Freihandelsabkommen EU–USA: Die Geheimhaltung ist gescheitert
Neu enthüllte Dokumente über die TTIP-Verhandlungen belegen: Die Gefahr, dass europäische Standards etwa im VerbraucherInnenschutz von den USA unterlaufen werden, ist real.
Vier Buchstaben versetzen die europäische Öffentlichkeit seit Sonntagabend in Aufregung: TTIP. Die Abkürzung steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership – das Freihandelsabkommen, das die EU und die USA seit drei Jahren aushandeln. Bisher war bloss die Verhandlungsposition der EU bekannt. Diejenige der USA sowie der aktuelle Stand der laufenden Verhandlungen blieben geheim.
Das hat sich geändert, seit die Umweltorganisation Greenpeace sechzehn bisher unter Verschluss gehaltene Verhandlungsdokumente veröffentlicht hat. Die Dokumente zeigen auf, dass viele Befürchtungen der europäischen TTIP-KritikerInnen, die die EU bisher als Hysterie abgekanzelt hat, zutreffen.
Wachsende Widerstandsbewegung
Worum geht es beim TTIP? Wie bei jedem Freihandelsabkommen steht der Abbau von Handelshemmnissen im Zentrum. Als solche gelten tarifäre Beschränkungen wie Zölle oder Steuern und nichttarifäre Beschränkungen wie Importquoten, Subventionen und Gesetze. Autos, Zahnbürsten oder Fertigpizzas sollen künftig beiderseits des Atlantiks nach den gleichen Produktnormen hergestellt werden. Dabei sind auch Bereiche wie Arbeitsrechte, Gesundheit oder Umwelt- und Klimaschutz betroffen. Die Dimension des Abkommens wäre gewaltig: Es entstünde der weltweit grösste Wirtschaftsraum.
Die TTIP-Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der US-Handelsdelegation finden seit ihrem Beginn unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne demokratisch legitimierte Kontrolle statt – so wie das bei solchen Verhandlungen in der Vergangenheit stets üblich war. Doch die Zeiten haben sich geändert: Ein wesentlicher Teil der Öffentlichkeit, ganz besonders in Deutschland, dem mächtigsten EU-Staat, ist nicht mehr bereit, dies hinzunehmen. Aus gutem Grund, schliesslich müssen die Menschen mit den Konsequenzen des möglichen Abkommens leben.
So haben sich in den letzten Jahren immer mehr besorgte BürgerInnen, NGOs, Gewerkschaften und links-grüne Parteien mit dem TTIP auseinandergesetzt. Es ist eine stetig wachsende Widerstandsbewegung entstanden, die gut organisiert und europaweit vernetzt ist. Die EU-Kommission hat diesen Widerstand lange ignoriert, die Mauer des Schweigens um die TTIP-Verhandlungen blieb bestehen. Immerhin hat die EU dem öffentlichen Druck ein Stück weit nachgegeben und ihre Verhandlungsposition publiziert.
Die Geheimhaltungsstrategie der EU-Kommission hat sich längst als Eigentor entpuppt. Die Widerstandsbewegung hat die öffentliche Debatte über das TTIP erfolgreich mit zwei prägnanten Themen besetzt.
Das erste Thema handelt von Chlorhühnern. In den USA wird Schlachtgeflügel in ein Chlorbad getaucht, um Salmonellen und andere Erreger auf der Haut zu vernichten, bevor es in den Verkauf kommt – eine Methode, die in Europa bisher verboten ist. Auch wenn unklar ist, ob das Chlorbad schädliche Auswirkungen hat, ist das Chlorhuhn zum Symbol dafür geworden, dass mit dem TTIP europäische Standards untergraben werden.
Das zweite Thema sind die privaten Schiedsgerichte. Das TTIP sieht – wie bei Freihandelsabkommen üblich – ein Investitionsschutzabkommen vor. Dieses erlaubt es Konzernen, juristisch gegen Staaten vorzugehen, wenn deren Politik ihre zukünftigen Gewinne schmälert. Die Prozesse finden vor Schiedsgerichten mit privaten RichterInnen statt. Der bekannteste bisherige Fall betrifft den schwedischen Energiekonzern Vattenfall, der Deutschland wegen dessen Plänen zum Atomausstieg auf 3,7 Milliarden Euro verklagt hat. Sollte das TTIP dereinst zustande kommen, ist eine massive Zunahme solcher Konzernklagen gegenüber EU-Staaten zu befürchten.
Die federführende EU-Kommission hat es nie geschafft, diese beiden «Schreckgespenster» zu vertreiben. Mit den neu veröffentlichten Dokumenten wird das nun erst recht nicht gelingen.
Unnachgiebige US-VerhandlerInnen
Die wichtigste Erkenntnis aus den geleakten Dokumenten lautet: Es herrscht grosse Uneinigkeit zwischen der EU und den USA. Entgegen den bisherigen Beteuerungen der EU-Kommission zeigt sich die US-Delegation in problematischen Kernbereichen unnachgiebig. Etwa beim VerbraucherInnenschutz, wo die USA das sogenannte Vorsorgeprinzip, das in der EU gilt, aushebeln wollen. In Europa dürfen Produkte erst dann verkauft werden, wenn nachgewiesen ist, dass sie unschädlich sind. In den USA hingegen darf ein Produkt so lange auf dem Markt bleiben, bis der wissenschaftliche Nachweis erbracht ist, dass ein Produkt schädlich ist.
Die Gefahr, dass mit dem TTIP europäische Standards gesenkt werden, ist real. Ähnlich sieht es auch in Bezug auf die privaten Schiedsgerichte aus: Die USA bestehen trotz der Bedenken der EU-Kommission darauf.
Jetzt, da die Befürchtungen schwarz auf weiss bestätigt sind, wird der Widerstand gegen das TTIP weiter an Fahrt gewinnen. Die EU sollte sich genau überlegen, ob sie weiterhin so vehement am Abkommen festhalten will. Sympathien holt sie damit in der breiten Öffentlichkeit jedenfalls keine. Das kann sie sich auch angesichts der anhaltenden Erfolge von rechtsnationalen bis rechtsradikalen Anti-EU-Bewegungen nicht leisten.