Auf allen Kanälen: Das notwendige Rauschen

Nr. 9 –

Zwischen Kriegsbildern und Katzenvideos, in den grossen Zeitungen und im Netz: Wie informieren wir uns heute eigentlich? Eine Selbstbefragung.

Kürzlich fragt mich der Madrider «Diagonal», ob ich etwas über AfD und Rassismus in Deutschland schreiben könnte. Ich lehne ab, weil ich nicht gut genug informiert bin, und denke im Stillen, dass ich lieber etwas über Katalonien schreiben würde, weil ich finde, dass das in der spanischen Wochenzeitung nicht richtig dargestellt ist. Den Gedanken behalte ich für mich – den Madrider LeserInnen von Berlin aus zu erzählen, was in Barcelona passiert, wäre wohl etwas anmassend.

Obwohl … Wie recherchieren wir heute eigentlich? Sicher, wenn etwas auf der Strasse passiert, gehen wir raus, hören uns um und fangen Stimmungen ein. Aber sobald es «politischer» wird, beginnt man zu lesen. Die Art, das zu tun, hat sich radikal verändert. In den neunziger Jahren ging ich einmal die Woche in die Berliner Staatsbibliothek, um im Lesesaal das einzige Exemplar der kolumbianischen Tageszeitung «El Tiempo» zu studieren. Die Nummern waren vier Wochen alt, und aus den Kriegsregionen wurde wenig berichtet. Trotzdem gehörte man dank der Lektüre und der Neuigkeiten von Exilierten zu den über Kolumbien bestinformierten Personen in Deutschland.

Verschobene Perspektive

Seit ein paar Jahren verfolge ich in erster Linie die Entwicklung im spanischen Staat. Ich lese die katalanischen Zeitungen «NaciòDigital», «El Món» und «Ara», die baskische «Gara» sowie «El Diario» und «El País» aus Madrid. Was hingegen weiss ich über Deutschland? Beim Kochen höre ich den Deutschlandfunk. Was die grossen Zeitungen oder das Fernsehen verlautbaren, erreicht mich hingegen nur, wenn es über den Twitter- oder Facebook-Filter zu mir gelangt – sprich, wenn es mir jemand empfiehlt.

Präsent dagegen: die Syrientweets des Journalisten Kurt Pelda und des Medico-Mitarbeiters Martin Glasenapp, die Blogeinträge Kerem Schambergers über Kurdistan, Christian Y. Schmidts Aufklärungsarbeiten zu China oder Hintergrundtexte aus dem englischsprachigen «Jacobinmag». Sind die grossen Zeitungen damit bedeutungslos geworden? Sicher nicht. Sie sind das Hintergrundrauschen, das einen Eindruck vermittelt, ob eine Nachricht stimmen kann oder nicht. Die Smartphone-Aufnahmen von der Bombardierung eines Wohnhauses aus dem kurdischen Cizre sind wenig glaubhaft, hat man nicht eben bei tagesschau.de gesehen, dass die türkische Armee «ihre Offensive im Südosten fortsetzt» – schöner Euphemismus.

Der Chor der grossen Medien ist die Folie, auf der die vielstimmige Berichterstattung im Netz Sinn ergibt. Konzern- und staatseigene Medien sind dabei nicht einfach die Gegenseite, die es zu widerlegen gilt: Viele wichtige Stimmen berichten schliesslich auch dort. Aber die Perspektive hat sich mit Sicherheit verschoben. Wenn ich im Zug ein liegen gebliebenes Exemplar der Wochenzeitung «Die Zeit» in die Finger bekomme, kommt mir immer die Bezeichnung «Schülerzeitung des Hamburger Grossbürgertums» in den Sinn. Wenn es das ist, was die politischen Eliten über die Welt wissen, dann ist es kein Wunder, in welchem Zustand sich diese befindet.

Unzählige Blasen

Dass die neue Medienlandschaft durch Masse verblödet, würde ich also nicht unterschreiben. Zwar werden wir permanent dazu angehalten, die Aufmerksamkeit auf Celebrity-News und ideologischen Schrott zu richten. Aber wirklich gezwungen werden wir nicht. Der Fernseher lässt sich sowohl abschalten als auch abschaffen, und wem man bei Twitter oder Facebook folgt, entscheidet man selbst.

Klar, bilden sich dadurch Blasen. Anders als früher, als die ganze Gesellschaft nur von einer Handvoll Diskursblasen beherrscht wurde, sind es heute unzählige, die wir zudem mitgestalten. Wahrscheinlich ist es das, was das Gefühl der Überforderung erzeugt. Wer Medien heute intelligent nutzen will, muss anders mitdenken als beim Zeitunglesen. Will ich das Internet mit noch mehr Katzenbildern zumüllen, oder beschränke ich, was ich mit anderen teile? Was wissen meine «peers» nicht sowieso schon? Und immer auch: Gibt es Gegenquellen?

Die spanische Tagespresse meldete kürzlich den bevorstehenden Kollaps der Deutschen Bank – eine Pleite, die den Lehman-Brothers-Crash in den Schatten stellen könnte. Hierzulande klingt das viel harmloser. Ist das nun deutsches Krisenmanagement oder die spanische Sehnsucht nach dem Sturz des europäischen Oberlehrers?