Auf allen Kanälen: Antimessias Snowden
Whistleblower Edward Snowden erweist sich in einem Videochat in der Berliner Volksbühne als radikaler Bürgerrechtler.
Letzte Woche deutete in der Berliner Volksbühne alles auf einen routinierten linken Gottesdienst hin: Das Videobild des berühmtesten Whistleblowers der Welt, der vor drei Jahren die Überwachungspraxis der National Security Agency (NSA) offengelegt hatte, hing wie ein Jesusbild über der Talkrunde. Oben also Edward Snowden, unten, neben Moderator Jakob Augstein, Snowdens deutscher Anwalt Wolfgang Kaleck und die Regisseurin Angela Richter, deren Theaterabende die Grenze zwischen Kunst und Aktivismus offenhalten. Richter kennt Snowden und auch Wikileaks-Sprecher Julian Assange von Recherchereisen. Kaleck hat versucht, für Snowden in Deutschland Asyl zu erhalten. Bislang ohne Erfolg. Und dass US-Präsident Barack Obama in seinen letzten Amtsmonaten Snowden begnadigt, glaubt niemand so richtig. Aber hier, im Berliner Volksbühnenschiff, würde man weiter daran glauben wollen, dachte man, und erwartete eine Predigt an den Kirchenchor. Doch dann kam alles anders.
Die rund hundert Minuten gerieten zum Lehrstück, wie man Langeweile vermeidet und damit der Sache dient. Jakob Augstein begriff die Rolle des Moderators nicht als Debattenkür, sondern eben als Rolle.
Fast wie eine Figur im Theater stellte er Fragen: Was unterscheidet Julian Assange von Edward Snowden? Was geben wir wirklich alles auf, wenn wir anlasslose Überwachung durch Staaten und Unternehmen hinnehmen? Haben wir womöglich eine veraltete Idee von Privatsphäre, die wir einer Renovation unterziehen müssten? Und – ganz wichtig, weil man die Frage nach Sicherheit nicht den Rechten überlassen darf (solange man sie anders beantworten kann): Müsste man, nachdem so viele Terroranschläge nicht verhindert wurden, nicht doch mehr Überwachung fordern?
Der Intelligenteste im Saal
Man weiss aus dem Dokumentarfilm «Citizen Four» von Laura Poitras, wie gut Snowden spricht. Man kennt die Umsicht des ehemaligen NSA-Mitarbeiters aus Glenn Greenwalds Buch zum Fall («Die globale Überwachung»). Man kann wissen, dass Edward Snowden auch in grossen Räumen sehr lange der Intelligenteste im Saal bleibt. Aber auf diese uneitle, offene, genaue und rhetorisch brillante Kommunikation des Exilierten konnte man dann doch nicht gefasst sein.
Nein, er sei kein Held, auch wenn er verstehe, dass Oliver Stones nach ihm benannter Film auch eine Liebesgeschichte ins Zentrum stelle. «Kann schon sein, dass ich nicht der allerschlechteste Boyfriend der Welt bin», aber das sei wohl kaum das zentrale Problem, auch nicht des Films, den er in Schutz nahm vor Stimmen, die ihn als reine Heldengeschichte aus Hollywood sehen. Und nein, es brauche nicht noch mehr Überwachung, um Terroranschläge zu verhindern, es sei ja gerade die Masse an Überwachungsdaten, die den Lärm verursachten, in dem man die gefährlichen Dinge überhöre. Und auf die Frage, warum der Widerstand gegen das TTIP viele Menschen auf die Strassen treibe, der Protest gegen Überwachung aber kaum, runzelte Snowden die Stirn. Der Protest sei enorm, meinte er: im Netz, wo immer neue Leaks zeigten, wie beschnitten die Rechte der BürgerInnen seien.
Nicht verbittert
Hier war die Runde nicht auf der Höhe ihres Stargasts. Die Protestformen verändern sich, die Strasse ist nicht der einzige Prüfstein für gesellschaftlichen Unmut. Das eine sollte das andere aber nicht ausschliessen. Der Protest gegen die beispiellose Verschiebung von begründeter zu anlassloser Überwachung muss auch öffentlich sichtbar werden. Und er wird es nur, wenn man die Unterschiede zwischen Snowden und Assange diskutiert: Snowden wusste genau, was er weitergab. Assange aber lässt unkuratierte Datenmengen frei, die niemand überblickt – wie bei den E-Mails der Demokraten im US-Wahlkampf oder der Korrespondenz an die türkische AKP: Der eine Leak nützt Trump, der andere enthüllt private Daten türkischer BürgerInnen. Assange ist der trotzkistische Revolutionär, Snowden der radikalisierte Bürgerrechtler. Für wen würden Sie auf die Strasse gehen?
Man merkt Snowden das Exil nicht an, nichts wirkt verbittert. «Mein einziger Fehler war, die Informationen nicht früher weitergegeben zu haben», sagte er gegen Ende der Veranstaltung. Ein Fehler, weil er dachte, dass Obamas Regierung die Praxis der NSA ändern würde. Doch die Überwachung wucherte weiter.
Oliver Stone: «Snowden». USA 2016. Ab 6. Oktober im Kino.