Von oben herab: Pro Patina

Nr. 31 –

Stefan Gärtner über die Poesie an Nationalfeiertagen

Man kann einen Nationalfeiertag ja schon deshalb mögen, weil er einen Tag Ausbeutungspause bedeutet, und wer am Montag trotzdem kritisch die Braue hob, mag sich damit trösten, dass dieser 1. August weitaus weniger töricht ist als praktisch alles, was «mein ärgerliches Vaterland» (Erich Kuby) in dieser Hinsicht zuwege gebracht hat.

Im zweiten Kaiserreich feierten sie Kaisers Geburtstag und die Schlacht von Sedan, laut Sebastian Haffner, der den «Sedantag» noch erlebt hat, den populärsten aller deutschen Nationalfeiertage: «Als ob die deutsche Nationalmannschaft die Fussballweltmeisterschaft gewonnen hätte, und zwar jedes Jahr aufs neue»; nach der Weimarer Republik mit ihrem viel weniger populären Verfassungstag gabs dann mit Führers Geburtstag wieder einen jubelnd akzeptierten, ab 1954 den 17. Juni als «Tag der deutschen Einheit», im Gedenken an den Aufstand in der DDR, denn lieber als den 23. Mai, den Tag des legendären Grundgesetzes, feierte man den eigenen Antikommunismus, während der ungeliebte Nachbar triftigerweise seinen Gründungstag, den 7. Oktober, beging; und keinerlei Besinnung freilich auch nach der sog. Wende, als mit dem 3. Oktober das Datum einer feindlichen Übernahme per Verwaltungsakt zum nationalen Freudentag wurde. Ein Datum, in dem allein ein blöd-stur-triumphales «Weiter so» steckt, und es dürfte schwerfallen, einen noch deprimierenderen Staatsfreudentag zu finden.

Daran ändern nicht einmal die Reden zur Schweizer Bundesfeier etwas, die naturgemäss ebenfalls das plan Wirkliche als hegelsch Vernünftiges hochleben lassen, weil sich «das schweizerische System – föderalistisch, industriell, strukturiert – jeden Tag erneut bewährt», sonst gäbs ja nichts zu feiern, odrr. «Die Möglichkeit zu haben – fast möchte ich von Privileg sprechen –, in einem Land zu leben, in welchem man ganz einfach einem Bundesrat zuhören kann, während er über das Vaterland spricht, ist der Beweis für das Vertrauen in die Institutionen. Die Nähe, die heute zwischen Ihnen und mir herrscht, bezeugt dies», und wenn das Privileg, ganz aus der Nähe dem Bundesrat Guy Parmelin zuzuhören, kein Grund zum Jubeln ist, dann weiss ich es auch nicht.

Sogar noch schöner war der Ansatz Ueli Maurers, der Gotthelfs «Schwarze Spinne» bemühte, um vor «magischem Denken» zu warnen, denn magisches Denken ist nur dann erlaubt, wenn es den Glauben an die Wunderkräfte des Marktes bezeichnet. Angesichts «sozialer Wohlfahrt» und «massiv steigender Kosten für das Asylwesen» hingegen muss die Schweiz «sehr gut aufpassen, dass der Haushalt nicht aus dem Gleichgewicht kommt. Und das schaffen wir nur, wenn wir nicht länger daran glauben, der Staat könne in jeder Lage so etwas wie magische Hilfe bringen, die uns nichts kostet. Jede Aufgabe, die wir dem Staat übertragen, jede Fehlentwicklung, die wir nicht unterbinden, bezahlen am Ende des Tages die Bürgerinnen und Bürger», und wer am Ende des Tages «am Ende des Tages» sagt, dem glaube bitte niemand.

Da mag die Schweiz sich bedanken, dass es die spezifisch deutsche Fehlentwicklung Joachim Gauck gibt. Denn dieser schwarze Spinner («Deutschland ist ein solidarisches Land») lässt noch die ärgsten Schweizer Dummheiten (Parmelin: «Zum Aufblühen benötigt ein Land Sicherheit im wahrsten Sinne des Wortes») wie Poesie aus einem ewigen Seldwyla wirken. Und seis Nonsenspoesie.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.