Hate speech: «Ein Angriff auf die Körper junger Frauen»
Ein Internetmob ereiferte sich am Wochenende über ein Nacktfoto von verschiedenen Juso-Politikerinnen. Der Verein Netzcourage unterstützt diese nun bei rechtlichen Schritten gegen die Hassredner.
Tamara Funiciello lacht am Telefon. Von der digitalen Hasswelle, die übers Wochenende über die Juso-Präsidentin hereingebrochen ist, zeigt sie sich erstaunlich unbeeindruckt. Auslöser für die Flut von sexistischen und rassistischen Kommentaren, die teils gar in Vergewaltigungsdrohungen gipfelten, war ein Foto, das die Juso letzte Woche publiziert hatte: Darauf posierten die Bernerin und vier weitere Juso-Politikerinnen oben ohne und hielten ihre BHs über eine brennende Tonne, um für den Women’s March von vergangenem Samstag in Zürich zu werben (vgl. «Pinke Demos, rote Brunnen» ).
«Wir haben mit heftigen Reaktionen gerechnet», sagt Funiciello zur WOZ, «die Aggression gewisser Rückmeldungen ist aber schon krass.» Zum Glück habe sie mit der Juso und vielen feministischen AktivistInnen ein Netz im Rücken, das sie gut auffange. «Als ich in die Politik einstieg, sagte man mir: ‹Solche Rückmeldungen gehören dazu. Das musst du schlucken.› Ich finde nicht, dass ich das muss, gerade wenn die Reaktionen ein solch sexistisches und rassistisches Ausmass erreichen wie jetzt», sagt Funiciello. Deshalb sei sie sehr froh, dass es mittlerweile eine Organisation gebe, die sich den «Hatern und Wutbürgern» wirksam entgegenstelle.
Diese Organisation heisst Netzcourage. Irina Studhalter und Jolanda Spiess-Hegglin gründeten den Verein im letzten Herbst, nachdem beide Politikerinnen zuvor ebenfalls mit einer digitalen Hasswelle konfrontiert worden waren. Studhalter, Mitglied der Jungen Grünen in Luzern, hatte nach den Anschlägen in Brüssel vor einem Jahr folgenden Tweet veröffentlicht: «Ich habe Angst. Nicht vor dem Islam, nicht vor Terror – sondern vor der rechtspopulistischen Hetze, die folgen wird.» Der Tweet löste heftige Reaktionen aus, auch Studhalter erhielt Vergewaltigungsdrohungen. Spiess-Hegglin, ehemalige Zuger Kantonsrätin, bekommt seit Ende 2014, als der «Blick» die sogenannte «Zuger Sexaffäre» ins Rollen brachte, praktisch jede Woche Hassnachrichten per Facebook, Mail, SMS oder Brief.
Studhalter und Spiess-Hegglin fielen beide angesichts der Hasswelle zunächst in ein emotionales Loch. Im Fall der Zugerin war das Phänomen der Hassrede damals noch kaum bekannt. Entsprechend war der Umgang damit Neuland. «Ich war anfangs wie gelähmt. Die Rückmeldungen habe ich blockiert oder gelöscht. Das war ein Fehler. Ich musste erst lernen, mich gegen Hassrede zu wehren», sagt Spiess-Hegglin. Mittlerweile wisse sie, was sie bei wirklich heftigen Hassnachrichten machen könne: Anzeige erstatten wegen Ehrverletzung oder Drohung. Dafür müsse man die Kommentare dokumentieren und die Absender – in über neunzig Prozent der Fälle seien es ältere Männer – ausfindig machen. «Ich staune immer wieder, aber meistens veröffentlichen die Verfasser ihre Hassnachrichten mit Klarnamen», sagt Spiess-Hegglin.
Rund achtzig Anzeigen hat sie in den letzten zwei Jahren eingereicht. Gibt die Staatsanwaltschaft der Anzeige statt, erhält der Hasskommentator einen Strafbefehl oder die Einladung zu einer Vergleichsverhandlung. «Ich bevorzuge Letzteres», sagt Spiess-Hegglin, «weil dann die Möglichkeit besteht, den Absender mit seinen Kommentaren zu konfrontieren.» Nach dieser Erfahrung hörten die meisten Leute damit auf, Hassnachrichten zu schreiben.
Vor diesem Hintergrund haben sich Irina Studhalter und Jolanda Spiess-Hegglin im Verlauf des letzten Jahres ausgetauscht und schliesslich den Verein Netzcourage gegründet, um Opfer von Hassrede zu unterstützen. Die aktuelle Hasswelle gegen Juso-Präsidentin Tamara Funiciello und ihre Mitstreiterinnen ist die erste Bewährungsprobe für Netzcourage. «Der Fall zeigt ein Grundmuster von Hassrede auf», sagt Spiess-Hegglin, «die Aggression richtet sich direkt gegen die Körper dieser jungen Frauen.»
Drei Dutzend Anzeigen wird der Verein Netzcourage im aktuellen Fall einreichen. «Für mich ist das eine grosse Entlastung», sagt Juso-Präsidentin Funiciello. «Ich kann mich auf die politische Arbeit konzentrieren – und mich trotzdem wehren.»