Verfassungsreferendum in Thailand: «Bei uns sitzt ganz sicher kein Spitzel»

Nr. 31 –

Am Sonntag stimmt Thailand über eine neue Verfassung ab. Um einem Scheitern an der Urne vorzubeugen, wurde jeglicher Abstimmungskampf gegen die Vorlage verboten. Auf ein Feierabendbier mit RegimekritikerInnen.

«Das Referendum ist wie die Verfassung selbst eine riesige Farce», sagt der 47-jährige Automechaniker Prawit. «Dazu gedacht, dass General Prayuth so lange an der Macht bleiben kann, wie er will!» Seine Frau Chompu und er sitzen zusammen mit zwei FreundInnen auf roten Plastikhockern in einer Freiluftkneipe nahe Bangkoks Hauptverkehrsader Sukhumvit beim Feierabendbier.

Seit dem Putsch im Mai 2014 ist in Thailand eine Militärjunta an der Macht. Am Sonntag wird nun über eine neue Verfassung abgestimmt, die den Weg zurück zu ziviler Herrschaft einleiten soll. Um ein Scheitern an der Urne zu verhindern, haben die Generäle jeglichen Abstimmungskampf gegen die Vorlage unter Androhung von Militärgerichtsverfahren und bis zu zehn Jahren Haft verboten. «Die wissen genau, dass wir die Vorlage sonst mit Leichtigkeit zu Fall gebracht hätten», sagt der 56-jährige Somchai, der als Lieferwagenchauffeur bei einer Warenhauskette arbeitet.

Gegen rund hundert KritikerInnen wurden bereits Strafverfahren eröffnet. Ist es da nicht gefährlich, in aller Öffentlichkeit über die Verfassung und den Chef von Thailands Militärjunta herzuziehen? Chompu, die als Haushaltshilfe bei einer Mittelstandsfamilie arbeitet, lacht laut auf, zeigt auf die Menschen an den anderen Tischen. «Hier denken doch alle ähnlich, und ganz sicher ist niemand ein Spitzel.»

Bizarre Verehrung

Die Freiluftkneipe am Strassenrand ist ein typischer Treffpunkt von ArbeiterInnen. Die meisten Gäste stammen aus Bauernfamilien in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Thailands. Sie gelten als «Migranten», auch wenn sie zum Teil schon seit Jahrzehnten nur noch zu nationalen Feiertagen in ihre Heimatdörfer zurückkehren. Den Rest der Zeit halten die über zehn Millionen Menschen als Haushaltshilfen, Motorradtaxifahrer oder ArbeiterInnen in Fabriken oder auf Baustellen die stark auf Bangkok konzentrierte Volkswirtschaft des Schwellenlandes am Laufen.

Und wie viele «Migranten» gehören quasi alle in der Kneipe zu den Rothemden – den eingefleischten AnhängerInnen von Thaksin Shinawatra, dem schwerreichen Unternehmer und einstweiligen Regierungschef, den das Militär 2006 aus dem Amt geputscht und ins Exil getrieben hatte, und dessen jüngerer Schwester Yingluck Shinawatra, die 2014 ebenfalls vom Militär entmachtet wurde.

Ihre Verehrung für die Geschwister mutet manchmal geradezu bizarr an. Doch der Grund dafür liegt auf der Hand: Thaksin war der erste Politiker, der die sozialen Unterschiede in Thailand thematisierte – und der seine Versprechen nach dem Wahlsieg auch einlöste. Für die AnhängerInnen zählt, dass die Shinawatras der Unterschicht zu neuem Selbstbewusstsein verholfen haben. «Ich konnte meine kleine Werkstatt nur mieten und ausrüsten, weil unter Thaksin die Banken endlich auch uns Migranten Kredite gewährten», sagt Prawit.

Dass Thaksin (und seine Schwester) dies nicht aus Selbstlosigkeit taten, sondern um an die Macht zu kommen und ihr Firmenimperium zu fördern, interessiert die Anwesenden wenig. Auch nicht, dass die beiden tüchtig in die eigenen Taschen wirtschafteten und dass ihre sozialpolitischen Massnahmen nicht immer gut durchdacht und nachhaltig waren – so hatte etwa ein Mindestankaufspreis für Reis in der Ägide Yingluck ein tiefes Loch in der Staatskasse hinterlassen.

Die Urnen mit Ja-Zetteln vollstopfen

Umso rationaler erscheint hingegen, warum die Gruppe die Verfassungsvorlage als undemokratisch empfindet. Dass die 250 Senatsangehörigen künftig nicht mehr vom Volk gewählt, sondern von dubiosen Gremien der aristokratisch-royalistischen Elite ernannt werden sollen, ist für Somchai ein «Schritt zurück um mehr als ein Vierteljahrhundert». Er findet es skandalös, dass künftig der Senat und nicht mehr das Gesamtparlament den Ministerpräsidenten ernennen darf. Weil dieser nicht der Schar gewählter VolksvertreterInnen entstammen muss, könne einfach einer der bisherigen Generäle Regierungschef werden, glaubt Somchai. Zudem soll ein aus Militärs bestehender Beirat die künftige Zivilregierung beaufsichtigen und jederzeit suspendieren dürfen. «So wird jeder Putsch überflüssig», meint der Chauffeur.

Kürzlich hat sich sogar die Demokratische Partei, traditionell die Partei der hauptstädtischen Elite, wichtigste Gegnerin der ThaksinistInnen und natürliche Verbündete der Generäle, gegen die Verfassungsvorlage ausgesprochen – wenn auch in einer überaus vorsichtig formulierten Erklärung. Somchai lässt sich deshalb zur Prognose hinreissen, die Generäle würden an der Urne eine «Kanterniederlage» einstecken. «Die werden es schon schaffen, die Urnen irgendwie mit Ja-Zetteln vollzustopfen», entgegnet Chompu.

Prawits Fazit fällt ernüchternd aus: «Vielleicht kommt die Vorlage durch, vielleicht wird sie abgelehnt – für General Prayuth wäre selbst ein Scheitern an der Urne ein Erfolg.» Die Junta hat stets offengelassen, was passiert, wenn die Vorlage scheitert. Denkbar wäre, eine der früheren Versionen der Verfassung aus der Schublade zu holen und per Dekret in Kraft zu setzen. Oder einen weiteren Entwurf auszuarbeiten. Sicher sei nur: «General Prayuth bleibt weiterhin im Amt.»