Kommentar von Franziska Meister: Agrolobby in Hochform
Die EU-Kommission verlängert die Zulassung des Pestizids Glyphosat, der Bundesrat schielt auf ein Ende des Gentechmoratoriums. Beide dienen der Agroindustrie statt den BürgerInnen.
Die EU-Kommission will das umstrittene Pestizid Glyphosat für weitere achtzehn Monate zulassen. Und der Schweizer Bundesrat verlängert zwar das Gentechmoratorium bis 2021, will aber gleichzeitig die rechtliche Basis für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) schaffen. Beide Entscheide sind demokratisch fragwürdig und spiegeln Exekutiven, die ihr Ohr lieber der Agroindustrie leihen als unabhängigen Stimmen aus der Wissenschaft.
Es beginnt damit, dass unbequeme politische Entscheide immer weiter hinausgezögert werden mit dem Argument, man brauche noch weitere Studien. Die Zulassung von Glyphosat wäre eigentlich bereits Ende 2015 abgelaufen. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März 2015 das Pestizid als möglicherweise krebserregend eingestuft hatte, ist sie um ein halbes Jahr verlängert worden. In mehreren Verhandlungsrunden konnten sich die 28 EU-Mitgliedstaaten aber nicht zu einer erneuten Zulassung für fünfzehn Jahre durchringen. Jetzt holt die EU-Kommission einfach eine weitere Studie von der Europäischen Chemikalienagentur ein. Glyphosat bleibt derweil auf dem Markt.
In der Schweiz bleibt die Landwirtschaft vier weitere Jahre gentechfrei – offiziell aufgrund von offenen Fragen zur Koexistenz von konventionellen und gentechnisch veränderten Pflanzen. Auch hier hat der Bundesrat gleich selbst mit einem Bericht zur Kosten-Nutzen-Frage von GVO nachgeholfen: «Qualitativ verbesserte» GV-Pflanzen wie «glutenfreier Weizen» oder «acrylamidfreie Kartoffeln», so der Glaube, würden GVO auch in der Schweiz zum Durchbruch verhelfen.
Weshalb erachten die Exekutiven hierzulande wie in der EU Erkenntnisse aus der unabhängigen Forschung so beharrlich für ungenügend? Im Fall der Schweiz hat das Nationale Forschungsprogramm zu Nutzen und Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen ebenso wie eine praktische Fallstudie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) nämlich längst deutlich gemacht, dass sich die Koexistenz für die Schweiz nicht rechnet – vor allem weil eine getrennte Logistik für herkömmliche und GV-Pflanzen extrem aufwendig und teuer wäre.
Im Fall der EU ist festzuhalten: Nähme die EU-Kommission die Resultate der WHO ernst, hätte sie längst das Vorsorgeprinzip in Kraft setzen und Glyphosat vorläufig verbieten müssen. Einzelne Länder wie die Niederlande haben dies bereits aus eigener Initiative getan.
Überhaupt entfernen sich EU-Kommission wie Bundesrat mit ihrem Vorgehen immer weiter von den BürgerInnen, denen sie eigentlich Rechenschaft schulden und in deren Interessen sie handeln sollten: Europaweit sind gemäss einer aktuellen repräsentativen Umfrage nur gerade neun Prozent der Bevölkerung für eine weitere Zulassung von Glyphosat. In der Schweiz lehnten in einer Vernehmlassung 2013 zwei Drittel der antwortenden Organisationen sämtliche Vorschläge zur Koexistenz in der Schweizer Landwirtschaft ab. Der Bauernverband hat vergangene Woche erneut bekräftigt, er sehe weder einen wirtschaftlichen noch einen agronomischen Nutzen von GV-Pflanzen in der Schweiz. Und ein Absatzmarkt existiere dafür ebenso wenig.
Weshalb also hat der Bundesrat auf Vorrat eine Änderung des Gentechgesetzes ausgearbeitet, um eine Rechtsgrundlage für GVO-Anbaugebiete zu schaffen? In seinem Kosten-Nutzen-Bericht kommt er doch zum Schluss, dass GVO sozioökonomisch betrachtet nur Nachteile bringen. Schlüssiger als sein Argument, der gentechnologische Fortschritt könnte zum Gesinnungswandel in der Bevölkerung führen, dürfte der Gedanke sein, dass der Einfluss der Agroindustrie dahintersteckt. Das gilt auch für die EU, wo die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, die Glyphosat für unbedenklich erklärt hat, eng mit der Industrie verbandelt ist.
Derweil behauptet die EU-Kommission keck, die EU-Mitgliedstaaten hätten es versäumt, ihrer Verantwortung nachzukommen und sich auf ein Vorgehen zu einigen. Dabei lässt die Tatsache, dass keine Mehrheit für eine erneute Zulassung zustande kam, nur den einen Schluss zu: Glyphosat ist nicht länger zuzulassen.
Höchste Zeit, die politischen Exekutiven daran zu erinnern, wem sie Verantwortung schulden.