflikt zwischen der Türkei und Russland wolle die aserbaidschanische Regierung profitieren: Dank der russischen Sanktionen gegen die Türkei könnten – so hoffe man – aserbaidschanische Unternehmen einen Teil des lukrativen Markts übernehmen, den die Türkei verliere, insbesondere im Tourismus. Der türkisch-russische Konflikt, so Hasanov, habe Aserbaidschan also sowieso gestärkt.

«Ein für alle Mal vernichten»

Die Konflikte im Nahen Osten wirken sich noch aus anderen Gründen destabilisierend auf die Region um Bergkarabach aus: So fehle es an internationaler Aufmerksamkeit, beklagt Politiker Masis Mailjan aus Bergkarabach. Dabei brauche es dringend eine internationale Vermittlung, wenn eine weitere Eskalation des Konflikts verhindert werden solle.

BeobachterInnen befürchten zudem, dass die armenische Regierung Flüchtlinge aus Syrien für ihre Zwecke einspannen könnte. Denn Eriwan plant eine umfangreiche Ansiedelung von Flüchtlingen, die in Syrien zur armenischen Minderheit gehören. Armenien könnte versuchen, diese in Bergkarabach und den besetzten Gebieten anzusiedeln. Das würde das gespannte Verhältnis mit Aserbaidschan auf eine weitere Belastungsprobe stellen.

Schon heute sind die ersten fatalen Folgen der jüngsten Eskalation erkennbar. Feindbilder verfestigen sich, die Rufe nach einer «militärischen Lösung» des Bergkarabachkonflikts werden lauter. So fordert der bergkarabach-armenische Aktivist Karen Ogandschanjan eine harte militärische Antwort auf die jüngsten aserbaidschanischen Aggressionen. Aserbaidschan müsse begreifen, so der Aktivist, der noch vor Jahren armenisch-aserbaidschanische Begegnungen organisiert hatte, dass nach einem neuen Krieg nur noch ein riesiger Krater an das erinnern werde, was einmal Aserbaidschan gewesen sei. «Ich fordere die Machthaber von Karabach auf, ihr gesamtes militärisches Potenzial einzusetzen, um Aserbaidschan militärisch und wirtschaftlich ein für alle Mal zu vernichten», so Ogandschanjan auf seiner Facebook-Seite.

Auch Armeniens Präsident Sersch Sargsjan stimmt die Bevölkerung auf eine weitere Eskalation ein. «Wir haben bisher immer symmetrisch in der Wahl der Mittel und unsymmetrisch in der angewandten Stärke reagiert», so Sargsjan auf der Internetseite des armenischen Präsidialamts. «Doch nun behalten wir uns auch in der Form eine asymmetrische Antwort vor.»

Ein Opfer der zunehmenden Spannungen mit dem armenischen Nachbarn sind Menschenrechtlerinnen und Journalisten in Aserbaidschan. Unter den 210 aserbaidschanischen Häftlingen, die Ende 2015 von Präsident Ilham Alijew begnadigt worden waren, befand sich nicht ein einziger politischer Häftling. Viele von ihnen sind auch in Haft, weil sie Kontakt zu ArmenierInnen hatten.

Unterdessen kommen die Bemühungen um eine diplomatische Lösung nur langsam voran. Hatten sich die Präsidenten von Armenien und Aserbaidschan 2014 noch drei Mal getroffen, kam es 2015 zu einem einzigen Gipfeltreffen. Und bei diesem Treffen am 19. Dezember in Bern habe es keine Annäherung gegeben, resümiert die zuständige Kontaktgruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.