US-Vorwahlen: Die Angst des verzweifelten Establishments

Nr. 10 –

Trotz dreckigem Wahlkampf, irren Kandidaten und möglichem Chaos auf dem Nominierungsparteitag: Die RepublikanerInnen haben nach wie vor gute Chancen, den nächsten Präsidenten der USA zu stellen. Das Problem aufseiten der DemokratInnen heisst Hillary Clinton.

Lee Sims, ein älterer Mann mit Donald-Trump-Cap, sitzt auf einer Holzbank und wartet geduldig. Trump hätte schon längst hier sein sollen, im gut gefüllten Barton Coliseum, dem Hallenstadion von Little Rock, der Hauptstadt des Bundesstaats Arkansas. Es ist der 3. Februar, zwei Tage nach der ersten Vorwahl im Rennen um die US-Präsidentschaft. Trump soll hier eine Rede halten, die Menge begeistern. Mehrere Tausend warten auf den reichen, lauten Mann aus New York.

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten geht Trump nicht an kleine Veranstaltungen in Mehrzweckhallen, Bibliotheken und Kirchensälen, um direkt mit den Leuten zu reden. Er lässt Grossveranstaltungen organisieren, für die er dann mit seinem Privatjet einfliegt. Den Event in Little Rock macht er zu einem Zeitpunkt, als seine Konkurrenz in New Hampshire, der zweiten Vorwahlstation, von Stadt zu Stadt tingelt. Ein typischer Trump-Zug: Er signalisiert so, dass er es nicht nötig hat, in New Hampshire zu sein, er wird dort sowieso gewinnen. Doch wo bleibt er? Über die Lautsprecher wird Musik von einem Endlosband eingespielt, «Hey Jude» von den Beatles läuft bereits zum zweiten Mal.

Lee Sims ist pensioniert. Vier Jahre lang diente er als Soldat im Vietnamkrieg, danach arbeitete er lange Zeit bei einer Telefongesellschaft als Techniker. Wieso er Donald Trump unterstützt? «Weil er die Terroristen verjagt», sagt er spontan. Man müsse «mit diesem IS» aufräumen. «Trump kann das, er ist eine wirkliche Führungsfigur.» Von der Demokratin Hillary Clinton hält er gar nichts: «Total korrupt sind die», sagt er und meint damit auch gleich noch ihren Mann Bill Clinton, den früheren Gouverneur des Staats und US-Präsidenten von 1993 bis 2001. «Ich habe den gleichen Jahrgang wie Bill Clinton», sagt Sims, «wir gingen aber nicht auf die gleiche Schule.»

Schliesslich kommt Donald Trump doch noch, sein Flugzeug hatte eine Panne. In seiner Rede attackiert er seinen schärfsten Konkurrenten Ted Cruz und bezeichnet ihn als Betrüger. Er habe ihn um den Sieg in Iowa gebracht. Überhaupt: «Die Politiker sind alle gleich.» Auch Hillary und Bill Clinton: «Die haben euch verlassen», ruft er dem johlenden Publikum zu. Falls er Präsident werde, werde er mehr Arbeitsplätze schaffen, als jemand jemals zuvor geschaffen habe. Wer lautstark protestiert – es sind während seiner Rede mehrere Dutzend –, wird von Bodyguards und mithilfe der örtlichen Polizei aus dem Saal entfernt.

Trump siegt weiter

Donald Trump hat nach wie vor die besten Chancen, zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei gewählt zu werden. Auch am vergangenen Dienstag gewann er die Vorwahlen in Michigan, Mississippi und Hawaii. Seinen Vorsprung gegenüber dem grössten Konkurrenten, dem konservativen Hardliner Ted Cruz, hat er wieder vergrössert. Die Kandidaten Marco Rubio und John Kasich fallen derweil immer weiter zurück.

Allerdings wird der Gegenwind aus der Partei stärker: Für Neokonservative, die für eine interventionistische Aussenpolitik einstehen, für religiöse FundamentalistInnen, die die Abtreibungsgesetze weiter verschärfen wollen, und für Wirtschaftsliberale, die den Freihandel ausbauen möchten, ist Donald Trump ein Albtraum. Er vermag dagegen diejenigen zu mobilisieren, die der Politik sonst nur misstrauisch zuschauen oder Ressentiments gegen Minderheiten wie Latinos und Musliminnen hegen. Niemand weiss wirklich, was von ihm als US-Präsident zu erwarten ist. Das Parteiestablishment hat Angst und versucht immer verzweifelter, ihn zu verhindern.

