Sozialpolitik: Die zwei Gesichter des Grundeinkommens
Schon bald stimmt die Schweiz über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ab. Ist das eine linke Utopie? Oder eher eine rechte? Eine Auslegeordnung.
Gratisgeld für alle! Das fordern eine Handvoll Leute mit einer Initiative, über die Anfang Juni abgestimmt wird. Konkret: Der Bund soll allen, die fix in der Schweiz leben, monatlich ein Grundeinkommen bezahlen. Einfach so, bedingungslos. Die Idee mag verrückt klingen, doch sie ist eine Antwort auf eine zentrale Frage des 21. Jahrhunderts: Wird es in Zukunft für alle eine Arbeit geben, von der sie leben können?
Etliches spricht dagegen. In vielen Industrieländern hat die Arbeitslosigkeit seit der Ölkrise 1973 stark zugenommen. Hinzu kommt: Während das Einkommen einiger weniger explodiert ist, gibt es immer mehr Leute, die mit ihrem Lohn kaum über die Runden kommen. Der US-Anthropologe David Graeber spricht von «bullshit jobs».
Ein Grund dafür ist die herrschende Politik. Um Konzerne in ihr Land zu locken, haben die meisten Regierungen (egal ob sozialdemokratisch, liberal oder konservativ) die Macht der Gewerkschaften gebrochen und die Arbeitsrechte gestutzt. Ein zweiter Grund ist der technische Fortschritt: Arbeit wird immer mehr durch Maschinen ersetzt. Was bleibt, sind Jobs für Hochqualifizierte, die nicht ersetzbar sind. Und viele schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungsbereich: als Verkäufer, Putzfrau oder Telefonist zum Beispiel. Oder gar Arbeit, für die man meist gar nichts erhält, wie etwa in der Pflege von Familienangehörigen.
Die InitiantInnen des Grundeinkommens wollen aus dieser Not eine Tugend machen. Die Grundidee: Ein Teil der zunehmend maschinell produzierten Wirtschaftsleistung soll unter der Bevölkerung gleichmässig verteilt werden.
Erlösung oder knappes Überleben?
Ist das eine linke Idee? Oder eher eine rechte? Je nachdem. Es gibt die Idee eines Grundeinkommens, das einen Grossteil der Wirtschaftsleistung unter den Menschen gleichmässig verteilt. Dahinter steckt die Kritik, dass heute Macht statt Gerechtigkeit über die Verteilung entscheidet, dass der Zwang zur Lohnarbeit einem die Freiheit nimmt, «morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren» (Karl Marx). Und damit die These, dass nur die (teilweise) Erlösung von der Lohnarbeit den Menschen wahre Freiheit bringe. Hier liegt der Grund, warum die Initiative vor allem unter Linken Anklang findet.
Es gibt jedoch daneben auch die Idee eines Grundeinkommens, das den Menschen lediglich das nackte Überleben sichert. Darüber hinaus soll der Kapitalismus umso ungebremster wüten. Denn das Grundeinkommen liefert ein gutes Argument, um sowohl die Abschaffung der Arbeitsrechte als auch des Sozialstaats zu fordern. Arbeitslosenkasse, Sozialhilfe, AHV? Brauchts nicht mehr. Warum auch? Schliesslich ist die Existenz aller gesichert. Der rechte US-Ökonom Milton Friedman forderte bereits 1962 eine Art Grundeinkommen. Eine Forderung, die etwa der rechtslibertäre Ex-Wegelin-Banker Konrad Hummler jüngst wieder aufnahm.
Welches Grundeinkommen wollen also die InitiantInnen? Sie sind sich nicht einig. Die einen tendieren nach links, andere nach rechts. Allerdings existiert unter ihnen so etwas wie ein kleinster gemeinsamer Nenner. Dieser wird am ehesten durch Mitinitiant Daniel Straub verkörpert. Der 48-Jährige, unter anderem studierter Ökonom und Koautor des Pamphlets «Die Befreiung der Schweiz», mit dem die Initiative 2012 lanciert wurde, formuliert das Ziel des Grundeinkommens so: «Wir besitzen eine hoch produktive Wirtschaft. Wir sollten dies nutzen, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.» Doch was heisst das konkret?
Der Teufel im Detail
Die InitiantInnen sind sich in zwei Punkten einig. Erstens: Das Grundeinkommen soll 2500 Franken betragen, für Kinder weniger. Zweitens: Darüber hinaus soll der heutige Wohlfahrtsstaat erhalten bleiben: Wer heute zum Beispiel vom Staat 3000 Franken erhält, soll künftig 2500 Franken Grundeinkommen plus 500 Franken Sozialleistungen erhalten. Leute, die heute als nicht bedürftig gelten und deshalb keine Sozialleistungen beziehen, sollen künftig 2500 Franken bekommen. Sie würden mit dem Grundeinkommen bessergestellt.
Genauso entscheidend ist jedoch die Frage, wer schlechtergestellt würde. Irgendwer muss das Grundeinkommen ja bezahlen. Folgt man der Grundidee der InitiantInnen, müsste es mit dem Geld finanziert werden, das die BesitzerInnen der Maschinen als Kapitaleinkommen erhalten. Schliesslich besteht das Ziel ja darin, dass die zunehmend von Maschinen produzierte Wirtschaftsleistung allen zugutekommt. Zudem sind die Kapitaleinkommen, die an die Vermögenden fliessen, eine zentrale Ursache für die stark zunehmende Ungleichheit, wie der Pariser Ökonom Thomas Piketty aufgezeigt hat. Entsprechend fordert Oswald Sigg, Mitinitiant und ehemaliger Bundesratssprecher, die Einführung einer Steuer auf Geldtransaktionen zur Bezahlung des Grundeinkommens.
