Vor den Parteitagen in den USA: Die Wahl der Qual
Donald Trump oder Hillary Clinton? Das Zweiparteiensystem der USA zwingt die StimmbürgerInnen zu einer misslichen Entscheidung, die das politische System schwächen wird.
Wenn an den nationalen Parteitagen der RepublikanerInnen und der DemokratInnen im Juli wie erwartet Donald Trump und Hillary Clinton fürs US-Präsidium nominiert werden, wird es einen grossen Verlierer geben. Nein, nicht Bernie Sanders, der hat in diesen Vorwahlen seine linken Anliegen einbringen können. Geschwächt wird durch das Duo Trump/Clinton vielmehr das politische System selbst, die Demokratie. Denn zur Wahl stehen zwei politische Figuren, die, jede auf ihre Art, die schäbigsten Seiten der Politik verkörpern. Das Finale einer bis anhin grotesken Wahlsaison befördert die von rechter Seite seit Jahrzehnten systematisch vorangetriebene Zersetzung und Zerrüttung des Verhältnisses der BürgerInnen zu Regierung und Parlament.
No, we cannot
Ein Hoffnungsträger, eine Hoffnungsträgerin ist diesmal – anders als 2008 mit Barack Obama und seinem «Yes, we can» – nicht in Sicht. Um das höchste Amt der USA bewerben sich zwei äusserst unbeliebte politische Persönlichkeiten: Rund zwei Drittel aller US-WählerInnen geben in aktuellen Umfragen an, sie würden weder Donald Trump noch Hillary Clinton vertrauen, keineR von beiden sei ehrlich und charakterfest. Am meisten Popularität geniesst der Noch-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders. Doch am Ende des komplexen Vorwahlprozesses hat der eigenwillige Aussenseiter in der innerparteilichen Landschaft der DemokratInnen keinen Platz mehr.
Auf der andern Seite passt Donald Trump, der skrupellose Immobilienhai und langjährige narzisstische Gastgeber der TV-Realityshow «The Apprentice» (Der Lehrling) überhaupt nicht ins herkömmliche rechtskonservative Feld der Republikanischen Partei.
Doch er vermochte das Parteiestablishment mit dessen eigener Strategie zu überrollen: Seit Jahrzehnten haben sich die Reichen in den USA – allen voran die erzkonservativen Milliardärsgebrüder Koch – ihre politische Einflussnahme mit dicken Wahlspenden erkauft. Nun kommt einer daher und sagt sinngemäss: Ich brauche euer Geld gar nicht, ich habe selber welches. Und im Übrigen, fügt der Emporkömmling hinzu, habe er nur ein einziges politisches Interesse, nämlich sich selbst.
So ungern man Bernie Sanders und Donald Trump im selben Atemzug nennt, muss man zugeben: Diese beiden älteren Herren (Jahrgang 1941 bzw. 1946) haben im Gegensatz zu Hillary Clinton (1947) und den vielen ausgeschiedenen republikanischen KandidatInnen verstanden, dass sich die Zeiten geändert haben. Man kann in den USA nicht mehr wie zu Ronald Reagans Zeiten mit ideologischen Brocken wie Neoliberalismus, militärischem Unilateralismus und Kulturkampf auf Stimmenfang gehen. Die Leute beschäftigt, wie sie wirtschaftlich über die Runde kommen und wie ihre Grundversorgung – etwa Bildung und Krankenvorsorge – gesichert werden kann. Zudem können und müssen WählerInnen heute möglichst direkt über die neuen Medien angesprochen und mobilisiert werden.
Bürgernähe ist deshalb so wichtig, weil die Parteibindung ähnlich wie in Europa brüchiger geworden ist und neue parteienungebundene Ideen und Bewegungen entstehen. Die US-Demokratie, die die Proporzwahl nicht kennt, kann auf solche nicht zuletzt demografischen Entwicklungen kaum flexibel reagieren. Das starre politische System, das auf zwei grosse Parteien fixiert ist, sichert deren Vorherrschaft unter anderem mit einem komplizierten, unübersichtlichen Wahlprozedere.
In den USA ist das Machtzweigespann der RepublikanerInnen und DemokratInnen jedenfalls noch stark genug, um KandidatInnen von Drittparteien wie den Libertären oder den Grünen bei den Wahlen ins Abseits zu drängen. Deshalb wählten sowohl der Rechtsaussen Donald Trump wie der Sozialist Bernie Sanders den Marsch durch die Republikanische beziehungsweise die Demokratische Partei. Damit ist dann Schluss mit den Gemeinsamkeiten.
