Burkaverbot: Die autoritäre Allianz

Nr. 33 –

Wer glaubt, in einem liberalen Staat dürfe etwa die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werden, liegt falsch. Dafür gibt es gute Gründe. Der Ruf nach einem Burkaverbot jedoch ist autoritär.

Mario Fehr hat vor einigen Tagen nach einem Burkaverbot gerufen und damit viel Staub aufgewirbelt. Man mag von der Forderung des Zürcher SP-Regierungsrats halten, was man will (vgl. «Gesicht zeigen» ). Sicher ist: Fehr hat eine Frage aufgeworfen, der sich eine Gesellschaft mit unterschiedlichen Religionen, Ideologien und Kulturen stellen muss: Was ist der Konsens, an den sich in der Schweiz alle zu halten haben? Und was geht die anderen einen Dreck an?

Ursprünglich kommt der Ruf nach einem Burkaverbot (genau genommen geht es um den Nikab, den Gesichtsschleier) aus der rechtsnationalen, teils christlich-fundamentalistischen Ecke. Im Präsidium des Egerkinger Komitees, das Unterschriften für ein nationales Verhüllungsverbot sammelt, sitzen drei SVPler, darunter Nationalrat Walter Wobmann, und zwei EDUler. Ihre Antwort auf die Frage: Dieser Konsens, das ist «unsere Kultur». Wobmann sagte unlängst auf die Frage, was ihm beim Anblick einer verhüllten Frau durch den Kopf gehe: «Das gehört nicht zu unserer Kultur.» Deshalb sei es zu verbieten.

Leute wie Wobmann stehen in einem Kampf der Kulturen. Abendland gegen Islam. Wir gegen sie.

Das Paradox der Freiheit

Die meisten Linken und viele Bürgerliche halten ihnen entgegen, dass alle so leben sollen, wie sie wollen. Im Namen der Freiheit – und teilweise im Interesse des Tourismus, der die reichen Saudis nicht verärgern will. Schön und gut, doch man sollte das Argument nicht zu weit treiben, so wie FDP-Nationalrat Kurt Fluri. Der entgegnete Fehr in der NZZ, dass man die eigenen Werte nie über andere stellen sollte. Mit diesem Argument landet man im liberalen britischen Staatsmodell, in dem jede Gemeinschaft weitgehend frei ist, sich selber zu organisieren – in Britannien können Imame inzwischen gar Ehestreitigkeiten schlichten. Wer sehen will, wohin das führt, sollte im Libanon mit jungen Leuten reden, die an ihren jeweiligen religiösen Gemeinschaften regelrecht ersticken.

Das ist das Paradox der Freiheit: Freiheit für die einen kann zur Unterdrückung anderer führen. In Wirtschaftsfragen bezweifelt das kaum jemand.

Jede Gesellschaft braucht also einen Konsens, an den sich alle halten. Und dieser darf Einzelne sehr wohl in ihrer (Religions-)Freiheit einschränken. Wer dies fordert, ist noch lange kein Rechtsnationalist. Der Waadtländer Staatsrat Pierre-Yves Maillard, der Fehr in der «SonntagsZeitung» zu Hilfe kam, hat zumindest im Grundsatz recht, wenn er sagt: «Gewisse Leute haben vergessen, dass es in einer Gesellschaft manchmal Verbote sind, die befreien.» Dass sich gerade ein Romand hinter Fehr stellt, ist nicht nur Zufall: Die Westschweiz ist stark vom französischen Republikanismus geprägt, der anders als der britische Liberalismus den gemeinsamen Konsens hochhält.

Die alles entscheidende Frage ist jedoch: Wie weit soll dieser Konsens reichen? Die gute alte liberale Antwort ist, dass die Freiheit des einen dort beschränkt werden soll, wo die Freiheit des anderen anfängt. Es gibt jedoch eine alte politische, republikanische Tradition, die viel weiter gehen will. Sie reicht von Jean-Jacques Rousseau, der von einer «Zivilreligion» träumte, über zahlreiche nahöstliche und nordafrikanische Reformer wie Mustafa Kemal Atatürk oder den ehemaligen tunesischen Präsidenten Habib Bourguiba, die ihrer Bevölkerung die Religion mit Zwang austrieben, bis zur totalitären Sowjetunion.

Die Idee war immer dieselbe: Die Menschen seien unmündig, sie erlägen einem «falschen Bewusstsein» (Marx). Deshalb müsse man sie zur Freiheit zwingen. Das ist zwar ein viel schöneres politisches Motiv als das der RechtsnationalistInnen, die sich über andere Menschen stellen. Doch am Schluss landen auch sie im Totalitarismus, wie die Philosophin Hannah Arendt einst feststellte.

