Islamdebatte: «Jacqueline Fehr hat davon nicht viel Ahnung»

Nr. 38 –

Vergangene Woche stellte sich Jacqueline Fehr in der WOZ im Namen eines «emanzipativen Feminismus» gegen ein Burkaverbot. Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam widerspricht.

Saïda Keller-Messahli: «Hierzulande freiwillig den Schleier zu tragen, ist eine grosse Provokation. Es bedeutet, alles abzulehnen, wofür diese freie Gesellschaft steht.»

WOZ: Frau Keller-Messahli, die WOZ hatte für dieses Interview ursprünglich die Politologin Regula Stämpfli für ein Interview angefragt. Sie sagte ab. Die Islamdebatte sei derart vergiftet, man könne nur verlieren. Ist dem so?
Saïda Keller-Messahli: Die Debatte ist nicht wirklich vergiftet, aber wir haben in der Tat einen wichtigen Punkt erreicht: dass die Leute zu unterscheiden beginnen zwischen dem Islam als Religion und jenen Gruppen, die mit dem Islam Politik machen. Es geht nun darum, eine Auslegeordnung zu machen: Wer steht für den politischen Islam, und wer gehört zur schweigenden Mehrheit der Muslime, die sich nicht primär über ihre Religion definiert und perfekt in diesem Land integriert ist?

Heftig gestritten wird auf jeden Fall, auch unter Feministinnen. Gerade in der Verbotsfrage. Die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr sagte letzte Woche im Gespräch mit der WOZ, sie sei für einen «emanzipativen Feminismus» und deshalb auch gegen ein Burkaverbot. Frauen sollen selbst entscheiden, was sie tragen wollen.
Die Frage ist: Warum debattieren wir heute, gerade auch in feministischen Kreisen, überhaupt derart vehement über dieses Thema? Weil mit dem politischen Islam in den letzten Jahren etwas gewachsen ist, das die muslimische Frau beziehungsweise ihren Körper ins Zentrum stellt. Jacqueline Fehr hat vom politischen Islam nicht viel Ahnung. Sie realisiert nicht, dass gerade der Körper der Frau im Zentrum des Islamismus steht. Es gehört zu dieser Ideologie, primär die Frauen mental und physisch zu formatieren. Dem Islamismus kommt man mit dieser Art von Feminismus nicht bei.

Sie sagen also: Es braucht Verbote.
Ich bin für das Verbot der Verschleierung der muslimischen Frau im öffentlichen Raum.

Und wie erklären Sie das Frauen, die von sich aus diese konservativen Werte teilen?
Diesen Frauen sage ich: Wenn ihr euch total verschleiern wollt – ich habe in der Schweiz auch schon solche Frauen gesehen –, dann ist diese Gesellschaft, die darauf aufbaut, dass man weiss, mit wem man es zu tun hat, die darauf aufbaut, dass der, mit dem man redet, sich zu erkennen gibt – die Grundbedingung für Demokratie ist schliesslich Transparenz –, dann ist diese Gesellschaft der falsche Platz für euch.

SVP-Nationalrat Alfred Heer sagte, wenn wir anfingen, den Frauen zu verbieten, sich zu verschleiern, seien wir wie Saudi-Arabien, bloss umgekehrt.
Der politische Islam hat verheerende Auswirkungen, gerade in den mehrheitlich muslimischen Ländern. Ich bin teilweise in einem liberalen muslimischen Land aufgewachsen, in dem es selbstverständlich ist, dass man sich zeigt. Der Körper einer Frau im öffentlichen Raum ist nicht Anlass für Scham. Der politische Islam vertritt jedoch die Idee, die besagt, dass der Körper der Frau im öffentlichen Raum nichts zu suchen hat. Die Frau hat sich für ihren Körper im öffentlichen Raum zu schämen, er sei Quelle von Sünde, deshalb soll sie unsichtbar werden. Das ist die Hauptbotschaft.

Keine frohe Botschaft.
Nein.

Ist es nicht zynisch, dass diese Verbotsdebatte über den weiblichen Körper geführt wird? Die Schweiz ist nicht Saudi-Arabien. Wir kennen keine Kleidervorschriften. Was ist denn mit dem anderen Extrem, den halb nackten Frauen, die überall im öffentlichen Raum und aus Modezeitschriften von Werbungen lächeln und allen jungen Frauen suggerieren, dass sehr dünn das einzige Sexy ist? Dies in einem Land, in dem einem zwar keine Gesichtsschleier begegnen, sexuelle Belästigung jedoch Alltag ist.
Ich finde sexistische Werbung auch daneben.

