Prinzip Leistung: «Ich schäme mich für diese Lehrer»

Nr. 37 –

Christoph Eymann, Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, spricht über den Einfluss der Wirtschaft auf das Bildungswesen, unsägliche Initiativen, überwachte Lehrerinnen und schlechte Mathematikschüler.

Christoph Eymann

WOZ: Christoph Eymann, Sie sind der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz. In welche Richtung sollte sich die Schule Ihrer Ansicht nach in den nächsten zwanzig Jahren verändern?
Christoph Eymann: Wir leben in einer Zeit, in der sich vieles sehr schnell verändert, Stichwort «Digitalisierung». Es darf nicht sein, dass unsere Schüler schlechter sind als der internationale Durchschnitt. Wir müssen zulegen, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass gewisse Berufsbilder sich verändern. Informatikfächer werden wichtiger. Für die Schule bedeutet das, dass wir das eigenverantwortliche Lernen in den Vordergrund stellen müssen, und für die Lehrerinnen und Lehrer, dass sich ihre Rolle in der Betreuung verändert.

Diese Entwicklung beschränkt sich ja nicht auf das Schulwesen.
Das ist richtig, auch die Berufswelt wird durch die Technologisierung stark verändert. Unsere Aufgabe als Bildungspolitiker ist es, diese Trends zu antizipieren und darauf Antworten im Schulwesen zu finden.

In diesem Zusammenhang fordern Wirtschaftsvertreter und -vertreterinnen gerne mehr Mathematik und mehr Naturwissenschaften an den Schulen, um die Zahl der Ingenieure und Informatikerinnen zu erhöhen.
Ja, wir hören diese Forderung immer wieder. Es sei schade, heisst es, dass die Schweiz den grossen Bedarf an Ingenieurinnen und Ingenieuren nicht aus dem Inland decken könne und wir gezwungen seien, im Ausland nach Fachkräften zu suchen. Der Ruf, gezielter Fachkräfte im technischen Bereich auszubilden, wurde natürlich lauter, seit diese unsägliche «Masseneinwanderungsinitiative» angenommen wurde. Aber ich finde es heikel, wenn die Mangellage der Wirtschaft Einfluss auf den Inhalt des Lehrplans hat.

Kritiker und Kritikerinnen befürchten, dass die Schule immer mehr nur noch dazu dient, die Menschen für den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Die Schule hat nicht nur den Auftrag, auf das Berufsleben vorzubereiten. Die Schülerinnen und Schüler sollen auch zu einem selbstständigen Leben innerhalb der Gesellschaft befähigt werden, sei das nun politisch oder kulturell. Ausserdem haben wir gar nicht die Durchsetzungsmittel, um aus einem begabten Mathematiker einfach einen Geomathiker zu machen. Wir können höchstens mit gezielten Berufsinformationen darauf hinweisen, dass es diese Berufe gibt und dass sie beispielsweise auch Frauen offenstehen.

Sie waren allerdings gegen die Initiative der Freiwilligen Schulsynode – der Basler Lehrergewerkschaft –, die vergangenes Jahr angenommen wurde und wieder eine freie Wahl der Wahlfächer an den Basler Gymnasien forderte. Zuvor mussten die Schülerinnen als eines von zwei Wahlfächern zwingend ein naturwissenschaftliches Fach oder eine Sprache wählen.
Ich finde, Initiativen sind der falsche Weg, um den Lehrplan zu beeinflussen. Sehen Sie sich Baselland an: Dort verlangt etwa eine Initiative, dass, wenn bei der Volksschule gespart wird, auch bei der Universität gespart werden muss. Das kann ich nur idiotisch nennen – und wenn die Absender noch Lehrerinnen und Lehrer sind, schäme ich mich für sie. Mit Initiativen werden die Entwicklungen im Bildungswesen letztlich von jenen Parteien oder politischen Gruppierungen bestimmt, die am stärksten mit den Muskeln spielen oder die am meisten Geld zur Verfügung haben.

