Kampagnenjournalismus: Die Fertigmacher

Nr. 21 –

Politikerinnen, die der SVP die Deutungshoheit in der Asyl- und Ausländerpolitik streitig machen oder als «EU-Turbo» gelten, attackiert die «Weltwoche» obsessiv – wie jüngst erneut Simonetta Sommaruga. Das Vorgehen hat System.

Man kann sich das Gefeixe der Herren Redaktoren vorstellen: Kleines Sammelsurium diffamierender «Weltwoche»-Schlagzeilen. Foto: WOZ

Schreibt die «Weltwoche» über Politikerinnen, schwingt im Subtext oft Schlüpfriges mit. Diese Schiene fuhr «Weltwoche»-Chef Roger Köppel vor Monatsfrist im Parlament auch für seinen Angriff auf Bundesrätin Simonetta Sommaruga: «Mit frivoler Leichtfertigkeit» setze sie sich über Verfassungsbestimmungen hinweg und spreche im Kontext der Asylgesetzrevision lieber von einem «Plangenehmigungsverfahren» als von «Enteignungen», wenn sie den Leuten die Häuser und Wohnungen wegnehmen wolle, «um die von Ihnen ins Land geholten Männer aus Gambia, Somalia und Eritrea als Asylanten unterzubringen».

Irre Angriffskadenz

Seit der «Weltwoche»-Chef und Blocher-Intimus für die SVP im Parlament und in der Parteileitung sitzt, ist die Zeitung offensichtlich das geworden, wofür sie schon lange gehalten wird: ein SVP-Organ. Die Dauerattacken auf die Bundesrätin sind nur das jüngste Beispiel dafür, wie die SVP-Führung das Blatt nutzt: als mediales Disziplinierungs- und Bestrafungswerkzeug. Wer der SVP in der Ausländer- und Asylpolitik die Deutungshoheit streitig macht, wer sich als «EU-Turbo» outet, wer sich mit blochertreuen SVPlerInnen anlegt oder von der Parteilinie abweicht, muss auf öffentliche und systematisch betriebene Blossstellung gefasst sein.

Simonetta Sommaruga konnte nicht wirklich überrascht sein von Köppels Angriff. Sein Blatt führt seit Jahren eine Kampagne gegen die Bernerin. Die «Weltwoche» inszenierte ihr erstes Sommaruga-Cover kurz nach deren Wahl: Im Bildhintergrund anstürmende Menschenmassen aus Afrika, übergross vor einem Schlagbaum Sommarugas Konterfei. Die Schlagzeile: «Macht die Grenzen dicht». Im vergangenen Jahr beschäftigte sich das SVP-Blatt obsessiv mit der Politikerin und brachte sie gleich fünfmal auf dem Cover. Den Auftakt machten «Gefährliche Liebschaften» (Juncker-Kuss), es folgte «3000 Syrer: Wer stoppt Sommaruga?», dann «Mutter Simonetta – die heimlifeisse Heilige», schliesslich «Wie Bundesrätin Sommaruga die Schweiz zum Eldorado der illegalen Migration macht», und im Dezember prangte auf dem Cover ihr Bild, das rot durchkreuzt war. Darunter: «Jositsch for Bundesrat».

Die Bundesrätin war jeweils verfremdet dargestellt: mal als hinterhältige Heilige, mal als leichtfertige Freundin der «Afrikaner», mal als naive Türöffnerin für die Flüchtlinge dieser Welt. Hinterhältig, verantwortungslos, unfähig, naiv. Das waren die Botschaften dieser Bilder. Im April dieses Jahres schrumpfte Simonetta Sommaruga dann zum Schulmädchen, das, einen Blumenstrauss in der Hand, die Flüchtlinge am Schlagbaum willkommen heisst. Weshalb diese irre Angriffskadenz? Die rechte Sozialdemokratin wird der SVP gefährlich. In die aktuelle Asylgesetzrevision hat die Pragmatikerin Forderungen der SVP aufgenommen. Die Vorlage löst ein, was die Partei seit Jahren fordert. Und sie ist mehrheitsfähig. Nichts fürchtet die SVP in der Ausländer- und EU-Politik mehr als Lösungen auf den Politikfeldern, die sie zur stärksten Partei gemacht haben.