Aber deswegen würden Sie sie nicht verbieten?
Nein.

Das müssen Sie erklären.
Die Debatte um den weiblichen Körper im Islam entzündet sich primär in islamistischen Kreisen. In vielen muslimischen Ländern ist sexuelle Belästigung extrem verbreitet, weil die Sexualität völlig tabuisiert ist, vor allem vor der Heirat. Das erzeugt unglaublich viel Leid. Es gibt Frauen, die ermordet werden, wenn sie bei der Hochzeit nicht mehr Jungfrau sind. Der Körper der Frau steht im Zentrum einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung: Was ist Freiheit? Was ist denn Selbstbestimmungsrecht? Gleichheit vor dem Gesetz? Und in diesen Kontext fällt der Gesichtsschleier. Deshalb können Sie es nicht mit Werbung vergleichen. Es geht darum, den Frauen einen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen, den die Männer bestimmen. Schon kleine Mädchen werden auch bei uns in den Moscheen formatiert.

Wie verhalten Sie sich zum evangelikalen oder orthodox jüdischen Milieu, wo Kinder ebenfalls religiöse Kleidung tragen müssen?
Wir haben ein Problem mit dem politischen Islam wegen – und das kann man nicht auf evangelikale oder orthodox jüdische Milieus übertragen – der Dschihadisten. Der Dschihadismus ist die zweite Phase des politischen Islam, die Phase, wo er zur Tat schreitet.

Sie fordern also eine Hinwendung zum Präventionsstrafrecht: Weil X sich so verhält, könnte es ja sein, dass X irgendwann gewalttätig wird. Drum besser verbieten oder wegsperren.
Das ist nicht das, was ich will.

Aber es ist das, was Sie fordern.
Mir geht es darum, dass klare politische Signale gesendet werden. Wir leben in einer freien Gesellschaft, wo wir beide, Mann und Frau, in einem Café sitzen können, ohne dass es irgendjemanden stört. Wir bewegen uns in einem öffentlichen Raum der Gleichberechtigung. Andere Frauen in repressiven Systemen müssen den Gesichtsschleier tragen, ob sie das wollen oder nicht. Ihn hier freiwillig zu tragen, ist eine grosse Provokation. Es bedeutet, alles abzulehnen, wofür diese freie Gesellschaft steht.

Anders gefragt: Erich von Däniken glaubt an Ufos. Vielfalt macht die freie Gesellschaft doch gerade aus.
Aber Erich von Däniken zieht nicht in den Dschihad und radikalisiert auch unsere Jugend nicht. Er will uns auch nichts aufzwingen.

Aber wenn wir den Dschihad ausblenden, wenn wir nicht davon reden, andere in ihrer Freiheit einzuschränken, sondern davon, aus religiösen Gründen einen Gesichtsschleier zu tragen – ist es nicht genau das, was freie Gesellschaften von unfreien unterscheidet? Ist das nicht die maximale Freiheit, die eine Gesellschaft ihren Bürgern geben kann: dass jeder tun kann, was er will, solange er andere nicht einschränkt?
Der Gesichtsschleier schränkt eben andere ein: Er macht Angst, er ist unheimlich, und wir wissen nicht, wer sich darunter verbirgt. Warum soll ich die Leute so provozieren wollen? Zudem hat er mit Religion nichts zu tun.

Provokation ist doch kein Verbotsgrund. Ich zum Beispiel fühle mich von einem Gesichtsschleier nicht provoziert.
Sie haben als Mann nicht denselben Zugang zur Frage der muslimischen Frau. Es ist eine muslimische Frau, die das trägt. Es ist nicht irgendwer. Und das stört mich, wenn ich sehe, dass uns der politische Islam in vielen Ländern Entmenschlichung aufzwingen will. Der Islam hat ja im Grunde einen laizistischen Charakter. Auch das kann man aus dem Koran ableiten. Eine verschleierte Frau aber sagt, sie sei eine reine Muslima, und Frauen ohne Schleier seien es nicht. Es ist eben nicht einfach nur ein Kleidungsstück, es ist ein Zeichen von Regression, das den kulturellen Errungenschaften feindlich gegenübersteht. Schon sehr früh haben Frauen im Islam wichtige politische Aufgaben übernommen. Deshalb akzeptiere ich das Bild eines schwarzen Phantoms nicht, das die muslimische Frau aus dem öffentlichen Raum verbannen will.