Fussball und andere Randsportarten: Go, Pokémon, go!

Nr. 32 –

Etrit Hasler nervt sich über nölende Nichtspieler

Die Szene: Hauptbahnhof Zürich, Sonntagabend. Ein paar Hundert Menschen stehen herum und starren in ihre Handys. So weit – so ungewöhnlich. Auch die Achtergruppe – alle sind Mitte zwanzig, sitzen auf Campingstühlen herum, trinken Dosenbier und starren kollektiv in ihre Handys – fällt gar nicht weiter auf. Einer hat sein Gerät auf einem Selfiestick an der Armlehne seines Stuhls fixiert, als ob er zu faul wäre, es in der Hand zu halten. Wahrscheinlich Open-Air-Besucher auf dem Nachhauseweg, mag man sich denken. Wer ein bisschen genauer hinsieht, merkt schnell, dass es sich nicht um Durchreisende handelt. Zwischen den jungen Menschen liegt eine Stromschiene, an der die meisten ihrer Telefone hängen. Und ein Blick auf ihre Bildschirme offenbart: Hier ist das Zürcher Hauptquartier der Pokémon-Jäger.

«Pokémon Go» heisst der neuste Hit in der virtuellen Welt, ein Handyspiel, das auf der Spiele- und Zeichentrickserie der neunziger Jahre basiert und derzeit alle Rekorde bricht. Sechs Tage nach dem Erscheinen war es das weltweit meistgespielte Spiel mit 21 Millionen NutzerInnen – das war am Tag, bevor es auch in ersten europäischen Ländern verfügbar war. Inzwischen wurde es mehr als 100 Millionen Mal heruntergeladen.

Das Prinzip ist so banal wie bestechend: Kleine Monster («Pokémons» – Pocket Monsters) lauern in der Welt und lassen sich insbesondere an sogenannten Pokestops von den SpielerInnen einfangen – die Stopps sind an Sehenswürdigkeiten auf «Google Maps» gebunden. Die SpielerInnen trainieren diese Monster, entwickeln sie und lassen sie in Arenen zum (unblutigen) Kampf gegeneinander antreten.

Klingt kindisch? Ist es auch. Aber es ist nicht der Weltuntergang und auch nicht die pädagogische Katastrophe, wie manche behaupten. «Die digitale Spasskultur macht dumm», titelte ausgerechnet das eher dümmliche Politmagazin «Cicero» und liess eine Pop-Psychologin über den Zusammenhang von «Pokémon Go» und dem vermeintlichen Verlust von Schriftkultur mäandern. Die deutschen Wirtschaftsnachrichten berichteten panisch: «Selbst in internationalen Beraterfirmen legen die hoch dotierten Mitarbeiter zwischenzeitlich ihre Arbeit nieder, um schnell ein Turnier mit einem Kollegen auszutragen.» In den sozialen Medien enervieren sich die lustfeindlichen WutbürgerInnen über Spielende als «Pokémongos». Zeitungen rapportieren Unfälle, weil Spieler vor lauter Ins-Handy-Starren in befahrene Strassen latschten oder über Klippen fielen. In Japan bat AKW-Betreiber Tepco die Entwicklerfirma von «Pokémon Go», jegliche Pokémons aus der Quarantänezone um die Fukushima-Reaktoren zu entfernen. Und der Iran verbot kurzerhand das Spiel präventiv – bevor es im Land überhaupt erhältlich war.

Natürlich – ganz ungefährlich ist das Spiel wirklich nicht. Wer beim Herumspazieren in sein Handy starrt (oder, noch schlimmer, beim Autofahren), der gefährdet sich und andere. Aber die Diskussion ist nun nicht gerade neu – und auch nicht erst seit dem Aufkommen von Mobiltelefonen aktuell. Als die ersten Walkmans auf den Markt kamen, warnten Verkehrsexperten vor Unachtsamkeit im Strassenverkehr. Eine Debatte, die übrigens bis heute andauert: So wird im Schweizer Parlament alle paar Jahre wieder ein Kopfhörerverbot im öffentlichen Raum diskutiert, weil sich die Lastwagenlobby über «verantwortungslose Fussgänger» echauffiert.

Dabei hat «Pokémon Go» durchaus positive Aspekte. Es muss draussen gespielt werden – kein Spiel für lichtscheue Couchkartoffeln also. Und im Unterschied zu den häufig kritisierten «Killerspielen» ist die kindlich designte Pokémon-Welt beinahe gewaltfrei. Toll finden muss das deswegen natürlich niemand. Aber wenn ich mir hier kurz Nietzsche ausborgen darf: «Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu spielen verstünde.» Oder wie man beim Schach so schön sagt: Nichtspieler – Maul halten.

Etrit Hasler spielt gern und viel, auch «Pokémon Go». Und steht sofort dazu, dass das infantil ist. Aber nicht doof.