Durch den Monat mit Bülent Kaya (Teil 2): War es erniedrigend, Hamburger zu braten?
Bülent Kaya über den Putsch von 1980 in der Türkei, französische und Schweizer Bürokraten und seine ersten Jahre in der Schweiz.
WOZ: Herr Kaya, letzte Woche sprachen wir über autoritäre Tendenzen in der Türkei, die Sie gegenwärtig beobachten. Sie selbst erlebten im September 1980 in der Türkei den dritten Militärputsch. Wer stand damals im Visier der Putschisten unter General Kenan Evren?
Bülent Kaya: Nach dem Putsch wurden alle Parteien, Gewerkschaften und Vereine verboten. Vor allem Linke wurden verhaftet und gefoltert. Ein Teil von ihnen starb in den Gefängnissen, und auch auf offener Strasse wurden Menschen getötet. Ebenso rigoros ging das Militär gegen Angehörige der Studentenbewegung vor, der auch ich angehörte.
Dann waren Sie also ganz konkret gefährdet?
Ja. Ich schlief in jener Zeit nicht mehr bei meinen Eltern, sondern übernachtete bei verschiedenen Leuten. Ich verlor jeden Tag Menschen aus meinem nahen Umfeld, der Kreis zog sich enger und enger. Ich beschloss, die Türkei zu verlassen, und reiste im Jahr 1982 gemeinsam mit einem Kollegen aus.
Und die Studentenbewegung, hat sie die Jahre der Militärregierung überstanden?
Leider gelang es den Putschisten, unsere Bewegung zu zerstören. Wir landeten im Gefängnis oder gingen ins Exil. Wir setzten uns für eine demokratische Uni ein, stellten aber auch das System infrage. Wir orientierten uns am Marxismus und an den revolutionären Ideen von Che Guevara, waren aber unabhängig von der Sowjetunion und anderen realsozialistischen Staaten.
War bei der Ausreise von Anfang an die Schweiz Ihr Ziel?
Zuerst wollte ich nach Frankreich und stellte einen Visumantrag beim französischen Konsulat. Ich gab vor, bei einer französischen Firma zu arbeiten und Französisch zu sprechen.
Wie reagierten die Beamten?
Als die Frau im Konsulat bemerkte, dass ich kein Französisch konnte, wollte sie die Polizei rufen. Ich fragte sie, ob sie denn wisse, was in den Gefängnissen passiert. Dann schrie ich: «Rufen Sie an, rufen Sie doch die Polizei!» Die Frau wurde rot und redete kein Wort mehr. Schliesslich willigte sie ein, mir die Dokumente zurückzugeben und so zu tun, als hätte ich nie einen Antrag gestellt. In der Tür sagte ich zu ihr: «Ich gehe trotzdem nach Frankreich.»
Schliesslich sind Sie über den Balkan in die Schweiz gereist, eines der wenigen Länder, das damals keine Visumpflicht für türkische Staatsbürger kannte. Wo genau landeten Sie?
Ich stellte einen Asylantrag bei der Fremdenpolizei in Bern. Mir wurde ein Schlafplatz zugewiesen. Ausserdem sollte ich mir eine Arbeit suchen, denn damals durften Asylbewerber gleich nach der Ankunft arbeiten. Schon nach einer Woche fand ich eine Arbeit bei McDonald’s.
Kein besonders toller Job für einen studierten Erziehungswissenschaftler …
Diese Arbeit garantierte meine Unabhängigkeit und ermöglichte mir, Sprachkurse zu besuchen. Ich wurde auch sozial schnell eingebunden und ging mit Arbeitskollegen ins Café oder in die Disco. Auch meine erste Freundin lernte ich über den Job kennen. Das alles half mir, meine Erfahrungen in der Türkei zu verarbeiten und zu merken, dass ich auch in einem anderen Land glücklich sein kann. Auch in der WG in Bern, in die ich später gezogen war, führten wir interessante Gespräche.
Was waren dort die Themen?
Ich diskutierte mit den Schweizer Linken und Feministinnen, mit denen ich zusammenwohnte, viel über Demokratie, über Friedens- und Umweltfragen. Allerdings traf ich auch auf eine eurozentrische und paternalistische Haltung, die mich in die Rolle des Vertreters einer patriarchalen Gesellschaft drängte. Aber insgesamt habe ich profitiert: De facto fühlte ich mich als Teil der Schweizer Gesellschaft, schon bevor ich 1985 den positiven Asylentscheid erhielt.
Was änderte sich mit dem Entscheid?
Für mich war das eine neue Phase, in der ich beginnen konnte, an meine Zukunft zu denken. Es war immer mein Traum gewesen, Politologie zu studieren, und so sagte ich meiner Betreuerin, dass ich keine Hamburger mehr machen wolle.
War die Zulassung zum Studium auch so einfach wie die Jobsuche?
Mit der Uni in Genf gab es keine Probleme. Dafür mit dem Stipendium: Die Berner Erziehungsdirektion schickte mich zu einem akademischen Berufsberater, um meine Studienfähigkeit abzuklären. Ich sollte eine Art Intelligenztest ausfüllen. Als ich die Fragen las, war ich empört: Solche Fragen dienen dazu, die Entwicklung von Vorschulkindern einzuschätzen. Ich weigerte mich, die Fragen zu beantworten.
Was waren die Folgen?
Als der Berater, der den Test abnahm, zurückkam, wurde er wütend. Ich erklärte ihm, dass ich den Test erniedrigend fände und dass er mir Fragen stellen könne, um meine Intelligenz zu testen. Wir diskutierten dann über die politische Situation in der Türkei, und schliesslich erhielt ich eine Fähigkeitsbestätigung, dank derer ich ab dem zweiten Semester ein Darlehen aus Bern erhielt. Davor konnte ich auf meine Berner Freunde zählen: Von ihnen kam die finanzielle Unterstützung im ersten Semester.
Bülent Kaya (55) schloss sein Studium der Politikwissenschaften 1991 in Genf ab. Er ist inzwischen eingebürgerter Schweizer.