Donald Trump bedient mit seinen grössenwahnsinnigen Sprüchen, mit offenem Rassismus, Sexismus und vagem Groll eine überschaubare, doch lautstarke Schar von Unzufriedenen: Es sind vorab weisse Männer, die seit Abschaffung der Apartheid im Süden der USA in den sechziger Jahren bei jeder Gelegenheit und unter wechselndem Etikett – zuletzt als Tea Party – ihren Machtverlust beklagen. Trump seinerseits wird von den Medien bedient, weil seine ordinären Auftritte hohe Einschaltquoten und ergo grosse Werbeeinnahmen versprechen.
Doch der republikanische Präsidentschaftsanwärter wird «seine» Partei in die Sackgasse führen. Sollten ihn die US-BürgerInnen im November tatsächlich ins Weisse Haus wählen, würde sich sogleich eine starke Opposition formieren. Zudem wäre die Zukunft der Republikanischen Partei und des Rechtskonservativismus in den USA höchst ungewiss. Erleidet Grossmaul Trump eine Niederlage, fühlten sich Millionen von aufgehetzten Trump-Fans vom politischen System betrogen, hintergangen und ihrer Rechte beraubt. Auch das ist keine rosige Perspektive – weder für die etablierte Rechte noch für die restlichen BewohnerInnen des Landes.
Für eine glaubwürdige Zukunft
Im Gegensatz zum politisch unerfahrenen Trump kämpft der hartnäckige Linkspolitiker Bernie Sanders für eine «future we can believe in», für eine Zukunft, an die alle glauben können. Er nutzt seine Präsidentschaftskandidatur, um die Demokratische Partei – und möglichst die gesamte Politik der USA – in Richtung Sozialdemokratie zu reformieren. Seit vielen Jahrzehnten setzt sich Sanders in sozialen Bewegungen, in lokalen und nationalen Parlamenten und zwischendurch auch in einer bundesstaatlichen Exekutive gegen Ungerechtigkeit und für mehr sozialen Ausgleich ein.
Anfang Juni will er seine Grundsätze in Kalifornien sogar in einem TV-Duell gegen Donald Trump verteidigen. Das demokratische Parteiestablishment und Spitzenkandidatin Clinton ärgern sich, weil Bernie ihnen damit die Show stiehlt. Die Medien erhoffen sich traumhafte Einschaltquoten vom verbalen Boxmatch der beiden Populisten. Gut möglich, dass Trump unter anderem über Sanders’ Affinität zu Dänemark spotten und die Untauglichkeit des kleinstaatlichen Modells für die Grossmacht USA herausstreichen wird. Doch die Idee einer solidarischeren Gesellschaft findet bei den US-AmerikanerInnen, vor allem bei der jüngeren Generation, immer mehr Anklang. Sozialistische oder zumindest sozialdemokratische Ideen sind in den USA keine linke Spinnerei mehr, sondern – beinahe – mehrheitsfähig.
Das hat auch Hillary Clinton gemerkt und sich mittlerweile etwas nach dem von links wehenden Wind gedreht. Fragt sich bloss, ob die demokratische Kandidatin und ihre Partei im Wahlherbst 2016 den Mut haben werden, politisch Farbe zu bekennen und sich links der Mitte zu positionieren – und ob die WählerInnen ihre neuste Bekehrung noch glauben.
Es gibt auch Anzeichen dafür, dass die wetterwendische Hillary Clinton versuchen wird, sich bei denjenigen republikanischen WählerInnen anzubiedern, die ihre Stimme nicht Donald Trump geben wollen. Eine solche Verneigung nach rechts wäre allerdings nicht nur im direkten Zweikampf Clinton gegen Trump eine gewagte Strategie.
Eine noch republikanischere Clinton würde dazu führen, dass viele WählerInnen im November zu Hause bleiben. Eine tiefere Stimmbeteiligung hat in den USA aber noch immer einen Rechtsrutsch bedeutet. Das wäre verheerend, denn im November 2016 geht es nicht bloss um den Showdown Clinton/Trump, sondern auch um die Wahl von 34 SenatorInnen und allen 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus. In beiden Parlamentskammern des US-Kongresses hat die Republikanische Partei zurzeit eine Mehrheit, was unter dem demokratischen Präsidenten Barack Obama zu den bekannten Blockaden und gar zur Lahmlegung der Regierungsgeschäfte führte.
Zur Urne gehen sollten die US-Linken im November also unbedingt, selbst wenn sie keine Stimme für das höchste Amt abgeben wollen. Denn auf lokaler wie auf bundesstaatlicher Ebene stellen sich viele engagierte PolitikerInnen (auch aus Drittparteien) zur Wahl, die die Unterstützung der StimmbürgerInnen verdienen.