Migrationsabkommen mit Sri Lanka: Sommaruga im Folterstaat
Die Menschenrechtslage in Sri Lanka ist nach wie vor prekär. Dies hält die Schweizer Migrationsbehörde nicht davon ab, ihre Ausschaffungspraxis zu verschärfen.
Die Schweiz forciert ihre Annäherung an Sri Lanka: Am Dienstag unterzeichnete SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga in der Hauptstadt Colombo ein bilaterales Migrationsabkommen. Dieses sieht etwa vor, dass sich die Schweiz künftig verstärkt an Reintegrationsprogrammen vor Ort beteiligt. Gleichzeitig regelt es die behördliche Zusammenarbeit bei der Rückübernahme abgewiesener Asylsuchender aus der Schweiz.
Damit vereinfacht das Justizdepartement die Umsetzung der verschärften Asyl- und Wegweisungspraxis für Sri Lanka, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) im Juli vorgenommen hat: Das SEM erachtet die Wegweisung in alle Landesteile Sri Lankas nun grundsätzlich als zumutbar. Und es stuft den Schutzbedarf von Menschen mit Verbindungen zu den tamilischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) künftig als geringer ein. Für die Betroffenen kann das fatal sein.
Verhaftung nach der Ausschaffung
Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Sri Lanka fand 2009 ein Ende, als die sri-lankischen Streitkräfte die separatistischen LTTE in einer blutigen Schlussoffensive vernichtend schlugen. Unter Präsident Mahinda Rajapaksa kam es nach Kriegsende zu Vergeltungsmassnahmen: Zahlreiche Berichte belegen Fälle von willkürlichen Verhaftungen, Folter und sexueller Gewalt. Im September 2013 setzte die Migrationsbehörde die Ausschaffungen nach Sri Lanka vorübergehend aus, nachdem mehrere zurückgewiesene Asylsuchende dort verhaftet und gefoltert worden waren.
Dass das SEM die Situation vor Ort heute positiver einschätzt, begründet es nicht zuletzt mit dem Machtwechsel, der im Januar 2015 in Sri Lanka stattgefunden hat. Neuer Präsident ist Maithripala Sirisena, der sich erst kurz vor der Wahl von seinem Vorgänger und Parteifreund Rajapaksa losgesagt hatte. Seine Regierung hat mittlerweile einen Reformprozess eingeleitet, der in einigen Bereichen durchaus Erfolge erzielte, etwa bei der Meinungsfreiheit. Dem stehen jedoch weiterhin schwere Mängel bei den Menschenrechten gegenüber: Im Mai schrieb der Uno-Sonderberichterstatter Juan E. Mendez in einem Bericht, dass die Polizei noch immer systematisch Gefangene foltert. Viele werden ohne Anklage aufgrund eines international kritisierten Antiterrorgesetzes festgehalten, es kommt zu willkürlichen Verhaftungen. Die Misshandlung der Gefangenen bleibt straffrei.
«Die Praxisänderung des SEM kam viel zu früh», sagt deshalb Yves Bowie von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bern. Er ist Kampagnenleiter für Sri Lanka und hält sich derzeit in Jaffna im Norden des Landes auf. Ein grosses Problem sieht er darin, dass sich im sri-lankischen Sicherheitsapparat personell nur wenig verändert hat. Dasselbe gilt fürs Militär, das etwa den mutmasslichen Kriegsverbrecher Jagath Dias im letzten Jahr zum Stabschef ernannt hat. Der Einfluss der Regierung bleibt laut Bowie letztlich begrenzt: «Das Militär führt hier praktisch ein Eigenleben.» Und noch schlimmer ist es bei den paramilitärischen Einheiten, die in den tamilischen Gebieten nach dem Krieg viele Menschen entführten und heute teilweise noch immer aktiv sind.
Das SEM hat angekündigt, die «Defizite im Bereich der Menschenrechte» auch weiterhin «im Rahmen der üblichen Einzelfallprüfung» zu berücksichtigen. So ist anzunehmen, dass vorerst keine ehemaligen LTTE-Mitglieder nach Sri Lanka zurückgewiesen werden. Aber nicht nur sie sind dort gefährdet: Es werden auch Menschen inhaftiert, denen bloss vorgeworfen wird, die LTTE während des Kriegs in irgendeiner Form unterstützt zu haben – wenn sie den KämpferInnen etwa Essen oder eine Unterkunft anboten. Den Betroffenen drohen langjährige Haftstrafen. «Solche Fälle gibt es auch heute noch regelmässig», sagt Bowie. Angesichts des willkürlichen Vorgehens der Polizei kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch TamilInnen treffen könnte, die aus der Schweiz zurückgeschafft werden.
«Zu optimistische Beurteilung»
Auch Adrian Schuster von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sieht die Praxisänderung des SEM sehr kritisch: «Diese Beurteilung der Situation vor Ort ist zu optimistisch», sagt der Länderexperte für Sri Lanka. So könnten RückkehrerInnen insbesondere im Norden und Osten des Landes weiterhin gefährdet sein.
Nach Angaben des Justizdepartements sind von der Praxisänderung alle sri-lankischen Asylsuchenden betroffen, deren Gesuch noch nicht letztinstanzlich beurteilt wurde. Der Zürcher Anwalt Marcel Bosonnet, der viele TamilInnen juristisch vertritt, hat bereits gravierende Auswirkungen der Praxisverschärfung festgestellt: «Bei Gesuchstellern werden Indikatoren, die klar für eine Verfolgung im Heimatstaat sprechen, nicht mehr beachtet», sagt er. Auch wenn nun einige Aspekte des frisch unterzeichneten Migrationsabkommens für Betroffene durchaus eine Erleichterung darstellen können: Wenn eine Person gefährdet ist, bringen alle Unterstützungsmassnahmen nichts.