Westafrikanische Umwege: Querelen um die fehlende Brücke

Nr. 35 –

Seit Februar blockieren senegalesische Transporteure die Grenze zu Gambia, seit Juli ist sie offiziell geschlossen. Im Mittelpunkt des Konflikts steht eine Brücke, die es nicht gibt.

Zehn Euro, um schon nur den Platz in der Kolonne behalten zu dürfen: Warten auf die Fähre über den Gambia-Fluss. Foto: Lou Fistarol

Seit einem Tag wartet Abdou Karim Badiane auf die Überfahrt. Gestern ist er in einem Bus noch vor Tagesanbruch in Dakar losgefahren, hat am Mittag die Grenze zu Gambia passiert und sich kurz darauf in die Kolonne der vielen Fahrzeuge eingereiht. Seither wartet er auf einen baldigen Platz auf der Fähre. Es ist Freitag, der 8. Januar 2016, und wir befinden uns am nördlichen Ufer des Gambia-Flusses bei Bamba Tenda. Im Schatten eines Vordachs, geschützt vor der Hitze, diskutieren Passagiere darüber, welcher Chauffeur welchem Beamten wie viel zukommen lässt, um in der Kolonne einige Plätze vorzurücken. Bis zu umgerechnet zehn Euro zahlt der Fahrer eines VW-Busses zusätzlich zu den offiziellen Gebühren, um seinen Platz halten zu können. Mehr, wenn er vorankommen möchte. Wer die Fährleute nicht bestechen kann, wartet mehr als einen Tag. So wie Badiane. «Wenigstens ist die Strasse wieder offen», sagt der 22-Jährige, der sich an etliche Male erinnert, als er die Abkürzung durch das im Senegal eingebettete Land nicht nehmen konnte, weil sie gesperrt war. Dann musste er ganz Gambia umfahren, um in die Casamance zu gelangen, nach Ziguinchor, wo er Geschichte studiert.

Dutzende von Verkaufsständen und kleinen Restaurants säumen die Strasse. Männer balancieren Stoffballen auf dem Kopf, Frauen preisen Erdnüsse an, Kinder bieten Orangen feil. Die vielen Bretterbuden stehen schon seit Jahren da. Sie verschaffen Hunderten von Familien ein Einkommen. Die schlechte Laune ihrer Gäste sind sie gewohnt, aber sie profitieren auch von ihnen. «Manche geben hier ihr ganzes Bargeld aus», sagt Abdou Karim Badiane. Dass er heute Nacht auf einer Holzbank übernachten musste, hat indes noch einen anderen Grund: Eine der beiden Fähren ist wieder einmal kaputt. «Es ist eine Zumutung, dass wir wegen dieser fetten weissen Henne so leiden müssen», so der Student.

Die «fette weisse Henne»

Die Rede ist von Yahya Jammeh, dem beleibten Staatspräsidenten Gambias, der sich stets in wallende, weisse Gewänder hüllt. Seit Jahrzehnten fordern senegalesische Parteien und zivile Organisationen den Bau einer Brücke über den Gambia-Fluss. Doch bis heute ist kein Bagger aufgefahren – obschon die 1978 gegründete Gambia River Development Organization bereits damals Pläne für eine Brücke über den rund 700 Meter breiten Fluss erstellte, obschon die vom Afrikanischen Entwicklungsfonds in den neunziger Jahren in Auftrag gegebenen Pläne für die Brücke gezeichnet wären und obschon die Finanzierung der erwarteten Kosten von 96 Millionen US-Dollar spätestens seit 2012 durch die Afrikanische Entwicklungsbank gesichert ist. Jammeh, der das Land seit einem Staatsstreich 1994 als Diktator in einer Willkür- und Schreckensherrschaft führte, verhindert die fremdfinanzierte Brücke, bei der laut einer Abmachung aller Beteiligten kein Wegzoll eingefordert werden darf. An den rostigen Fähren verdient der Staat indessen bei jedem Ticket und muss noch nicht einmal das Personal bezahlen: Dieses holt sich seinen Lohn direkt bei den PassagierInnen.

