Kommentar zu Brasilien und anderen Staatsstreichen: Der kalte Putsch der weissen Männer
Staatsstreiche mit legalistischem Anstrich werden in Lateinamerika Tradition: erst in Honduras, dann in Paraguay und jetzt in Brasilien.
Man hat es längst vergessen: Kein Staatsoberhaupt Brasiliens ist in seiner Regierung so entschlossen gegen Korruption vorgegangen wie Dilma Rousseff während der fünf Jahre ihrer Präsidentschaft. Wenn auch nur der Hauch des Verdachts illegaler Bereicherung auf einem Mitglied ihres Kabinetts lag, wurde es gefeuert. Allein 2011, in ihrem ersten Jahr im Amt, entliess sie deren sechs. Nun schlägt die korrupte Männermafia zurück: Im Zusammenspiel mit mächtigen Medienkonzernen ist es ihr sogar gelungen, die Präsidentin als Bösewicht darzustellen. Dabei kann Rousseff – bislang – niemand vorwerfen, sie habe selbst die Hand aufgehalten. Ihr einziger Makel in dieser Hinsicht ist, dass in ihrer Zeit als Aufsichtsratsvorsitzende des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras aus dessen Kassen zwischen zwei und drei Milliarden US-Dollar Schmiergeld geflossen sind. Davon will sie nichts mitbekommen haben.
Aber darum geht es nicht beim Amtsenthebungsverfahren gegen sie. Noch viel weniger geht es – wie ihre GegnerInnen behaupten – um kleine Tricksereien, mit denen sie den staatlichen Haushalt geschönt hat. Das haben schon viele Präsidenten vor ihr getan, und keiner wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Dilma Rousseff hat sich gegen die Interessen der alten Elite gestellt, weil sie Staatseinnahmen in Sozialprogramme investiert und damit vierzig Millionen Menschen aus der Armut geholt hat. Weil sie Universitäten und staatliche Jobs mit Quoten für AfrobrasilianerInnen geöffnet hat. Kurzum: weil sie versucht hat, das Land mit den horrenden Einkommensunterschieden ein bisschen gerechter zu machen.
Das hat auch schon Rousseffs Vorgänger, Luiz Inácio Lula da Silva, getan. Aber damals brummte die Wirtschaft, und Lula war ein Volksheld. Niemand traute sich, gegen ihn aufzustehen. Jetzt ist Brasilien in der Krise – wie alle Länder, deren Boom auf dem Export von Rohstoffen aufgebaut war. Rousseff ist nicht charismatisch wie Lula, eher hölzern, ungeschickt und unbeliebt. Das macht es einfacher, sie zu stürzen. Dabei ist jeder Vorwand recht.
Eine Reihe von Staatsstreichen
Solche kalten Staatsstreiche gegen Regierungen, die sich sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlen, scheinen in Lateinamerika Tradition zu werden. Es begann 2009, beim Putsch der honduranischen Oligarchie. Damals fuhren noch Panzer auf die Strasse; der linkspopulistische Präsident Manuel Zelaya wurde mit Waffengewalt ausser Landes gebracht. So weit, so bekannt. Doch dann wollten sich die neuen Herren einen legalistischen Anstrich verpassen und liessen ein Rücktrittsschreiben des eben gestürzten Zelaya fälschen. Zwar flog der Betrug schnell auf, aber er wirkte: Die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton war eine der ersten Staatspersonen, die den neuen Herrscher anerkannten.
Der Sturz des linkschristlichen Präsidenten Fernando Lugo 2012 in Paraguay liest sich schon wie ein Drehbuch dessen, was nun in Brasilien inszeniert wird. Das von der Sojamafia dominierte Parlament lastete eine von GrossgrundbesitzerInnen provozierte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen LandbesetzerInnen und der Polizei mit siebzehn Toten dem Präsidenten an. Sie fabrizierte daraus ein Amtsenthebungsverfahren und setzte Lugo nach sechsstündiger Debatte ab. Er durfte sich nicht einmal verteidigen.
In Brasilien geht es langsamer und scheinbar gesetzmässig vonstatten. Allerdings ist ein Amtsenthebungsverfahren nur beim Verdacht auf schwerwiegende Vergehen des Staatsoberhaupts vorgesehen. Alltägliche Haushaltstricks sind da gewiss nicht mitgemeint. Immerhin hat Dilma Rousseff sechs Monate Zeit, sich zu verteidigen. So lange ist sie vom Amt suspendiert, aber nicht abgesetzt. Ihr Vizepräsident Michel Temer – erst vor ein paar Tagen wegen illegaler Wahlkampffinanzierung zugunsten seiner konservativen Partei der demokratischen Bewegung Brasiliens zu einer Geldstrafe verurteilt – sollte derweil eigentlich ihr Statthalter sein. Aber er denkt nicht daran, die Politik Rousseffs treuhänderisch fortzuführen. Schliesslich hat er den Putsch mitgetragen, um dieser Politik den Garaus zu machen.
Die Sprache der Diktatoren
Seine Sprache und sein neues Kabinett verraten ihn. 52 Prozent der Bevölkerung Brasiliens sind weiblich, 51 Prozent schwarz oder farbig. Temers 24 Minister aber sind durchweg weisse Männer. Gegen mindestens drei wird wegen Korruption ermittelt. Der vorübergehende Staatschef nennt dies eine «Regierung der nationalen Rettung». Das ist die Sprache, mit der früher Militärdiktatoren ihre Staatsstreiche rechtfertigten. Auch die ersten Amtshandlungen, die Temer angekündigt hat, erinnern an die vom chilenischen Putschisten Augusto Pinochet in den siebziger Jahren in Lateinamerika eingeführte neoliberale Politik: Massenentlassungen öffentlich Bediensteter, Kürzung der Renten, Privatisierung von Staatsbetrieben. Kurz: die Ausrichtung des Landes auf die Wünsche der Wirtschaftselite.
Es bleibt die Hoffnung, dass die brasilianische Gesellschaft in dreizehn Jahren unter PräsidentInnen der Arbeiterpartei selbstbewusster geworden ist und diesen fatalen Kurswechsel nicht lange dulden wird. Das Nachsehen haben zunächst einmal mehr die Schwachen.