Das ist die Haltung, aus der heraus Mario Fehr ein Burkaverbot fordert, genau wie etwa auch Ringier-Kolumnist Frank A. Meyer oder die aus Tunesien stammende Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam. Inzwischen haben zudem auch Leute wie Wobmann erkannt, dass man im Namen der Aufklärung mehr Leute für ein Burkaverbot gewinnt als mit rechtsnationalem Geschwafel. Fehr: «Burkas gehören nicht hierher.» Und weiter: «Ich bin ein liberaler Mensch, und in einer liberalen Gesellschaft zeigt jeder sein Gesicht.» Freie Menschen zeigen ihr Gesicht. Punkt. Das ist sein Argument.

Auch wenn man (wie ich) null Verständnis für das Tragen eines Gesichtsschleiers aufbringt: Wo, bitte, schränkt eine Frau, die einen solchen trägt, die Freiheit anderer ein? SP-Nationalrätin Min Li Marti warf ihrem Parteikollegen Fehr entsprechend über Twitter eine «eigentümliche Vorstellung von Liberalismus» vor. Am überraschendsten war die Aussage von SVP-Nationalrat Alfred Heer, der in der NZZ auf die autoritären Züge von Fehrs Forderung hinwies: «Kleidervorschriften sind nicht Sache des Staates. Sonst sind wir gleich weit wie in Saudiarabien.»

Der feministische Einwand

Eine kompliziertere Frage ist, ob die Freiheit der verschleierten Musliminnen selbst verletzt wird. Ja, meint eine Minderheit unter den Feministinnen wie Julia Onken oder Alice Schwarzer. Denn die Frauen würden von ihren Männern dazu gezwungen. Das ist auch Fehrs zweiter Einwand, den er in der NZZ hervorbrachte: «Wir sollten nicht zulassen, dass einzelne Touristen ihre Frauen total verschleiert durch die Bahnhofstrasse führen.» Eine Aussage, die auch CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter im «SonntagsBlick» begrüsste: «Ist es nicht die SP, welche an vorderster Front für die Frauenrechte kämpft? Deshalb ein Bravo an Mario Fehr!»

Es gibt zwei Probleme mit diesem Einwand. Erstens: Ja, einige Musliminnen ziehen den Schleier an, weil sie von ihrem Mann dazu gezwungen werden. Andere tun es jedoch freiwillig. Die Vorstellung, dass konservative Werte ausschliesslich von Männern den Frauen aufgezwungen werden, ist naiv. Ich erinnere mich, wie ich einmal in einem Sammeltaxi in Syrien von einer Frau beschimpft wurde, weil ich mich neben eine andere Frau gesetzt hatte. Ein Burkaverbot würde für die einen Frauen, die heute verschleiert sind, mehr Freiheit bedeuten, für andere jedoch Zwang.

Man kann an dieser Stelle einwenden, dass am Anfang des Patriarchats Männer stünden. Und dass deshalb alle Frauen vom Schleier befreit werden sollten. Doch dann ist man wieder bei der Vorstellung unmündiger Frauen, die man mit Zwang befreien muss.

Das zweite Problem benannte Natascha Wey, Kopräsidentin der SP-Frauen, im «Blick»: «Wird das Burka-Tragen als solches unter Strafe gestellt, werden Frauen noch stärker in die Isolation gedrängt, da sie ihr Zuhause kaum noch verlassen können.» Wey beliess es nicht bei der Kritik, sondern zählte auch die Alternativen zum Burkaverbot auf: «Wird eine Frau gegen ihren Willen zum Tragen der Burka gezwungen, ist dies bereits heute zu Recht strafbar.» Und: «Wenn Mario Fehr sich für Frauen einsetzen möchte, die in Abhängigkeitsverhältnissen sind, so hat er als Sozialvorsteher Handlungsspielraum.» Er könne mehr Geld für die Beratung und Unterstützung von Frauen sprechen, die zentral sei, um sich aus Gewalt und Abhängigkeit zu befreien.

Eine vollkommen andere Frage stellt sich im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, also tatsächlich «unmündigen» Menschen. Hier ist die Gesellschaft nicht nur zuständig, die Grenzen zu setzen, um die Freiheit anderer zu schützen. Sie hat in einem liberalen Staat auch eine Erziehungsaufgabe, die die Erziehung der Eltern durchaus beschränken darf. Jedes Kind muss zur Schule, jedes Kind muss den entsprechenden Lehrplan befolgen. Vor diesem Hintergrund lässt sich etwa durchaus mit Recht für den obligatorischen Schwimmunterricht plädieren.

In solchen Fällen, in denen der Eingriff in die Freiheit des Einzelnen inhaltlich gerechtfertigt ist, stellt sich jedoch ein weiteres Problem: In einer Demokratie sollten sich die Menschen ihre Regeln selber auferlegen. In der Schweiz ist jedoch ein Fünftel der volljährigen BewohnerInnen von der Mitsprache ausgeschlossen, weil sie keinen roten Pass besitzen. Damit bestimmt eine Mehrheit über eine Minderheit, die nichts zu sagen hat. «Wir» über «sie». Solange das so ist, wird auch jede noch so berechtigte Diskussion wie jene über den Schwimmunterricht autoritäre Züge tragen.