Bedingungsloses Grundeinkommen: Lieber fragmentiert als verführerisch einfach
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist schön, die Umsetzung könnte katastrophal werden: Das Denknetz entwickelt das Konzept weiter.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) lässt fast niemanden kalt. Viele erhoffen sich davon die Befreiung von Existenzängsten, unwürdigen Arbeitsbedingungen, vom Zwang zur Lohnarbeit. Die Popularität des BGE sei ein «Hinweis darauf, wie dringend gesamtgesellschaftliche Entwürfe erforderlich sind, die dem entfesselten Kapitalismus eine glaubwürdige Alternative entgegensetzen», schreibt Beat Ringger vom linken Thinktank Denknetz. Da hat er wohl recht. Das Denknetz nimmt das Thema BGE denn auch sehr ernst – obwohl es der Initiative, die am 5. Juni zur Abstimmung kommt, kritisch gegenübersteht. Die Organisation hat in einem Buch Beiträge versammelt, die zeigen sollen, «wie die Debatte fruchtbar gemacht werden kann».
Ideal oder Realpolitik?
Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen sind schwierig, weil oft unklar ist: Wovon reden wir gerade? Von einer Idee, einem Ideal? Oder von der konkreten Umsetzung (die die politischen Kräfteverhältnisse nicht ausser Acht lassen sollte)? Bei der Abstimmung im Juni kommt noch etwas dazu: Das Initiativkomitee macht zwar Vorschläge zur Höhe und zur Finanzierung eines BGE, aber davon steht nichts im Initiativtext (siehe WOZ Nr. 12/2016 ).
Ringger analysiert die Position der InitiantInnen und kommt zu ernüchternden Schlüssen. Ein BGE würde dann etwas verändern, wenn es jenen Menschen mehr Spielraum gäbe, die heute kaum über die Runden kommen: Working Poor, Alleinerziehenden, Sozialhilfebezügerinnen. Doch Enno Schmidt und Daniel Häni, die die Initiative stark geprägt haben, wollen ausdrücklich keine Umverteilung: Das BGE sei «keine Sozialleistung, kein Einkommen aus der Leistung der ‹Stärkeren› für die ‹Schwächeren›». Eine Erhöhung der Einkommenssteuern für die BGE-Finanzierung lehnen sie ab – und setzen dafür auf eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer, die unsozialste Steuer überhaupt.
Die InitiantInnen gehen davon aus, dass die Löhne gerade so weit sinken, dass die meisten Leute mit dem BGE wieder etwa gleich viel Geld haben wie vorher. «Warum denn die ganze Übung, wenn sich kaum etwas ändert?», fragt Beat Ringger zu Recht. Wenn das BGE, wie oft propagiert, die Sozialversicherungen teilweise oder ganz ersetzen würde, droht nicht nur ein Nullsummenspiel, sondern Schlimmeres: Das solidarische Modell der AHV – Reiche zahlen nach Einkommen, aber erhalten nicht mehr als die Maximalrente – wäre bedroht.
Ringger weist auch auf die seltsamen Vorstellungen von Arbeit und Wirtschaft vieler BGE-BefürworterInnen hin: Da gibt es keine Arbeitskämpfe, keine Auseinandersetzungen mit offenem Ausgang. Dass «die Arbeit ausgeht», gilt als unvermeidliche Folge der technischen Entwicklung. Ringger betont dagegen: «Welche Tätigkeiten als Erwerbsarbeit organisiert werden und welche nicht, ist das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Kämpfe.» So gebe es in den skandinavischen Ländern viel mehr bezahlte Arbeit in der Kinderbetreuung und der Pflege als in der Schweiz.
Hier hakt auch der «Debattierclub» der Women in Development Europe (Wide) Schweiz ein: In der Schweiz sollte «ein viel grösserer Teil der unbezahlten Care-Arbeit für Kinder, kranke und gebrechliche Menschen regulär bezahlt werden». Implizit gehe die BGE-Idee davon aus, «dass die unbezahlte Care-Arbeit ein kleiner Teil der gesamten Arbeit sei und sich nach der Einführung eines BGE ‹von selbst› organisiere. Dabei handelt es sich hier um ein Arbeitsvolumen, das grösser als das Gesamtvolumen der geleisteten Erwerbsarbeit ist!» Im Zentrum müsse daher die Frage stehen, «wer in Zukunft die gesellschaftlich notwendige Arbeit zu welchen Bedingungen macht», schreiben die Wide-Feministinnen.
Nicht automatisch sozialer
Doch wie lässt sich nun der Impuls des BGE auf befreiende Weise weiterdenken? Eine interessante Idee kommt von Silvia Domeniconi und Iris Bischel. Ein Grundeinkommen könnte die heutige Sozialhilfe ablösen, die mit Kontrolle und Zwang verbunden ist. «Die Entkopplung persönlicher Hilfe von der materiellen Existenzsicherung würde neue Möglichkeiten schaffen.» Für die Unterstützung im Alltag würden Sozial- und Carezentren eingerichtet, die viele Funktionen zugleich erfüllen würden: Anlaufstelle bei Gesundheitsproblemen, Kinderkrippe, Kulturwerkstatt, Treffpunkt, Internetcafé und Vermittlungsstelle für Freiwilligenarbeit. Denn, so betonen mehrere AutorInnen: Die Gesellschaft wird mit einem BGE nicht automatisch sozialer und solidarischer – schon gar nicht in einem Land wie der Schweiz, das sehr stark von «Eigenverantwortung» geprägt ist.
Das Denknetz hat ein eigenes Konzept entwickelt: das Mosaik-BGE. Dazu gehört ein bedingungsloses Sabbatical: Insgesamt drei Jahre des Erwerbslebens sind frei. Ausserdem die Allgemeine Erwerbsversicherung (AEV), die die verschiedenen Sozialversicherungen zusammenführt und sicherstellt, dass alle würdig leben können (siehe WOZ Nr. 23/2009 ), ein Elternurlaub nach skandinavischem Vorbild, ein guter Service public und gute Stipendien. Das Mosaik-BGE ist «fragmentiert», wie das Denknetz selbstkritisch einräumt: Im Gegensatz zum Grundeinkommen ist es keine verführerisch einfache Idee, die alle Probleme auf einmal zu lösen scheint. Doch es würde den Spielraum der Lohnabhängigen enorm vergrössern – ohne die sozialstaatlichen Errungenschaften zu riskieren.
Ruth Gurny (Hrsg.), Beat Ringger (Hrsg.) und Ueli Tecklenburg (Hrsg.): Würde, bedingungslos. Wie die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen fruchtbar gemacht werden kann. Edition 8. Zürich 2015. 132 Seiten. 16 Franken