Immer wieder erhöhte die Gambia Ports Authority die Preise für die Fährverbindung, was wiederholt zu Konflikten zwischen dem Senegal und Gambia geführt hat. Der frühere senegalesische Präsident Abdoulaye Wade drohte sogar – angeblich mit finanzieller Unterstützung von Taiwan –, einen 35 Kilometer langen Tunnel unter Gambia hindurch zu bauen. Daraufhin einigten sich Wade und Jammeh im Juni 2005 auf einen Überfahrtspreis und vereinbarten erstmals gemeinsam die Grundsteinlegung für die seit Jahrzehnten geplante Brücke zwischen Bamba Tenda und Yeli Tenda.

Doch Gambia hielt sich nicht an die Abmachung und erhöhte die Transitgebühren immer wieder, letztmals im Februar 2016 auf das Hundertfache: Wenn für einen Lastwagen bisher ein Tarif von 6 bis 8 Euro ausgerichtet werden musste, waren es nun über 600 Euro. Das konnten und wollten sich die Speditionsfirmen nicht leisten. Seither boykottieren senegalesische Lastwagenfahrer den Weg durch Gambia und fahren stattdessen die 500 Kilometer längere Strecke über schlechte Strassen um Gambia herum, um in die Casamance zu gelangen. Es ist der sechste Boykott seit 2000. Als das Regime in der gambischen Hauptstadt Banjul im Juli 2016 verkündete, dass sich der Baustart der Brücke nochmals verzögern werde, schloss die senegalesische Regierung in Dakar die Grenzübergänge offiziell.

Die Brücke als Faustpfand

Zwar kam es im April zu einem ersten offiziellen Treffen der beiden Aussenminister wegen dieser Streitigkeiten, doch es blieb ergebnislos. Am nächsten Treffen vom 5. Mai erschien der gambische Vertreter erst gar nicht: Die Uno, die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (Ecowas) würden dem Senegal helfen, die Wirtschaft und die Handelsrouten Gambias zu sabotieren, liess die Regierung in Banjul verlauten. Erneut forderte der senegalesische Präsident Macky Sall seinen gambischen Amtskollegen erfolglos auf, unverzüglich mit dem Bau zu beginnen. Gambia spiele Pingpong mit dem Senegal, sagte daraufhin der Generalsekretär der Senegalesischen Transportgesellschaft gegenüber dem Fernsehsender Sen TV: «Egal welche Vereinbarung die Macky-Regierung mit Jammehs Diktatur erzielt, wenn die Brücke nicht gebaut wird, meiden wir die Transgambiaroute weiterhin.»

Die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation in Gambia ist durch die Schliessung der Grenze und die zunehmende diplomatische Isolation noch verschärft worden. Jammeh schiebt die Schuld dem Senegal und dem Management des Brückenprojekts in die Schuhe. Er spricht von «Erpressung» und «Untergrabung der gambischen Souveränität». Doch die Menschen in Gambia sind der Blockade müde: Viele Produkte, insbesondere Salz, fehlen. Immer mehr Leute stellen sich auch generell gegen das Regime, das von Amnesty International und anderen Organisationen diverser Menschenrechtsverletzungen beschuldigt wird. Wer im Land regierungskritische Meinungen artikuliert, wird hart bestraft: Regelmässig werden Oppositionelle verhaftet.

Gambia hat zwar zwischenzeitlich wieder die vereinbarten Gebühren eingeführt. Doch die Spediteure behalten ihre Handelsblockade bei, um weiter Druck auf die Regierung in Banjul auszuüben. Sie fordern, dass diese endlich mit dem Bau der Brücke beginnt – zumal ein Teil des Baumaterials bereits Ende Mai im Hafen von Banjul eingetroffen ist. Stattdessen liess das Jammeh-Regime überraschend verlauten, das geplante Projekt sei nicht akzeptabel, weil es die Schifffahrt auf dem Fluss behindere. Die während einiger Wochen wieder geöffnete Grenze wurde daraufhin von der Regierung in Dakar erneut dichtgemacht. Es war die achte Grenzschliessung in den letzten zwanzig Jahren.