Die Mehrheit der InitiantInnen will das Kapital jedoch nicht anrühren. Auch nicht die Einkommen, die die EigentümerInnen dafür erhalten. Sie will den Grossteil der benötigten 130 Milliarden Franken (vgl. «Woher kommt das Geld?» im Anschluss an diesen Text) mit einer Mehrwertsteuer auf Güter und Dienstleistungen finanzieren. Die Preise sollten allerdings nicht steigen. Denn gleichzeitig könnten Firmen sowie der Staat die Löhne ihrer Angestellten um die Höhe des Grundeinkommens senken.
Am Ende würden also die Angestellten ihr Grundeinkommen selber finanzieren (sie erhielten 2500 Franken vom Bund, dafür 2500 weniger Lohn). Ärmere könnten gemäss InitiantInnen leicht profitieren, da ihr Lohn etwas weniger als um 2500 Franken sinken würde. Gleichzeitig aber würden sie mit einer Mehrwertsteuer (von der sie übermässig betroffen sind) helfen, StudentInnen aus reichem Haus durchzufüttern, die 2500 Franken mehr im Sack hätten.
Der Plan der InitiantInnen sieht also keine Umverteilung nach unten vor (sondern möglicherweise eine leichte nach oben) und lediglich 2500 Franken für jene, die keinen Job haben. Was ist das für eine Utopie? Straub argumentiert vorwiegend als Linker: Er glaubt, dass das Grundeinkommen den Angestellten Macht verleihen würde. «Wer 2500 Franken Grundeinkommen erhält, traut sich eher, gegenüber einer Firma Nein zu sagen. Er könnte auf dem Arbeitsmarkt viel stärker auftreten.»
Das, sagt Straub, würde den Menschen wiederum Freiheit verleihen. Die Freiheit, tun zu können, was sie tun möchten. Das könnte die Gründung eines Start-ups sein, etwa eines Lieferservice für Biogemüse; oder die Pflege des kranken Ehemanns.
Es stimmt, ein Grundeinkommen von 2500 Franken würde ein Stück Freiheit bringen. Jedoch vor allem für junge Menschen, die wenig brauchen und sich entfalten möchten. Doch sind 2500 Franken auch eine echte Antwort auf das eigentliche Problem, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit kaum leben können? Jährlich werden in der Schweiz vor allem von Frauen 190 Millionen Stunden unbezahlte Pflegearbeit allein für ältere Menschen geleistet. Sind 2500 Franken ein genügender Lohn dafür? Straub: «Ich glaube, es wäre ein wichtiger Schritt nach vorn, auch wenn das Problem dadurch nicht gelöst würde.»
Das Parlament entscheidet
Stimmt das? Oder bringt ein Grundeinkommen von 2500 nicht auch eine gesellschaftliche Entsolidarisierung? Einen Ablass, um nicht über weiter gehende sozialpolitische Forderungen reden zu müssen? Wo doch auch Straub sagt, dass die 2500 Franken die Menschen etwas weiter in die «Eigenverantwortung» entlassen würden?
Das eigentliche Problem an der Initiative liegt jedoch tiefer: Der Text, der Anfang Juni zur Abstimmung kommt, fordert lediglich die Einführung eines Grundeinkommens. Die 2500 Franken, die Finanzierung über eine Mehrwertsteuer sowie die Beibehaltung des Wohlfahrtsstaats sind lediglich unverbindliche Umsetzungsvorschläge der InitiantInnen. All das jedoch würden im Fall einer Annahme der Vorlage nicht die InitiantInnen bestimmen, sondern das Parlament. Angesichts der rechten Mehrheit ist davon auszugehen, dass die Umsetzung des Grundeinkommens nochmals deutlich rechts von Straubs Plänen liegen würde. Auch wenn, wie Straub zu Recht einwendet, die Stimmbevölkerung wohl in einem Referendum nochmals darüber abstimmen könnte.
Straub sagt, es gehe Anfang Juni erst um einen Grundsatzentscheid. Doch ein Entscheid zu was? Zur Einführung des Sozialismus oder zu einem ungebremsten Kapitalismus?
Woher kommt das Geld?
Jeder Mensch, der in der Schweiz wohnt, soll ein monatliches Grundeinkommen erhalten. Das fordert eine Initiative, die Anfang Juni zur Abstimmung kommt.
Über die Höhe des Betrags sagt der Abstimmungstext nichts, die InitiantInnen schlagen jedoch 2500 Franken für Erwachsene sowie gut 600 Franken für Minderjährige vor. Dies würde gemäss Bund 208 Milliarden Franken kosten.
Wie soll das finanziert werden? Die InitiantInnen rechnen damit, dass mit der Einführung des Grundeinkommens sämtliche Löhne um 2500 Franken sinken würden. Die entsprechenden Einsparungen bei den Firmen würden durch eine Mehrwertsteuer eingezogen (im Fall von Staatsangestellten würde die Ersparnis direkt abgezweigt). Dies würde gemäss Bund 128 Milliarden bringen. Weitere Einsparungen würden bei den Sozialleistungen erzielt, die ebenfalls um 2500 Franken sinken würden. Dadurch kämen gemäss Bund weitere 55 Milliarden Franken hinzu. Damit bliebe eine Finanzierungslücke von 25 Milliarden übrig.
Viele Fragen bleiben jedoch offen: Würden die Löhne wirklich um 2500 Franken sinken? Und: Würden die Leute gleich viel arbeiten wie heute?