Das System Uber: Das Märchen von der Selbstständigkeit

Nr. 11 –

Der US-Konzern Uber pflügt weltweit mit seinem Geschäftsmodell das Taxigewerbe um. Die FahrerInnen profitieren kaum von diesem Milliardengeschäft: Sie arbeiten für Tieflöhne unter ständiger Kontrolle.

Foto: Murdo Maclean; Montage: WOZ

Strassenblockaden in Bogotá, Mexiko-Stadt und Kairo, Demonstrationen in Jakarta und London, ein Autokorso in Zürich. Auch in den letzten Tagen haben TaxifahrerInnen rund um den Globus gegen Uber protestiert. Das kalifornische Unternehmen ist bereits in über 60 Länder und über 350 Städte vorgestossen. Mit seiner App, die FahrerInnen und PassagierInnen unter Umgehung von Taxizentralen zusammenführt, bringt es das örtliche Taxigewerbe nahe an den Ruin.

Man kann diesen Prozess mit dem Aufkommen der Web- und Spinnfabriken vor bald 200 Jahren vergleichen, die die HeimarbeiterInnen konkurrenzierten, viele von ihnen in die Fabriken zwangen oder ihnen die Arbeit ganz wegnahmen. Eine neue Technologie – das Smartphone und die passende App – stellt einen relativ stark regulierten Markt auf den Kopf: Gewerbelizenzen, arbeitsrechtliche Bestimmungen, regionale Abgrenzungen und teils aufwendige Ausbildungsgänge hatten bislang meist dafür gesorgt, dass die Zahl der Taxis in einer Stadt auf eine bestimmte Höchstzahl beschränkt blieb und die Tarife einheitlich waren. Nun stösst ein neuer Anbieter auf den Markt, der sich um solche Regulierungen foutiert.

Mobilisierung der Arbeitslosen

Uber sieht seine FahrerInnen nicht als Angestellte, sondern als «Partner», die «ohne Schreibtisch und Chef» «flexibel und selbstbestimmt» Geld verdienen können, wie es auf der Firmenwebsite heisst. Das Unternehmen will angeblich «Städte voranbringen, Beschäftigungsmöglichkeit für Millionen» schaffen und zu «sicheren Strassen» beitragen. Dabei sieht sich der Konzern selber nur als «Vermittler» zwischen den FahrerInnen und den PassagierInnen, der für ein Entgelt das Angebot und die Nachfrage mittels App zusammenbringt.

Tatsächlich hat Uber mit seiner App den Markt für Taxitransporte erweitert: In vielen Städten sind Uber-Fahrten billiger als Taxifahrten, in einigen ist es mit Uber auch sicherer, weil die KundInnen Namen und Adresse der FahrerInnen kennen. Zudem kommen Uber-FahrerInnen auch an Orte, wo es sonst keine Taxis gibt. Die Nachrichtenagentur Bloomberg schätzt den Wert des kaum sechs Jahre alten Unternehmens auf bereits 62,5 Milliarden US-Dollar. 2015 sollen Uber-FahrerInnen gemäss einer anderen Schätzung weltweit 10 Milliarden Dollar eingenommen haben – wovon 2 Milliarden an Kommissionen in die kalifornische Firma flossen.

Inzwischen dürften weltweit bereits mehrere 100 000 Menschen für Uber fahren – darunter auch viele, die es sonst schwer haben, einen Job zu bekommen. Laut einer Studie der Ökonomen Augustin Landier und David Thesmar ist das Durchschnittsalter der rund 15 000 Uber-Fahrer in Paris (nur gerade zwei Prozent sind weiblich) wesentlich tiefer als dasjenige der etablierten TaxifahrerInnen. Viele sind schlecht qualifiziert, waren zuvor arbeitslos und stammen aus den Banlieues der Stadt.

Wer für Uber fährt, steht von allen Seiten unter Druck: Von ihren KollegInnen in den regulären Taxis werden die Uber-FahrerInnen oft beschimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen, und von den Passagieren werden sie nach jeder Fahrt elektronisch bewertet, Behörden drohen damit, teure Lizenzen und Ausbildungsgänge einzuführen. Wirklich selbstständig sein ist anders. Am meisten Druck kommt jedoch von Uber selber: So senkt der Konzern seine Tarife nach Gutdünken, wann immer es den ManagerInnen passt – und damit auch das Einkommen der FahrerInnen.

Ausserdem kontrolliert Uber seine FahrerInnen während ihrer ganzen Arbeitsschicht, wie eine Studie des Forschungsinstituts Data & Society festhält: So weiss die Firma jederzeit den momentanen Standort und die jeweilige Fahrtlänge zum nächsten Kunden. Lehnt eine Fahrerin eine Fahrt ab, wird das ebenso erfasst wie die Fahrwege, die für einen Auftrag ausgeführt werden.

«Uber strukturiert die Fahrer und hat indirekt Kontrolle über sie», schreiben die Autoren der Studie. Mithilfe dieser Daten kann das Unternehmen die Preise bei grossem Passagierandrang und knappen FahrerInnenzahlen erhöhen – und die FahrerInnen mit SMS und Mails zu «Sonderschichten» auffordern. Zudem dient die Datenerfassung der Disziplinierung: Alle FahrerInnen werden wöchentlich benotet und mit den anderen verglichen. Wichtiges Kriterium dabei ist die Benotung durch die KundInnen. Wer ungenügend abschneidet, kann sich auf der Uber-App einfach nicht mehr einloggen – und verliert somit per sofort seinen Job.

Organisierung, Sammelklage, Proteste

Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen haben Uber-FahrerInnen vergangenes Jahr in Kalifornien eine Sammelklage gegen das Unternehmen eingereicht. Am 20. Juni beginnt der Prozess. Die KlägerInnen fordern, formell angestellt zu werden: Die Firma müsse für sie Lohnsteuern und Arbeitslosenversicherungsbeiträge entrichten. Ausserdem seien Überzeiten mit Zuschlägen zu bezahlen sowie Autoamortisations- und Benzinkosten zu übernehmen.

Auch auf interaktiven Plattformen organisieren sich die Uber-FahrerInnen und tauschen Tipps und Tricks aus. Gewerkschaften haben angefangen, sie zu organisieren. In den USA haben FahrerInnen eine eigene Gewerkschaft gegründet – die United Drivers – mit einer eigenen App, die die FahrerInnen zusammenbringen soll. Als Uber am 29. Januar in mehr als achtzig Städten der USA und Kanadas die Preise senkte, reagierten die FahrerInnen in verschiedenen Städten mit Protestaktionen. So versammelten sich am 1. Februar rund 400 Uber-FahrerInnen vor dem New Yorker Firmensitz. Organisiert hatte die Demonstration die New York Taxi Workers Alliance. Die FahrerInnen der gelben Autos kündigten an, künftig mit den Uber-Beschäftigten zusammenzuarbeiten – und sich nicht weiter gegeneinander ausspielen zu lassen.