Die kalte Schulter gezeigt

Karin Keller-Sutter ist eine rechtsbürgerliche Frau, die sich nicht vereinnahmen lässt. Dabei fing alles harmonisch an. Als Bundesrat Christoph Blocher hundert Tage im Amt war, inszenierte er 2004 einen Medientag nicht zufällig in Buchs. An seiner Seite: die freisinnige St. Galler Regierungsrätin. Die Kleinstadt galt als Drogenumschlagplatz von sogenannten «Kügelidealern». Und die Linie der Regierungsrätin in der Asylpolitik deckte sich weitgehend mit jener der SVP. Die Justizdirektorin ging hart gegen Fussballfans vor, sie brachte ein repressives Polizeigesetz mit auf den Weg. Im Kanton war sie die Hassfigur der Linken und wurde spöttisch als «Blochers Meitli» bezeichnet.

Solange sie der SVP nicht im Weg stand, kam sie in der «Weltwoche» gut weg. Aber «Blochers Meitli» erwies sich als Mitte-rechts-Politikerin, die sich nicht in die Machtspiele von Herrliberg einbinden liess. Als sie 2011 zu den Ständeratswahlen antrat, lag die CVP am Boden. Die Ausgangslage für einen Sitzgewinn war gut. Auch für die wählerstärkste Partei im Kanton, die SVP. Blochers Ziel, Toni Brunner in den Ständerat und von dort aus in den Bundesrat zu hieven und so direkt Zugriff auf die Regierungspolitik zu haben, schien zum Greifen nahe. Aber Karin Keller-Sutter zeigte der SVP die kalte Schulter und zog allein in den Wahlkampf.

Die Bestrafung folgte auf dem Fuss. Das Blatt grub eine alte Geschichte aus dem Jahr 2008 aus. Die Justizdirektorin hatte damals von ihrem Antragsrecht gegenüber den Bundesbehörden Gebrauch gemacht und die vorläufige Aufnahme einer türkisch-iranischen Familie ermöglicht, deren Asylgesuch von allen Instanzen abgewiesen worden war. Diese erledigte Geschichte schrieb die «Weltwoche» zum Skandal hoch. Die Kampagne gegen den «Polit-Star» lancierte das Blatt während des Wahlkampfs mit zwei Titelstorys in Folge und arbeitete sich in mehr als einem Dutzend Geschichten an der Magistratin ab. «Verdacht auf Amtsmissbrauch», «Amtliche Unwahrheiten», «Keller-Sutters Integrationsmärchen», «Keller-Sutters Willkür-Reich». Vom angeblichen Skandal blieb nichts übrig. Die kantonale Rechtspflegekommission prüfte Keller-Sutters Vorgehen und befand es für korrekt. Der Plan, eine unbotmässige rechtsbürgerliche Politikerin aus dem Weg zu räumen, misslang gründlich. Nichts davon blieb haften.

Dauergast im Sündenregister

Anders liegt der Fall bei Kathy Riklin. Die CVP-Nationalrätin hat gleich zwei Todsünden begangen: Sie stand offen zur Abwahl Blochers, und sie gilt als «EU-Turbo». Zudem hat sich die ehemalige Zürcher Universitätsrätin den entlassenen Leiter des Medizinhistorischen Museums und «Weltwoche»-Kolumnisten Christoph Mörgeli zum unerbittlichen Feind gemacht. Seither ist sie Dauergast in der «Personenkontrolle», dem öffentlichen Sündenregister des Blatts. Die «Weltwoche»-Akte der Politikerin ist zwar recht dick, zum exklusiven Titelbild hat es aber nicht gelangt – dafür zu einem der hinlänglich bekannten «Fahndungsfotos». Die «Weltwoche» zählt sie zu den «gekauften Politikern» und zu den «Helden der Doppelmoral».

Die unangenehmste Story, mit der sie sich konfrontiert sah: Das Blatt hielt ihr vor, dass sie «günstig» in einer privilegiert gelegenen städtischen Wohnung lebt. Und machte schliesslich den sonstigen Immobilienbesitz der Familie mit unkorrekten Angaben öffentlich. «Der ‹Weltwoche›-Journalist hat in meinem Privatleben herumgeschnüffelt», sagt Kathy Riklin. Sie sieht das öffentliche Interesse nicht: Sie beziehe weder Subventionen noch sonstige staatliche Vergünstigungen. Nach solchen Publikationen wird sie jeweils mit Hassmails von SVP-AnhängerInnen bombardiert. Diese Fertigmachermethoden seien unangenehm. Doch inzwischen reagiert sie ironisch bis zynisch auf solche «Disziplinierungsversuche» und lacht darüber. Sie wohnt noch immer in der Wohnung an privilegierter Lage. Und die ZürcherInnen wählten sie nicht ab.

