Kündigungsschutz: Für einen Kampf auf Augenhöhe
Zwei vom Bund in Auftrag gegebene Studien kommen zum Schluss: Angestellten wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements zu kündigen, wie es in der Schweiz oft geschieht, ist nicht menschen- und völkerrechtskonform. Das soll sich nun ändern.
Ein Arbeiter aus dem Kanton Waadt setzte sich in seinem Betrieb für eine fünfte Ferienwoche für Angestellte ab fünfzig und einen 13. Monatslohn ein. Die Firma entledigte sich seiner bei erstbester Gelegenheit. Sie kündigte ihm offiziell «aus wirtschaftlichen Gründen». Der Mann klagte und bekam diesen Februar nach einem Gang durch alle Instanzen vom Bundesgericht recht. Das Gericht sprach ihm eine Entschädigung von drei Monatslöhnen zu. Ein lächerlicher Betrag für einen Gewerkschafter, der in den knapp vier Jahren seit seiner Entlassung keine Stelle mehr gefunden hat.
In der bundesrätlichen Schublade
Der Fall zeigt, wie miserabel Angestellte in der Schweiz vor missbräuchlichen Kündigungen geschützt sind. Denn auch wer recht behält, bekommt seinen Job nicht mehr zurück – sondern nur eine mickrige Abfindung. Nach geltendem Recht können Unternehmen, die missbräuchlich kündigen, vom Gericht zur Zahlung von maximal sechs Monatslöhnen verdonnert werden. Das schreckt Unternehmen nicht ab. Sie bezahlen die Abfindung aus der Portokasse. Eine Wiederanstellung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Whistleblower und Gewerkschafterinnen sind besonders exponiert.
2010 schickte der Bundesrat eine sanfte Revision des Kündigungsrechts in die Vernehmlassung. Er setzte die maximale Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung auf zwölf Monatslöhne fest und präzisierte den Kündigungsschutz von GewerkschafterInnen. Kündigungen aus «wirtschaftlichen Gründen» sollten fortan unzulässig sein. Arbeitgeberverbände und bürgerliche Parteien äusserten sich scharf gegen diese Revision. Der Bundesrat schubladisierte sie. Seither ist nichts geschehen, obwohl die Schweiz das von ihr ratifizierte Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) seit Jahren nicht umsetzt und deshalb von dieser mehrfach gerügt wurde. Das Abkommen verbietet unter anderem antigewerkschaftliche Kündigungen als Druckmittel im sozialpartnerschaftlichen Dialog. In den letzten Jahren foutierten sich Unternehmen darum (vgl. WOZ Nr. 8/2013 ). Ein krasses Beispiel waren die fristlosen Kündigungen gegenüber 22 Gewerkschaftsleuten, die sich im Neuenburger Spital La Providence gegen die Kündigung des GAVs und die Erhöhung der Arbeitszeiten wehrten.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) klagte bereits 2003 gegen die Nichteinhaltung des ILO-Übereinkommens, sistierte die Klage, als der Bundesrat aktiv wurde – und aktivierte sie wieder, nachdem dieser die halbherzige Revision schubladisiert hatte. 2013 beauftragte der Bundesrat das Seco und das Bundesamt für Justiz, zwei Studien über die Grundlagen des Kündigungsschutzes für GewerkschafterInnen zu erarbeiten.
Diese Woche werden die Studien publiziert. Die beiden Autoren, die Professoren Pascal Mahon und Philippe Dunand von der Universität Neuenburg, kommen zum Schluss, dass beim Schweizer Kündigungsrecht Handlungsbedarf besteht. Damit bestätigen sie die Positionen der Gewerkschaften, die seit Jahren einen besseren, gesetzlich garantierten Kündigungsschutz fordern. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung der ILO-Normen; die Autoren beziehen auch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in ihre Überlegungen ein. Die Rechtsprechung des EGMR ist für die Schweiz direkt bindend und für klagende Betroffene eine Möglichkeit, letztinstanzliche Urteile anzufechten.
Wenn ein neuer CEO kommt …
Die Autoren stellten unter anderem fest, dass GewerkschafterInnen (Personalkommission, Vertrauensleute oder StiftungsrätInnen) mit dem aktuellen Gesetz nicht auf Augenhöhe mit UnternehmensvertreterInnen verhandeln können. Vielmehr hätten sie jederzeit mit der Kündigung zu rechnen. Vor allem für mittlere und grössere Unternehmen sei dabei die Sanktion von sechs Monatslöhnen nicht abschreckend. Dies verletze indirekt auch das Menschenrecht auf gewerkschaftliche Betätigung, das in Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird.
Die Autoren schlagen weitere Verschärfungen des Kündigungsrechts vor. So könnte gerade im Fall antigewerkschaftlicher Kündigungen bei legalen Streiks die Publikation von Gerichtsurteilen gesetzlich festgeschrieben werden, ähnlich wie es heute bereits bei Persönlichkeitsverletzungen möglich ist. Ausserdem schlagen sie eine Informationskampagne zum Streikrecht und zur Vereinigungsfreiheit vor.
Zwar sind missbräuchliche Kündigungen in den rund 300 000 Unternehmen der Schweiz statistisch gesehen «eher» die Ausnahme, wie Stefan Giger, Sekretär des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), sagt. «Es gibt viele Betriebe, in denen aktive Gewerkschaftsleute keine Entlassung zu befürchten haben. Aber das kann sich rasch ändern, wenn ein neuer CEO an die Spitze kommt und sich die Betriebskultur radikal ändert.»
Auch deshalb sei ein besserer Kündigungsschutz zwingend. Denn ein schlechter Schutz hält wohl manche von einem Engagement ab. Das sagt auch Corinne Schärer, Geschäftsleitungsmitglied der Unia: «Der gegenwärtige Kündigungsschutz ist völlig ungenügend. Wer sich für die Rechte der Arbeitnehmenden einsetzt, zahlt eventuell einen sehr hohen Preis, selbst wenn er oder sie vor Gericht recht bekommt.» Die Verfahren dauern Jahre, nach einer Entlassung als aktiver Gewerkschafter wieder eine Stelle zu finden, ist oft nicht leicht – die Entschädigung von wenigen Monatslöhnen muss dann wie Hohn wirken.
Nun sollen nach Jahren endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Der SGB hat daher der für das Dossier Kündigungsschutz und ILO zuständigen eidgenössischen tripartiten Kommission vorgeschlagen, in diesem Herbst und im Frühling 2017 unter der Leitung des Seco zwei Workshops durchzuführen, um eine Lösung für die Reform des Obligationenrechts auszuarbeiten. Das Ziel: ein völkerrechtskonformes und grundrechtlich akzeptables Kündigungsrecht bis 2017.