Am nächsten Dienstag wird in Florida und Ohio nach dem Prinzip «The winner takes it all» gewählt: Wer gewinnt, erhält alle Delegiertenstimmen des Staats. Wenn Trump weiter siegt, könnte er am Nominierungsparteitag in Cleveland Mitte Juli im ersten Wahlgang mit absolutem Mehr zum offiziellen Kandidaten gekürt werden. Können seine Konkurrenten ihn etwas bremsen, wird es in Cleveland zu Kampfwahlen kommen, bei denen die Delegierten frei entscheiden. Bereits jetzt bereitet man sich im republikanischen Establishment auf dieses Szenario vor und steuert die Delegiertenauswahl aus dem Hintergrund.

Um Trumps absolute Mehrheit zu verhindern, haben verschiedene konservative Wahlspendeorganisationen in den letzten Tagen zudem für mehrere Millionen US-Dollar TV-Spots geschaltet. So soll etwa sein Rückhalt bei den Veteranen untergraben werden: In einem der Spots läuft der Vietnamveteran und ehemalige Kriegsgefangene Tom Hanton auf die Kamera zu und klagt, er habe gehört, dass Donald Trump die Kriegsgefangenen als «Verlierer» beschimpft habe. «Das war das Übelste, was ich je von einem Politiker gehört habe.» Und weiter: «Trump hätte eine Kriegsgefangenschaft nicht überlebt. Er wäre wohl der Erste gewesen, der zusammengeklappt wäre. Trump ist ein Schwindler.»

Sanders’ Handicap

Eigentlich könnten sich angesichts der Demontage des aussichtsreichsten republikanischen Kandidaten die DemokratInnen auf der Gegenseite freuen. Ihr Rennen verläuft in geordneten Bahnen. Clinton hat mit dem erklärten Sozialdemokraten Bernie Sanders einen ernsthaften Konkurrenten erhalten. Allerdings ist Sanders mit einem grossen Handicap gestartet. Clinton wusste 461 sogenannte Superdelegierte aus dem Parteiestablishment von Anfang an auf ihrer Seite. Sanders verfügt dagegen gerade mal über 20 sichere Stimmen aus diesen Kreisen. Auch wenn Sanders in wichtigen Bundesstaaten Clinton schlagen kann – wie der völlig überraschende Erfolg in Michigan vom vergangenen Dienstag zeigt –, sind seine Chancen deshalb gering.

Für das demokratische Parteiestablishment müsste die Schwäche Clintons ein Alarmsignal sein: Während Sanders mit seinen Forderungen nach Gratisbildung, Krankenversicherung für alle und seiner beissenden Kritik an der Macht der Konzerne neue WählerInnengruppen zu begeistern vermag, gelingt es Clinton nur mit Mühe, die traditionelle Basis der DemokratInnen an die Urne zu bringen. So ist die Wahlbeteiligung unter der afroamerikanischen Bevölkerung stark eingebrochen. Zwar wählten AfroamerikanerInnen in den Südstaaten mehrheitlich Clinton, aber sie nahmen weniger zahlreich teil als bei der Wahl von Barack Obama.

Misstrauen gegenüber Clinton

Auf das Problem von Clinton weisen auch die Umfragen hin: Tritt sie gegen Trump an, wird es knapp, ist der ultrakonservative Ted Cruz der Kandidat, liegt sie derzeit sogar hinter ihm. Ganz anders im Fall von Bernie Sanders: Er würde Trump wie Cruz haushoch schlagen. Wer für Bernie Sanders ist, wählt nicht automatisch Hillary Clinton. Ihr Manko ist, dass sie für das politische, aber auch das wirtschaftliche Establishment steht, dem grosse Teile der US-Bevölkerung immer misstrauischer begegnen. Clinton kassiert von Unternehmen aus der Finanzbranche Millionenspenden und lässt sich von Grossbanken einladen, bei denen sie sechsstellige Honorare für Reden einstreicht.

«Total korrupt» ist denn auch oft zu hören, kommt das Gespräch auf Clinton – nicht nur im Coliseum von Little Rock.