SVP-Nationalrat: «Schludrig!»

Medial diszipliniert werden inzwischen auch SVP-Politiker die von der von Herrliberg vorgegebenen Parteilinie abweichen oder nicht mehr ins Konzept passen. Selbstverständlich bleiben auch Männer im Fahndungsraster der «Weltwoche» hängen. Bloss ohne schlüpfrige Subtexte. Wenige Tage vor den Wahlen im vergangenen Herbst bezeichnete die «Weltwoche» SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel als «Fifa-Heuchler». Der ehemalige Mitarbeiter der Fifa Marketing AG, inzwischen ein harter Korruptionskritiker, soll bei seinem Abgang eine halbe Million Franken Abfindung verlangt haben. Und weil er sie nicht bekommen habe, habe er sich am SVP-Bundesratskandidaten Heinz Tännler gerächt, indem er auf dessen Vergangenheit als Direktor der Fifa-Rechtsabteilung und Geschäftsleitungsmitglied unter Sepp Blatter aufmerksam gemacht habe.

«Ein unglaublicher Unsinn», sagt Roland Rino Büchel. Die «Weltwoche» könne keinen ihrer Vorwürfe belegen. Autor Philipp Gut habe ihm zudem keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Auf Anfrage der WOZ entgegnet Gut: «Die von der ‹Weltwoche› recherchierten Fakten sind wasserdicht. Das weiss natürlich auch Herr Büchel.» Büchel hat die Konsequenzen aus dieser Erfahrung gezogen: «Vorher habe ich Artikel der Weltwoche ernster genommen. Nun habe ich an meinem Fall gesehen, wie schludrig der stellvertretende Chefredaktor arbeitet.»

Nachtrag vom 2. Juni 2016 : Dr. Chauvi

Nun hat er ihn also bekommen: Dr. Philipp Gut, Vizechefredaktor der «Weltwoche», wurde am Mittwoch in einer offiziellen Zeremonie der Chauvi-Preis für besonders sexistische, herablassende oder dumme Chauvinisten überreicht. Weit abgeschlagen hinter ihm: Bettina Weber («SonntagsZeitung») und die SRF-«Arena» mit ihrem Moderator Jonas Projer. Zum Oberchauvinisten gekürt haben Gut 543 Personen, die sich am Onlinevoting der Juso beteiligt haben.

Die Auszeichnung ist wenig erstaunlich, kennt Gut sich auf dem Chauvi-Gebiet doch bestens aus: Immer wieder wettert der Journalist gegen Geschlechterquoten und Lohnkontrollen, bezeichnet Genderstudies als unwissenschaftlichen Hokuspokus, klagt über den «weiblichen Linksdrall» und versucht, mit schlüpfrigem Subtext vorzugsweise Frauen fertigzumachen, die der Zeitung nicht genehm sind.

Den unrühmlichen Titel eingebracht hat ihm nun sein Artikel zum Internationalen Tag der Frau. Darin unterstellt der «Genderexperte» Frauen eine tiefere Intelligenz: «Männer denken systematischer. Ihr IQ liegt durchschnittlich leicht höher (gut zwei Punkte).» Ausserdem verweist er auf die «Natürlichkeit» der Geschlechterzuschreibungen: «Schon die körperlichen Merkmale sind augenfällig und prädestinieren Mann und Frau für bestimmte Tätigkeiten.»

Bald dürfte dem «Weltwoche»-Redaktor eine weitere zweifelhafte Ehre zuteilwerden. So steht er demnächst im Fall Philipp Sarasin vor Gericht, den er in mehreren Artikeln bezichtigt hatte, seine heutige Partnerin in den Professorinnenstuhl gehievt zu haben. Mit rund 41 Auszügen aus seinen Texten begründen die StrafverfolgerInnen die Forderung, Gut unter anderem wegen «mehrfacher übler Nachrede» zu verurteilen. Wird er schuldig gesprochen, droht ihm eine saftige Geldstrafe.

Im Fall einer Verurteilung bleibt ihm nun zumindest der goldene Pokal in Form eines Kackhaufens. So oder so verdient der in der «Weltwoche»-Redaktion einen Ehrenplatz. Schliesslich tummeln sich da noch weitere Preisanwärter.

Anouk Eschelmüller