Prozess gegen ukrainische Pilotin: Den Mittelfinger für Putins Scheinjustiz

Nr. 11 –

In Russland geht das umstrittene Gerichtsverfahren gegen Nadija Sawtschenko zu Ende. Der Schuldspruch ist gewiss – doch was folgt dann?

Kommende Woche entscheidet ein Provinzgericht im Südwesten Russlands über das Schicksal einer ukrainischen Kultfigur: der unter dubiosen Umständen in Russland inhaftierten Kämpferin Nadija Sawtschenko. Ihr drohen 23 Jahre Haft. Sawtschenko, die in ihrer Glaskabine im Gerichtssaal demonstrativ T-Shirts mit dem ukrainischen Dreizackwappen oder traditionell bestickte Blusen trägt, gab sich auch in ihrer letzten Äusserung vor Gericht kämpferisch. Sie nannte Russland ein totalitäres Regime, dessen Gericht sie nicht anerkenne, und kündigte an, ihren Hungerstreik, bei dem sie auch die Aufnahme von Flüssigkeit verweigert, fortzusetzen.

Seit Juni 2014 wird die 34-Jährige in Russland festgehalten, zuvor kämpfte sie beim berüchtigten ukrainischen Freiwilligenbataillon Ajdar gegen die prorussischen Separatisten im Donbass. Dort soll sie laut der russischen Staatsanwaltschaft an der Ermordung von zwei Journalisten des Moskauer Staatsfernsehens beteiligt gewesen sein. Ein Vorwurf, den die glühende Patriotin Sawtschenko seit zwei Jahren von sich weist. Sie habe das Granatfeuer nicht auf die TV-Reporter gelenkt, sagt sie.

Ihre Landsleute glauben ihr. «Ich will lieber für die Ukraine sterben als in Russland leben» – dieser Satz Sawtschenkos brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Für viele UkrainerInnen ist die Offizierin längst zum Symbol für den Widerstand gegen Moskaus unerklärten Krieg geworden. Präsident Petro Poroschenko nennt die inhaftierte Kämpferin eine «Heldin», ihr Porträt hängt am Rednerpult in der Rada, dem ukrainischen Parlament.

«Tötungsmaschine mit Rock»

Im Herbst 2014 waren die Strassen der Ukraine mit Plakaten übersät – Sawtschenko, die Politikerin. Bei der Radawahl zog sie nach parteiinternen Querelen in absentia mit dem Wahlkampfmotto «Nicht aufgeben! Die Ukraine wird siegen!» ins Parlament ein – als Spitzenkandidatin für Julia Timoschenkos Vaterlandspartei. Damals sagte Sawtschenko, sie wolle selbst aus ihrer Gefängniszelle «alles Menschenmögliche tun, damit die Ukraine ein freies und starkes Land» werde. Timoschenkos KritikerInnen sahen in der Kandidatur eine PR-Aktion – während Russland ihre Immunität als ukrainische Delegierte im Europarat schlichtweg ignorierte.

Gilt Sawtschenko in ihrer Heimat als eine ukrainische Jeanne d’Arc, sehen viele RussInnen in ihr eine «Tötungsmaschine mit Rock»: eine pathologische Mörderin, deren Schuld niemand infrage stellen kann. Die russischen TV-Propagandisten hatten leichtes Spiel, die Ukrainerin zur Killerin zu stilisieren. Die junge Frau ist seit mehr als fünfzehn Jahren Berufssoldatin der ukrainischen Armee – eine krasse Abweichung vom postsowjetischen Frauenbild der umsorgenden Ehefrau und Mutter. Gegen den Widerstand ihrer Familie bemühte sich Sawtschenko gleich nach der Schule um eine militärische Karriere, was ihr nach Anfangsschwierigkeiten auch gelang. Die frischgebackene Maturandin wollte zwar Pilotin werden, durfte sich aber zunächst nur zur Fallschirmjägerin ausbilden lassen. Das harte Training durchlief sie Seite an Seite mit männlichen Rekruten.

Später war Sawtschenko Teil der sogenannten Multinationalen Truppe im Irak – als eine der wenigen Ukrainerinnen in Kampffunktion. «Es gab schreckliche Momente, aber dass ich das nackte Grauen erlebte, kann ich nicht behaupten. Es war einfach nur Arbeit», erinnerte sich die Ukrainerin in einem Interview an ihre Zeit im Irak. Damals war «Kugel» ihr Spitzname, bei den Kameraden galt die charakterstarke Soldatin als schwierig. Als sie nach ihrer Rückkehr aus dem Nahen Osten um die Zulassung an der prestigeträchtigen Luftwaffenuniversität in Charkiw rang, wurden Kiewer Fernsehsender auf sie aufmerksam, und auch die PR-Abteilung der ukrainischen Streitkräfte. Schliesslich durfte sich Sawtschenko zur Kampfpilotin ausbilden lassen: Spätestens nach ihrem Abschluss kannte sie – auch dank ihrer zahlreichen Fernsehauftritte – das ganze Land.

Kein fairer Prozess

Zur Ikone für ukrainische Patrioten und russische Kritikerinnen von Wladimir Putin wurde Sawtschenko erst nach ihrer mutmasslichen Entführung aus dem ostukrainischen Separatistengebiet nach Russland. Die russische Staatsanwaltschaft strengte gegen sie ein abenteuerliches Verfahren an: Neben der Beihilfe zum Mord an zwei Journalisten wirft man ihr vor, die russische Grenze illegal überschritten zu haben. Das Gericht stört sich nicht daran, dass Sawtschenko etwa eine Stunde vor dem tödlichen Artilleriebeschuss aufgegriffen wurde, wie aus von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Daten aus ihrem Mobiltelefon hervorgeht. Das belegt auch eine Auswertung der Videos von Sawtschenkos Gefangennahme, die das Gericht nicht gelten liess.

An einen fairen Prozess glaubt ohnehin niemand, ein Schuldspruch ist unausweichlich – doch was folgt dann? Ein Gefangenenaustausch? Eine Begnadigung? Ein Hungertod hinter Gittern? Sawtschenko ist es egal: «Russland wird mich so oder so in die Ukraine zurückbringen müssen, tot oder lebendig», hiess es in ihrem letzten Statement. Vergangenen Mittwoch fasste sie ihre Abscheu vor dem russischen Gericht in einer Geste zusammen: Sie zeigte den Richtern den Mittelfinger.