Mit Geld geht alles schneller

An jenem 8. Januar rollt in Bamba Tenda plötzlich eine Staubwolke auf den Fluss zu. Zwei klimatisierte Allradfahrzeuge mit getönten Scheiben halten vor dem Haus der Hafenbehörde. Acht mit Shorts und Trägershirts bekleidete TouristInnen steigen aus, zücken die Kameras. Sie sind am Morgen in Dakar gelandet und haben eine Lodge in Gambia gebucht. «Mitten im Dschungel und doch mit allem Luxus», schwärmt ein etwa fünfzigjähriger Däne. Danach noch ein paar Tage ans Meer. «Gambia ist ein kleines, friedliches und politisch betrachtet stabiles Land», heisst es in einem deutschen Reiseprospekt. Über 100 000 europäische Feriengäste fläzen sich hier jedes Jahr in der Sonne. Der Tourismus ist für Gambia ein bedeutender Wirtschaftszweig. Innert weniger Minuten haben die Offroaderchauffeure die Formalitäten abgewickelt, dürfen auf die nächste Fähre und stäuben kurz darauf auf der anderen Seite davon. «Ich will nicht wissen, wie viel die bezahlt haben», ärgert sich Badiane. «Mit Geld geht in Gambia alles schneller.»

Enklave Gambia Karte: WOZ

Wenig später fährt endlich auch unser Bus los. Nachdem wir bei zwei Polizeiposten und an der Grenze Gebühren für Stempel bezahlt haben, die wir nie sehen werden, passieren wir auf der südlichen Flussseite die Grenze zum Senegal. Zwei Stunden später erreichen wir den Hauptort der Casamance. Abdou Karim Badianes Gesicht hellt sich auf, als er das Ortsschild von Ziguinchor erblickt. Morgen heiratet seine Schwester. «Es wäre schlimm gewesen, wenn ich wegen der fetten weissen Henne die Feier verpasst hätte.»

Die absurde Grenze : Fluss von Kunta Kinte und Mungo Park

Vielleicht ist die Grenze zwischen dem Senegal und Gambia die absurdeste auf dem afrikanischen Kontinent: Sie ist das Ergebnis eines langen Streits zwischen Frankreich und Britannien. Im Jahr 1758, während des Siebenjährigen Kriegs, eroberte Britannien unter König George II. die Handelsniederlassung im französischen Senegal. Mit dem Pariser Frieden fünf Jahre später wurde das Gebiet an Britannien abgetreten.

Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zwanzig Jahre später gingen Teile von Senegambia wieder an Frankreich über, nachdem die – von den Franzosen unterstützten – dreizehn nordamerikanischen Kolonien die britische Krone besiegt hatten. Doch der Streit um die politische und wirtschaftliche Herrschaft über die Flüsse im Senegal und in Gambia dauerte an. Haupthandelsware waren bis ins frühe 19. Jahrhundert vor allem SklavInnen: Über drei Millionen Menschen sollen allein von der Küste Senegambias aus in die Neue Welt verschleppt worden sein.

Dieser Tragödie kommt auch in die Weltliteratur ein fester Platz zu. Kunta Kinte, die Hauptfigur in Alex Haleys Sklavenepos «Roots» von 1976, soll 1767 aus dem gambischen Dorf Juffureh als Plantagensklave in die damalige britische Kolonie Maryland verschifft worden sein. Und in T. C. Boyles «Wassermusik» von 1982 begleitet der schottische Arzt und Abenteurer Mungo Park (1771–1806) Sklavenkarawanen vom Gambia-Fluss aus ins Hinterland.

Erst 1888 wurde Gambia eine eigene Kolonie: London hatte alle Gebiete der einstigen Grosskolonie Senegambia abtreten müssen, rettete für sich aber den schiffbaren Teil des Gambia-Flusses – und noch ein paar Kilometer Ufer auf beiden Seiten. 1965 wurde Gambia, der kleinste Festlandstaat Afrikas, als unabhängiger Staat ins Commonwealth aufgenommen.

Corina Fistarol