Sie waren aber auch inhaltlich gegen die freie Fächerwahl.
Unsere Maturaabgänger in Basel-Stadt sind im Quervergleich schlechter in Mathematik als jene aus anderen Kantonen. Wenn Patrick Aebischer, der Präsident der ETH Lausanne, mir sagt, dass fünfzig Prozent der Gymiabsolventinnen und -absolventen öfter den Leistungen nicht genügen oder wenn Firmen unsere Schulabgänger wegen schlechter Mathematiknoten nicht einstellen wollen, müssen wir etwas dagegen machen. Unsere Idee war, salopp gesagt, die Latte höher zu legen, damit die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten für eine weiterführende Ausbildung möglichst gut vorbereitet sind. Wir wollen ihnen möglichst lange alles mitgeben, damit sie im entscheidenden Moment die breiteste Palette haben.

Sie sprechen die Vergleichbarkeit von Leistungen an. Es ist ja eine allgemeine Tendenz, dass Leistungen in der Schule immer mehr überprüft werden. Mit dem sogenannten Bildungsmonitoring soll nun sogar die Leistung der Lehrerinnen und Lehrer quantifiziert werden. Was ist der Sinn dahinter?
Es werden nicht die Leistungen der Lehrpersonen gemessen. Das Monitoring soll für die Lehrerinnen und Lehrer Steuerungswissen generieren, mehr nicht. Sie sollen wissen, wo sie mit einer Klasse im Quervergleich mit einer grösseren Kohorte stehen: Wie schneidet meine Klasse im Vergleich mit anderen beispielsweise in Mathematik ab? Woran liegt es, falls sie schlechter ist? Solche Fragen wollen wir damit beantworten.

Kann man das überhaupt messen? Klassen sind doch total unterschiedlich, und man kann sie kaum miteinander vergleichen.
Wir sind den Schülerinnen und Schülern verpflichtet, dass sie nicht einfach ein Papier kriegen, das von Jahr zu Jahr weniger wert ist. Der Wettbewerb ist international, und wenn wir uns dort behaupten wollen, im Beruf und auch ausserhalb, dann müssen wir schauen, dass wir die Qualität garantieren können. Die Schule muss die Ziele erreichen, die sie sich gesetzt hat.

Immer mehr Überprüfungen und Statistiken üben auch Druck auf das Lehrpersonal aus. Ist das für die Qualität wirklich förderlich?
Ich verstehe, dass man Ängste haben kann. Die Lehrergewerkschaft etwa fürchtete, dass eine systematische Überprüfung des Unterrichts einen Leistungslohn zur Folge haben würde. Doch das war nicht unsere Idee. Wenn wir feststellen, dass diese Resultate missbraucht werden, zum Beispiel für Vergleiche zwischen Schulen oder um den Medien diese Informationen weiterzugeben, dann hören wir damit auf.

Die Leistungsüberprüfung, die in der Schule immer wichtiger wird, ist auch in der Wirtschaft oder beim Staat immer wichtiger. Für alles muss man heute ein Zertifikat vorweisen.
Leistung war schon immer ein Element der Schule. Aber es stimmt: Die Wirtschaft wie auch der Staat verlangen immer mehr Diplome für alles. Da finde ich manchmal auch, es wird zu wenig der Mensch angeschaut und zu sehr, welche Papiere er mitbringt. Zudem ist die Politik in den letzten zwanzig Jahren dazu übergegangen, dass sie wissen will, was mit dem investierten Franken passiert. Daher ist es nur logisch, wenn auch die Qualität der Schule überprüft wird.

Genau hier besteht aber doch die Gefahr, dass die Schule nach Aufwand und Ertrag bewertet wird und letztlich nur noch Arbeitskräfte für die Wirtschaft generieren soll. Aber die Schule ist ja, wie Sie selber sagen, mehr als das …
Wir machen diese Überprüfungen des Unterrichts ja nicht unvernünftig. Die Alternative ist, dass die Privatwirtschaft selber Tests durchführt. Das sieht man bei diesen sogenannten Basistests, die fast jeder Lehrbetrieb verlangt. Da muss ein Schüler hundert Franken zahlen, damit ihm attestiert wird, es reiche nicht für eine Malerlehre. Das kann doch auch nicht die Lösung sein. Die Schule muss ein aussagekräftiges Abschlusszeugnis geben können. Es wäre doch falsch, wenn in der Schule suggeriert würde, im Leben finde nie eine Selektion statt.