Kommentar von Jan Jirát: Hassrede als Strategie
Erst das motivierende Rauschen, dann die gelebte Gewalt: Was tun gegen Vergewaltigungsdrohungen und systematische Beschimpfungen im Netz?
Jemand schreibt auf Facebook, für alle einsehbar: «Dass die meisten hässlichen Frauen links sind, ist nicht grundlos. Schliesslich hoffen sie, dass wenigstens ein verzweifelter Migrant bei ihnen drüber geht. Bevorzugt Moslems, die verwenden eine Burka und einigermassen gut ist.»
Blenden wir zurück: Anfang Juni stellte die Erwachsenenbildnerin Moni Nielsen dem Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner auf Twitter kritische Fragen. Es ging um eine nachweislich falsche öffentliche Aussage Glarners über die angebliche Vertreibung von RentnerInnen durch Asylsuchende. Statt darauf einzugehen, zog er über das Äussere von Nielsen und einer weiteren Twitter-Nutzerin her. Das löste einen kleineren Shitstorm gegen den SVP-Politiker aus, worauf dieser letzte Woche seinen Twitter-Account löschte und sich als Opfer von «Gehässigkeiten von der linken Seite» inszenierte.
Damit nicht genug: Wenig später veröffentlicht Glarner die Profilbilder der beiden Frauen auf seiner Facebook-Seite – ohne jegliche Nutzungsrechte. Es ist ein bewusster Akt: Glarner macht die «beiden Damen» zur Zielscheibe seiner SympathisantInnen. Diese reagieren in den Kommentarspalten wie so oft auf seine Veröffentlichungen: mit Häme, teils auch offenen Hassbotschaften wie die eingangs zitierte, die lange ungelöscht bleiben.
Die Hassrede ist eine bewährte Kommunikationsstrategie von rechtsnationalen und -radikalen AkteurInnen im Netz. Davon betroffen sind besonders zwei Gruppen: Flüchtlinge und Frauen, die sich mit Geflüchteten solidarisieren oder sich feministisch äussern. Die Absender solcher fremden- und frauenfeindlicher Kommentare sind häufig weisse Männer.
Wohl niemand war in der Schweiz bisher derart heftig solchen Tiraden ausgesetzt wie Jolanda Spiess-Hegglin. Die Zuger Kantonsrätin (ehemals Grüne, heute Piratenpartei) hat der WOZ mehrere Dutzend Zuschriften übermittelt, die sie im Nachgang der, von den Medien so genannten, «Zuger Sexaffäre» im Dezember 2014 erhalten hat. In vielen anonymen Briefen, Facebook-Nachrichten oder Twitter-Meldungen wird sie als «Luder» oder «Hure» beschimpft, in manchen Zuschriften wird mit Gewalt und Vergewaltigungen gedroht. Im Frühjahr 2015 erlitt sie einen Nervenzusammenbruch, musste sich in ärztliche Behandlung begeben. «Sie haben mich gejagt wie eine Hexe», sagt sie. Auf offener Strasse aber sei sie noch nie beschimpft worden.
In anderen Ländern hat der Hass diese Grenze bereits überschritten. Letzte Woche ist die 41-jährige Labour-Politikerin und EU-Befürworterin Jo Cox von einem mutmasslich fremdenfeindlich motivierten Angreifer erschossen worden. Ihr Ehemann appellierte daraufhin, dass «alle zusammen den Hass bekämpfen sollten, der sie getötet hat» – und bezog sich explizit auch auf den gehässigen Kampf um den Brexit, über den am Erscheinungstag dieser WOZ abgestimmt wird. In Köln ist im letzten Herbst eine Kommunalpolitikerin von einem mutmasslich fremdenfeindlich motivierten Angreifer schwer verletzt worden. «Die Hassrede ist das motivierende Hintergrundrauschen zum gelebten Gewaltexzess», schreibt die deutsche Amadeu-Antonio-Stiftung in einer aktuellen Studie.
Die Schweiz blieb bisher von solchen Vorfällen verschont. Die Hassrede aber hat sich auch hierzulande etabliert. Doch anders als in Britannien, Deutschland oder Österreich findet noch keine Debatte darüber statt. Glarner spielt seine Rolle als notorischer Türöffner der Hassrede weitgehend ungestört. Seine Partei schweigt zum aktuellen Vorfall. Mehr noch: Die Swisscom lässt einen kritischen Bericht über Glarner von ihrer Website löschen, nachdem die SVP-Parteispitze Druck gemacht hat.
Eine breite Debatte über die Hassrede könnte aufzeigen, wie sich Betroffene dagegen wehren können. Spiess-Hegglin hat mittlerweile einen Weg dafür gefunden: «In krassen Fällen erstatte ich Anzeige wegen übler Nachrede oder Verleumdung. Ich habe mich auch schon bei der Arbeitsstelle von Verfassern solcher Hassbotschaften gemeldet.» Schliesslich setzt sie auf Gegenrede, lässt den Hass nicht auf sich sitzen und konfrontiert die Kommentarschreiber mit ihren eigenen Aussagen.
Moni Nielsen hat am Dienstag entschieden, Anzeige gegen Glarner wegen Rufschädigung zu erstatten.